Frankreich 1999 · 105 min. · FSK: ab 12 Regie: Tonie Marshall Drehbuch: Tonie Marshall, Marion Vernoux Kamera: Gérard de Battista Darsteller: Nathalie Baye, Bulle Ogier, Jacques Bonnaffé u.a. |
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Das Personal von Venus beauté |
Willkommen im Land der verbindlichen Unverbindlichkeiten, willkommen im Universum der französischen Regisseurin Tonie Marschall. Es ist der Kosmos der alternden Singles, die sich jung wünschen, die ihr Leben irgendwo am Rande des Vergessens, nahe am Abgrund, aus unsicherer Distanz beobachten. Eine Welt, wie man sie als bedrohliche und radikale Variante in den Romanen Michel Houllebecqus findet, eine Welt, in der an Weihnachten die Selbstmordsaison als offiziell eröffnet gilt, weil abseits der Berufswelt die Institutionen (Kirche, Familie...) versagt haben und die existentielle Einsamkeit plötzlich unter dem Alltag hervorbricht.
Die Heldin heißt Angèle, ist Mitte Vierzig, sieht aber jünger aus, wie sie betont. Ihr Charakter ist ambivalent, geprägt von vielen Brechungen entlang des Filmes. Postmoderne Lebensform, jede neue Stunde ein neues Wesen. Sie nimmt von der enttäuschten, verlassenen, sehnsüchtig wartenden Geliebten bis zum selbstbewußten Vamp jede Rolle mit wechselndem Erfolg an. Von der Liebe enttäuscht sucht sie ihr Heil in wahllosen Affären. Sex ohne Versprechen, ohne Erwartungen und die erschöpften Gesichter am Frühstückstisch. Die anonyme Großstadtwelt wird zum Jagdgebiet, wo jeder jeden fressen darf, wenn Handlungsbedarf besteht. Das Glück des Einen scheint notwendigerweise immer zum Unglück des Nächsten zu führen. Die Kommunikation unter Liebenden findet möglichst anonym statt, über den Anrufbeantworter, das Telefon, auch wenn man vom Gesprächspartner nur einige Meter entfernt ist. Intime persönliche Gespräche erledigt man lieber mit völlig Fremden im Schnellrestaurant.
Oberfläche ist schon alles. Angèle arbeitet in einem Schönheitssalon, dass Plakat an der Wand gibt den Schlachtruf vor: »Bekämpfe dich – Strategien zur Schönheit«. In der Welt der Tinkturen und Masken wird alles Störende, alles Häßliche, verdrängt, aus dem Bewußtsein geschoben, wo es mit der Zeit natürlich ein Eigenleben entwickelt. Angèle hat gelernt, alles, was echt ist, was nicht beliebig ist, zu verbergen.
Nur in kurzen spontanen Ausbrüchen dürfen sich die Affekte dann als abrupte und plötzliche Gesten einen Weg aus dem gut organisierten und effizienten Denksystem bahnen. Eine Lego-Welt, in der die eigenen Bedürfnisse als störend empfunden werden, die irrationalen Teile bilden, die nicht in das Gesamtbild integriert werden können.
Das eigentliche Problem in Angèles Leben ist die Eifersucht, die Angst, ein weiters Mal enttäuscht zu werden. Als Antoine auftaucht und sich unsterblich in die Angestellte verliebt, muß diese ihre Entscheidung, mit der großen Liebe nicht mehr zu rechnen, noch einmal überdenken, denn der junge Mann stellt sich als äußerst penetrant heraus, gibt sich nicht gleich nach der ersten Abweisung geschlagen.
Marschall nimmt sich viel Zeit, um die Figuren in ihren Widersprüchen zu zeigen. Ein
reiches Spektrum an Frauen- als auch an Männerfiguren wird beobachtet. Lebenslinien werden verfolgt und dann fallengelassen. Die Charaktere bilden ein Netzwerk, dürfen sich begegnen, aufeinander reagieren und sich wieder trennen. Das macht Vénus beauté zu einem sehr dichten Film, in dem viele Möglichkeiten der Partnerschaft, der Beziehung durchgespielt werden. Keines der Gefühle ist richtig groß, keines richtig klein. Und da, wo Houllebecqs Männer am
Leben scheitern und regelmäßig als Sozialkrüppel enden, geben uns die Frauen Marschalls Hoffnung mit auf den Weg.