Schweden/Großbritannien 2012 · 86 min. · FSK: ab 0 Regie: Malik Bendjelloul Drehbuch: Malik Bendjelloul Musik: Rodriguez Kamera: Camilla Skagerström Schnitt: Malik Bendjelloul |
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Poesie einer unglaublichen Geschichte |
Sugar man, won‘t you hurry
'cos i‘m tired of these scenes
For a blue coin won‘t you bring back
All those colors to my dreams.
Sugar Man (Rodriguez, Cold Fact, 1970)
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Die Geschichte ist dermaßen unglaublich, nein nicht nur unglaublich, schlichtweg verrückt & apokalyptisch kitschig, so voller Poesie, dass sie eigentlich nur ein (Spiel)-Film sein kann. Aber niemand, wirklich niemand würde sich je trauen, so etwas zu produzieren. Weil es so etwas eigentlich nicht gibt. Gibt es aber. Und weil nicht als Spielfilm, gibt es die Geschichte als Dokumentarfilm. Das macht es, zugegeben, noch schwieriger. Denn dazu gehört, dass das Erste, nein das Zweite – denn erst müssen einfach diese schwer zu kontrollierenden emotionalen Wasserfälle in irgendeiner Art abgelaufen sein – also dazu gehört, dass jeder nach diesem Film erst einmal recherchieren wird. Stimmt das alles? Oder ist das wieder nur eine dieser beknackt beglückenden Mockumentaries, wie kürzlich Fraktus?
Man muss das Außergewöhnliche nicht erst erfinden. Es gab Sixto Rodriguez. Er nahm Anfang der 1970er in Detroit zwei Platten auf. Seine Produzenten schwärmten, aber die Platten floppten und Rodriguez verschwand wieder. Wovon allerdings weder Rodriguez noch seine Produzenten scheinbar etwas wussten: seine Alben verkauften sich durchaus, allerdings in Südafrika; sein Song Sugar Man erreichte Platinstatus und für die meisten Südafrikaner ist Rodriguez bis heute berühmter als Elvis oder die Stones. Mehr noch beeinflussten Rodriguez politische und gesellschaftskritische Texte eine weiße Anti-Apartheidbewegung, die sich gerade erst zu etablieren begann und nach Vorbildern für den Protest suchte – und sie bei Rodriguez fand.
Mit der Erinnerung an diese Zeit beginnt Malik Bendjelloul in seinem dokumentarischen Langfilmdebüt Searching for Sugar Man die Fäden seiner Geschichte zu spinnen. Zwei Südafrikaner erinnern sich Mitte der 1990er an die frühen 1970er und ihr musikalisches Idol, von dem nicht viel mehr bekannt ist, als das, was auf den Plattencovern steht: Titel, Songs, ein Foto. Und noch etwas ist bekannt: Rodriguez hat sich auf einem letzten Konzert entweder erschossen oder mit Benzin übergossen und verbrannt. Trotzdem wollen Stephen Segerman und Craig Bartholomew-Strydrom die ganze Geschichte wissen: Warum hat sich Rodriguez umgebracht, warum war er in Südafrika erfolgreich, aber in den USA nicht und wohin sind die Gelder aus den Plattenverkäufen in Südafrika geflossen? Die Antworten verändern nicht nur das Leben der Fragesteller auf völlig überraschende Art und Weise. Eine ungewöhnlich präzise und dann wieder poetische Kamera folgt den Fragestellern von Kapstadt nach Detroit und wieder zurück. Wegen der frappierenden und völlig verblüffenden Dramatik, die diese Suche und den Film ausmacht soll an dieser Stelle allerdings nicht mehr erzählt werden, als das Bendjelloul nicht auf alle gestellten Fragen eine Antwort findet. Und wenn überhaupt Kritik an diesem erstaunlichen Debüt angebracht ist, dann an dieser Stelle: der mitunter doch etwas zu hohen Taktzahl an Fragen und nicht zu Ende erzählten Antworten und einer etwas zu niedrigen Frequenz an Momenten mit Sixto Rodrigues selbst und dem alten Detroit der 1970er.
Ein Grund dafür mag allerdings vor allem der schwierigen Finanzierung des nicht nur auf dem Sundance Film Festival mit Preisen ausgezeichneten Films geschuldet sein, der erst durch das Einspringen von Simon Chinn, dem Produzenten von Man on Wire, fertiggestellt werden konnte.
Wie Man on Wire erzählt auch Searching for Sugar Man mehr als nur eine Geschichte: Da ist zum einen die an sich schon tragende und tragische Geschichte vom nicht abgeholten Lottogewinn, von den Sehnsüchten in jedem von uns: nach einem besseren Leben, einer besonderen Aufgabe, einem Traum, der wie Joseph Conrads Lord Jim immer weiter, bis zum Ende, geträumt wird. Aber da sind auch die Vignetten gnadenlosen (Un-)Glücks im Musikgeschäft und was Leben mit und ohne Musik in Detroit bedeutet hat und heute noch bedeutet. Da ist die erstaunliche Geschichte der weißen Anti-Apartheidsbewegung, Historie und Gegenwart, beklemmend und befreiend und dann natürlich und vor allem die unfassbare Geschichte eines souveränen, bescheidenen, aber dennoch glücklichen Lebens, das wie dieser Film fast zu schön ist, um wahr zu sein.