Brasilien/D 2019 · 140 min. · FSK: ab 12 Regie: Karim Aïnouz Drehbuch: Murilo Hauser Kamera: Hélène Louvart Darsteller: Carol Duarte, Júlia Stockler, Gregório Duvivier, Bárbara Santos, Flávia Gusmão u.a. |
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Die vermeintliche Bestimmung der Frau (Foto: Piffl Medien) |
Die flirrenden, satten Bilder der französischen Kamerafrau Hélène Louvart sind pure Kinematografie. Sie lassen uns den Schweiß in diesem »tropischen Melodram«, wie der brasilianische Regisseur Karim Aïnouz seinen Film beschreibt, riechen, sie leuchten vor Farben, sind der verheißungsvolle, aber niemals bedeutungsschwangere Ausdruck für die dramaturgischen Linien, denen wir, beginnend im Rio de Janeiro des Jahres 1950, folgen.
Als Guida (Julia Stockler) nach Brasilien heimkehrt, hochschwanger von einer Affäre mit einem Griechen, dem sie aufs Boot in seine Heimat gefolgt war, ist das Elternhaus in gleißendes Gegenlicht getaucht, der Wind bläht die Vorhänge. Die Mutter nimmt die Tochter in die Arme, endlich wieder, doch die Bilder sind unruhig und aufgewühlt. Sturmböen lassen die Gewächse im tropisch grünen Garten tanzen, »Wie lustig, erst hat die Sonne geschienen, jetzt regnet es«, sagt Guida noch, bevor der Vater Manoel (António Fonseca) explodiert. »Ein Bastard-Enkel?!«, brüllt der. »Du bist nicht mehr meine Tochter!«.
Der »Portugiese, der im letzten Jahrhundert lebt«, wie Guida ihren alten Herren gegenüber ihrer geliebten Schwester Eurídice (Carol Duarte) einmal frech nennt, wirft sie raus. Endgültig, und lässt sie mit der Lüge alleine, dass ihre Schwester nichts mehr von ihr wissen will und ihren Traum vom Klavierstudium am Konservatorium in Wien lebt. Genau daraus ergibt sich ein wesentliches Drama des Films: Dass die beiden Frauen nicht voneinander wissend nebeneinander her weiter in Rio leben. Die Briefe, die Guida an die Schwester schreibt, lässt der Vater verschwinden.
Der brasilianisch-algerische Regisseur beherrscht die Klaviatur des Melodrams in traumwandlerischer Perfektion. In Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão zielt er mit sinnlichen Bildern und einem nicht weniger sinnlichen akustischen Teppich aus Streichern und Klavier auf das große Gefühl, auf die Sehnsucht in all ihren Facetten, die wächst in dieser sich über die Jahre entwickelnden Geschichte. Die Spuren des Lebens graben sich regelrecht in die Gesichter von Carol Duarte und Julia Stockler. Beide spielen ihre erste Kinohauptrolle mit erschlagender Natürlichkeit und feinen Nuancen.
Ausgehend von jenem familiären Riss, handelt der Film von ungewollten Kindern, unerwünschten Lebensentwürfen, konservativen gesellschaftlichen Normen und Rollenvorstellungen. Diese großen Themen münden in eine bittersüße, epische Erzählung. Der von Martha Batalhas Roman »Die vielen Talente der Schwestern Gusmão« inspirierte Film ist zugleich subtil und direkt, leicht und schwer (Drehbuch: Murilo Hauser). Und er ist weit entfernt von Kitsch und blumiger Schwülstigkeit. In Cannes erhielt Aïnouz für seinen Balanceakt den Hauptpreis der Sektion »Un Certain Regard« und wurde als brasilianischer Beitrag für die Kategorie bester internationaler Film eingereicht, hat es aber leider nicht auf Shortlist geschafft
Vor allem aber ist Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão die Geschichte von Frauen, die, umgeben vom Machismo, ihr Ding machen wollen (und müssen). »Ich habe erfahren, was es heißt, eine Frau in dieser Welt zu sein«, schreibt Guida ihrer Schwester gleich am Tag nach der Geburt des Sohnes. In dieser Welt hat die Frau ihre Unschuld bis zur Hochzeitsnacht zu bewahren, sich dem Mann hinzugeben, liebende Ehefrau und Mutter zu sein.
Dass Selbstverwirklichung damit schwer zu vereinbaren ist, erleben die beiden Schwestern am eigenen Leib. Eurídice, die sich in eine Ehe mit Antenor (Gregorio Duvivier) drängen und von ihm ungewollt schwängern lässt, dabei ihre Musikerkarriere nicht aufgibt. Und Guida, die ein Außenseiterleben führt, sich als Schweißerin in einer Werft über Wasser hält und in der Nachbarin und Babysitterin Filomena (Bárbara Santos) eine Verbündete findet. »Du scheißt also einen Fötus aus und dann gehst du tanzen«, sagt Filomena schnippisch und bewundernd zugleich. Eine Freundschaft fürs Leben entsteht.
So unterschiedlich es den Schwestern auch ergeht: im Kern widerfahren ihnen ähnliche Dinge, haben sie mit den gleichen Konflikten zu kämpfen. Wie ein Motiv zieht sich diese Spiegelung auch visuell durch den Film, wenn er uns immer wieder durch Spiegel auf die Frauen blicken lässt.
So schreitet der Film durch die Jahre, lässt uns in dramaturgisch auf den Punkt inszenierten Spotlights am Leben der beiden Schwestern teilhaben, ordnet das Geschehen mit einem Satz oder einer geschickten Montage ein und macht uns zu ihren Verbündeten, ohne darum heischen zu müssen.
Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão ist kein Thesenfilm, sondern das zarte Porträt einer ungewollten Trennung. Das weibliche Empowerment ist hier intrinsisch, keine aufgesetzt wirkende Zeitgeist-Attitüde. »Ein ganzes Leben. Zusammen«, schreibt Guida in einem Brief. Ein Satz, der einem den Atem verschlägt.