Serbien/Mazedonien/Slowenien 2021 · 128 min. · FSK: ab 16 Regie: Srdjan Dragojevic Drehbuch: Srdjan Dragojevic Kamera: Dusan Joksimovic Darsteller: Goran Navojec, Ksenija Marinkovic, Natasa Markovic, Bojan Navojec, Danijela Mihajovic u.a. |
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Heiligenschein mit Scheinheiligem | ||
(Foto: Neue Visionen) |
Wunder gibt es immer wieder – aber nicht immer braucht man sie auch. So geht es auch Stojan (Goran Navojec), der nach dem Wechsel einer defekten Glühbirne mit einem Heiligenschein geschlagen ist. Auf den ersten Blick gar nicht so unpassend, schließlich ist er ein herzensguter Familienvater, bescheiden und aufopfernd. Sogar in seiner jetzigen Situation, als Flüchtling in einer Armensiedlung Serbiens (der Film startet Anfang der Neunziger, mitten im jugoslawischen Bürgerkrieg), will er nichts anderes sein als ein guter Versorger. Zudem ist er im Herzen noch überzeugter Sozialist und kann mit dem heiligen Opium fürs Volks nichts anfangen. Seine gläubige und herrische Ehefrau (Ksenija Marinkovic) übrigens genauso wenig, trotz ihres Glaubens. Zur Obskurität des Dorfes muss man schließlich nicht auch noch werden.
Srdjan Dragojevic (Parada) beginnt seinen neuen Film Der Schein trügt als Komödie mit übernatürlichem Sahnehäubchen. Trotzdem schafft er es, dem Ernst des historischen Rahmens gerecht zu werden. Dieses Changieren zwischen Humor und Bitterkeit zieht sich gekonnt durch die nächsten zwei Stunden, was es schwer macht, dieses Werk einem bestimmten Genre-Lager zuzuordnen. Unverkennbar jedoch ist sein satirischer Überbau, der allerdings auch keine allzu offensichtlichen Motive bedient.
Um nämlich den lästigen Nimbus wieder loszubekommen – heißes Wasser hat leider nicht geholfen –, wendet sich seine Frau an einen namhaften Fernsehprediger. Der erklärt ihr zwischen zwei Schluck Brandy, dass hier wohl nur die Sünde helfen kann. Natürlich wohlportioniert: ein wenig Völlerei, eine Prise Neid, wenn es sein muss, darf es sogar etwas Ehebruch sein. Zunächst widerwillig fügt sich Stojan der Heilkur, aber mit der Zeit findet er Gefallen an fettem Essen, Alkohol und der Verachtung seiner Mitmenschen. Nur den dämlichen Leuchtkranz um seinen Kopf scheint das nicht zu interessieren. So müssen wohl noch härtere Geschütze aufgefahren werden! Die führen dann zwar auch nicht zum Verschwinden des Heiligenscheins, jedoch zu einem recht zweifelhaften Aufstieg Stojans.
Und damit hat man nun den ersten und ausführlichsten Teil von Der Schein trügt zusammengefasst. Ungefähr zehn Jahre später begegnet man dem unfreiwilligen Samariter noch einmal, allerdings nur als Nebenfigur. Im Zentrum steht dieses Mal der geistig zurückgebliebene Gojko (Bojan Navojec), der wegen Doppelmordes hingerichtet werden soll. Der Grund dafür war ein Nokia-Handy, das für den armen Mann die direkte Leitung zu heiligen Sphären darstellte. Auch hier ist es ein Wunder, das die Geschichte in eine andere Bahn lenkt. So ist auch Gojko in der dritten Episode die Hauptfigur, dieses Mal als schizophrener Künstler, dessen Gemälde nicht nur geistige, sondern auch körperliche Nahrung darstellen. Ganz zu dessen Leidwesen allerdings. Hier begegnet man auch Stojans Tochter wieder, die damals vor dem sündigen Lebenswandel ihres Vaters floh.
Nun würde man allzu viele Überraschungen verderben, wollte man detailgenau auf den ganzen Film eingehen. Die raffinierte Erzählweise von Der Schein trügt, die Wege, die sich kreuzen, sind jedenfalls ein weiterer Pluspunkt. Ob das alles so zusammenpasst und wirklich ein stimmiges Gesamtbild ergibt, kann man ruhig in Frage stellen. Dragojevic bringt Assoziationswelten rund um Scheinheiligkeit, Unschuld, Materialismus und den Segen der Kunst zusammen. Für sich genommen funktionieren die Gedanken-Spiele, im Ganzen wirkt es streckenweise überladen. Trotzdem hat er einen gelungenen Film auf die Leinwand gebracht. Gerade die Unvorhersehbarkeit gibt seinem Film eine besondere Note. Nicht nur, was die Handlung angeht, sondern auch bezogen auf die emotionale Begleitung des Publikums. Was im einen Moment noch absurde Komödie ist, wird im nächsten Augenblick zur bitteren Tragödie. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Motive (ein Heiligenschein, der auch bei Verbrechen nicht vergeht, ein Handy als Verbindung zu Gott, Kunst als Konzept der Volksernährung) die unterschiedlichsten Deutungsmöglichkeiten zulassen. So wird aus Der Schein trügt letzten Endes doch noch eine runde Sache, weil er versteht, das Publikum emotional und intellektuell einzubinden, mitunter zu irritieren, aber immer am Geschehen interessiert zu lassen. Da kann man es auch verschmerzen, dass hier und da der Anschein der Überfrachtung entsteht. Dafür wird man mit den Wegen eines Drehbuchs belohnt, die zunächst unergründlich scheinen.