USA 2018 · 102 min. · FSK: ab 12 Regie: Aneesh Chaganty Drehbuch: Aneesh Chaganty, Sev Ohanian Kamera: Juan Sebastian Baron, Nicholas D. Johnson, Will Merrick Darsteller: John Cho, Sara Sohn, Michelle La, Alex Jayne Go, Megan Liu u.a. |
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Unkonventioneller Ansatz des Erzählens |
Fast schien es, als habe das desaströse Einspielergebnis seines aufgeblasenen Blockbusters Ben Hur den kasachischen Regisseur und Produzenten Timur Bekmambetov zur Einsicht gebracht. Nach der von der Kritik weitgehend verrissenen Klassiker-Neuadaption schlug der zwischen Hollywood und der russischen Filmindustrie pendelnde Genrefan einen neuen Weg ein. Mit seiner eigenen Regiearbeit Profile, im Panorama der Berlinale 2018 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet, und dem von ihm produzierten Searching zeigte er die Möglichkeit für fesselndes Low Budget-Kino auf, das den Anschluss an die Gegenwart nicht verloren hat.
Tatsächlich entstand schon 2014 der von Bekmambetov produzierte Horrorstoff Unknown User (»Unfriended«), der weitgehend alle Ingredienzien der Nachfolger enthielt und sich über mehrere Jahre in Vorbereitung befand. Die tödlichen Folgen eines per Handy dokumentierten Mobbingfalls wurden weitgehend über den Desktop eines MAC-Computers erzählt, wobei man den Plot per falscher Skype-, Gmail- YouTube- oder Instagram-Bilder vorantrieb. Mit den mörderischen Aktionen eines rächenden Geistes folgte das Netzdrama zunehmend den Konventionen des Spukthrillers, was noch stärker auf die diesjährige Fortsetzung »Unfriended: Dark Web« zutraf. Ansatzweise gab es diese Elemente schon in den letzten Folgen der schier unendlichen »Paranormal Activity«-Reihe, die ebenfalls Bildschirminhalte und Skype-Diskussionen für Schockmomente nutzte.
Der Ansatz von Aneesh Chagantys Langfilmdebüt Searching folgt diesen Spuren, indem der Plot aus dem Blickwinkel von Computerbildschirmen und Smartphones erzählt wird. Wie in Bekmambetovs Profile werden verschiedene Aktionen auf dem Schirm miteinander verknüpft. Wo in klassischen Detektiv- und Polizeistoffen ein Indiz oder eine Aussage zur nächsten Spur führt, werden hier auf der Suche nach einem verschwundenen Teenagermädchen Telefongespräche, Suchmaschinen-Ergebnisse, Facebook- und Instagram-Inhalte, später noch Überwachungskameras und Nachrichtenausschnitte, herangezogen. Daraus erwächst langsam das Profil eines für den Vater längst unbekannten Menschen.
Am Anfang stehen Bilder der heilen Welt einer dreiköpfigen kalifornischen Mittelstandsfamilie mit koreanischen Wurzeln. Kulturelle Differenzen spielen für den indisch-amerikanischen Regisseur Aneesh Chaganty im Grunde keine inhaltliche Rolle. Angesichts der Pubertät seiner Tochter Margot (Michelle La) sieht sich der von Co-Produzent John Cho verkörperte David Kim im Grunde kaum ungewöhnlichen Generationsdifferenzen ausgesetzt. Der Tod der Mutter treibt zunehmend einen Keil zwischen die auf sich alleine gestellten Familienangehörigen. Nach ihrem abrupten Verschwinden muss der Vater feststellen, dass ihm die Gepflogenheiten, Neigungen oder gar das Umfeld seines Nachwuchses fremd geworden sind.
Chaganty unterstreicht sowohl Nutzen als auch Gefahren eines digital verwalteten Lebens. Die Chancen steter Erreichbarkeit, der Spurensuche im angeblich nichts vergessenden Web oder gar des lebensrettenden Notrufs stehen die Verschleierungsmöglichkeiten der eigenen Identität gegenüber. Nicht nur im Hinblick auf die Biografie seiner Tochter wird dem verzweifelten Erzieher zunehmend der Boden unter den Füßen weggezogen. Bald kann er sich nicht mehr sicher sein, wem er noch trauen darf. Gerade dies erweist sich ebenfalls als reizvolle Prämisse des weitaus geschlossener konstruierten »Profile«.
Bekmambetovs letzte Regiearbeit über eine britische Journalistin, die sich eine falsche Internetpersönlichkeit als zum Islam konvertiertes Mädchen aufbaut, bleibt ihrem Vorsatz stärker treu und manipuliert den Zuschauer in der gleichen Richtung, wie es mit der Protagonistin geschieht. Nach einer realistischen, fesselnden ersten Stunde greift Searching dagegen stärker auf die Konventionen des Spannungskinos zurück. Szenen werden gerafft und ein Emotionen unterstützender Score eingesetzt, während Profile nur die von der Protagonistin gerade auf ihren Laptop abgespielten Tracks nutzt. Schwerer wiegen bei Searching allerdings einige unglaubwürdige Wendungen im Finale, die dem realistischen Ansatz des Stoffs zunehmend in den Rücken fallen.
Für Timur Bekmambetov liegt in dem unkonventionellen Ansatz des Erzählens die Zukunft des Kinos. Immerhin besitzen Searching und Profile jenseits ihrer High-Tech-Machart über den Missbrauch von Vertrauen, Manipulation und die Gefahren des Netzes jenen emotionalen Kern, der den Zuschauer in den Alltag der Charaktere hineinzuziehen vermag. Ob man diesen Ansatz endlos ausbauen kann (mit angekündigten Projekten wie »Unfollowed« oder »Liked«), hängt allein von der Stärke der Stoffe ab.