September & July

September Says

IRL/F/GB/D 2024 · 96 min. · FSK: ab 16
Regie: Ariane Labed
Drehbuch:
Kamera: Balthazar Lab
Darsteller: Mia Tharia, Rakhee Thakrar, Pascale Kann, Niamh Moriarty, Cal O'Driscoll u.a.
September Says
Die merkwürdigen Schwestern
(Foto: MUBI)

Symbiotische Schwesterbeziehung

Das Regiedebüt von Ariane Labed »September Says« balanciert mit Horror-Elementen eine Schwesternbeziehung aus

Die grie­chi­sche Schau­spie­lerin Ariane Labed zählt zu den bekann­testen Gesich­tern der Neuen Welle des grie­chi­schen Kinos. Die Ehefrau des renom­mierten Regis­seurs Yorgos Lanthimos wirkte in mehreren seiner Filme wie Alpen oder The Lobster mit, 2010 gewann sie bei den Film­fest­spielen in Venedig den Preis als beste Schau­spie­lerin in dem Film Attenberg ihrer Landsfrau Athina Rachel Tsangari. Nachdem Labed einige Kurzfilme reali­siert hatte, wagte sie sich zuletzt an ihr Lang­film­debüt, zu dem sie auch das Drehbuch schieb. Als Vorlage diente der 2020 publi­zierte Roman »Die Schwes­tern« der jungen briti­schen Schrift­stel­lerin Daisy Johnson. Mit der fran­zö­sisch-deutsch-irisch-briti­schen Kopro­duk­tion gelang Labed auf Anhieb der Sprung in die renom­mierte Neben­reihe »Un Certain Regard« von Cannes.

Die briti­schen Schwes­tern September (Pascale Kann) und July (Mia Tharia) stehen einander sehr nahe, obwohl sie höchst verschieden sind. Während die jüngere July schüch­tern, einfühlsam, etwas naiv und weltoffen ist, tritt die nur zehn Monate ältere September oft ruppig und dominant auf und misstraut ihren Mitmen­schen. Wenn July mal wieder in der Schule gemobbt wird, schreckt September nicht vor aggres­siven Taten zurück, um die Schwester zu beschützen. In der symbio­ti­schen Beziehung zwischen den Schwes­tern gibt September den Ton an: Immer wieder spielen sie »September sagt«, was bedeutet, dass July allerlei kindische, aber auch gefähr­liche Befehle von ihr ausführen muss. Die beiden kommu­ni­zieren oft allein mit tieri­schen Lauten und Gesten und bewegen sich so in einem eigenen Mikro­kosmos, der auch ihrer Mutter Sheela (Rakhee Thakrar) fremd bleibt.

Die allein­er­zie­hende Foto­grafin bindet die Mädchen in ihre Arbeit ein, indem sie sie häufig zusammen vor der Kamera in Kostümen posieren oder herum­al­bern lässt. Sheela, die offenbar eine toxische Beziehung zum Kinds­vater hinter sich hat, lässt den Töchtern viele Frei­heiten, wirkt aber manchmal auch ratlos oder über­for­dert. Als July abermals Opfer einer Schü­ler­in­trige wird, rastet September aus und tritt den Peinigern mit einem Messer gegenüber. Nach einer Schwarz­blende sehen wir, wie Mutter und Töchter zu einem Feri­en­haus in Irland fahren. Als July dort erste erotische Erfah­rungen macht, wird das enge Verhältnis der Schwes­tern auf eine harte Probe gestellt.

Das einfühl­same Fami­li­en­drama lässt sich im ersten Drittel viel Zeit, um das Bezie­hungs­dreieck zwischen Schwes­tern und Mutter zu etablieren und auszu­leuchten. Mit dem Wechsel des Schau­platzes an die irische Küste kommt durch neue Begeg­nungen mehr Dynamik in die fami­liären Bindungen: Die Mutter bean­sprucht »etwas Zeit« für sich und lässt sich auf ein sexuelles Abenteuer mit einer Knei­pen­be­kannt­schaft ein, während ein Junge aus der Nach­bar­schaft die Mädchen zu einer nächt­li­chen Strand­party am Lager­feuer einlädt. Darüber hinaus reichert Labed den Aufent­halt der Familie im Haus von Sheelas Schwä­gerin mit einer surreal wirkenden Szene mit zwei tieri­schen Besuchern in der Küche an, bei der unklar bleibt, ob Sheela die Begegnung viel­leicht nur träumt oder phan­ta­siert. Am stärksten jedoch wirkt der dritte Akt, wenn die mehr oder weniger latenten Konflikte eska­lieren und das Drama eine uner­war­tete Wendung nimmt.

Für die subku­tanen Span­nungen zwischen den unzer­trenn­li­chen Schwes­tern, deren Beziehung zwischen Gebor­gen­heit und Abhän­gig­keit, Macht­be­wusst­sein und Unter­wer­fung changiert, findet Kame­ra­mann Balthazar Lab immer wieder atmo­sphärisch dichte Bild­kom­po­si­tionen, etwa wenn September sich von July am Strand eingraben lässt, bis nur noch der Kopf mit den halb­kreis­förmig drapierten Haaren aus dem Sand heraus­schaut.

Die Debüt­re­gis­seurin reichert ihr Werk mit etlichen Zitaten und Verweisen auf die Film­ge­schichte an. Schon in der Auftakt­se­quenz sehen wir, wie die Mutter ihre beiden Töchter so schminkt, ankleidet und aufstellt, dass sie an die Grusel­zwil­linge aus Stanley Kubricks Horror­klas­siker Shining (1980) erinnern. Das symbio­ti­sche Verhältnis von July und September und ihre eroti­schen Aufwal­lungen wecken Remi­nis­zenzen an Sofia Coppolas Romantik-Thriller The Virgin Suicides (1999). Zudem lassen die frap­pie­renden Aggres­si­ons­im­pulse von July an die Zwillinge in Brian de Palmas Horror-Thriller Sisters (1973) denken. Und natürlich lassen sich auch Anre­gungen aus Lanthimos’ düster-absurden Film­sa­tiren nicht übersehen.

Labed hält das Geschehen zwischen­zeit­lich immer wieder in der Schwebe und offeriert uns insze­na­to­ri­sche Leer­stellen. So bleibt unklar, warum die exzen­tri­sche, aber offenbar labile Sheela ihren Töchtern so wenig seeli­schen Halt geben kann. Außerdem erfährt man leider zu wenig über die Span­nungen in der Ehe mit dem früh verstor­benen Kinds­vater, den September einmal als »Stören­fried-Krawall­ma­cher« bezeichnet. Folge­richtig bleibt die Figur der Mutter blass und weit­ge­hend passiv und gibt Rakhee Thakrar nur wenig Spielraum zur Entfal­tung. Dafür spielen Pascale Kann und Mia Tharia als ungleiche Schwes­tern umso beherzter auf, vor allem dann wenn die Realität sie aus ihrer träu­me­ri­schen Zwei­sam­keit heraus­reißt.