USA 2015 · 118 min. · FSK: ab 12 Regie: Tarsem Singh Drehbuch: David Pastor, Àlex Pastor Kamera: Brendan Galvin Darsteller: Ryan Reynolds, Natalie Martinez, Matthew Goode, Ben Kingsley, Victor Garber u.a. |
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Er ist nicht mehr er selbst: Ryan Reynolds. Wer's glaubt… |
Während das Science-Fiction-Genre erst kürzlich durch das visionäre Kammerspiel Ex Machina originelle Impulse erhalten hat, zeigt Tarsem Singhs neueste Regiearbeit Self/less – Der Fremde in mir, wie man interessante Gedankenspiele und ethisch-moralische Fragestellungen durchweg oberflächlich angeht. Hier werden große thematische Geschütze aufgefahren, allerdings nie ernsthaft vertieft, sodass die reizvolle Grundidee zusehends verpufft. Ausgangspunkt des Films ist der seit Ewigkeiten existierende Wunsch des Menschen nach Unsterblichkeit, der bereits in unterschiedlichsten Erzählungen – literarischer wie filmischer Natur – als Handlungsmotor diente.
Welchen Preis müssen wir zahlen, wenn wir beliebig lange leben wollen und uns anschicken, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen? In Self/less ist es zunächst einmal ein stattliches Vermögen, das der unheilbar erkrankte Immobilientycoon Damian Hale (betont unterkühlt: Ben Kingsley) aufbringen muss, um den Traum vom Weiterleben wahr werden zu lassen. Behilflich ist dem rücksichtslosen Geschäftsmann der Wissenschaftler Albright (distinguiert und sinister zugleich: Matthew Goode), dessen geheim operierendes Unternehmen zahlungskräftigen Kunden die Verlängerung ihres Daseins möglich macht. Mittels eines medizinischen Verfahrens – Shedding genannt – wird das Bewusstsein des Patienten in einen anderen, jüngeren Körper übertragen. So auch im Falle Damians, der nach erfolgreichem Eingriff zu einem virilen Aufreißer mutiert und unter dem Namen Edward (nun: Ryan Reynolds) ein neues Leben beginnt. Als er jedoch die Pillen, die ihm Albright gegen mögliche Nebenwirkungen verschrieben hat, nicht mehr regelmäßig einnimmt, wird der junge Mann plötzlich von unheimlichen Erinnerungen geplagt, denen er auf den Grund zu gehen versucht – was ihn rasch in tödliche Gefahr bringt.
Eigentlich klingt das Angebot des Wissenschaftlers zu schön, um wahr zu sein. Immerhin führt Albrights Firma nicht nur den Umwandlungsprozess durch, sondern kümmert sich auch um alle sonstigen Vorkehrungen. Der natürliche Tod des Protagonisten wird glaubhaft vorgetäuscht, das Aufbautraining nach dem Eingriff ausführlich begleitet und das neue Leben samt schicker Behausung sorgsam vorbereitet. Der Haken an der Sache: Albrights Augen sind überall. Bevor die Bedrohung aber konkret Gestalt annimmt, lässt Singh den Zuschauer in schnell geschnittenen Bildabfolgen an Edwards rauschhaftem Alltag – bestimmt von Partys und Affären – teilhaben. Gebrochen werden der Exzess und die Sorglosigkeit schließlich durch das Auftauchen der ersten Visionen, die darauf hindeuten, dass das bahnbrechende Shedding ein dunkles Geheimnis birgt.
Genau an dieser Stelle treffen Regie und Drehbuch – verfasst vom spanischen Brudergespann Àlex und David Pastor – eine Entscheidung, die den dystopischen Gehalt des Films zunehmend schmälert. Stehen anfangs noch faszinierende Überlegungen – etwa die elitäre Sichtweise Albrights oder die Beziehung zwischen Körper und Geist – im Raum, weichen diese Betrachtungen auf einmal bleihaltige Auseinandersetzungen und rasanten Verfolgungsjagden. Mehr und mehr wandelt sich der Scifi-Thriller zu einem Actionreißer, der trotz unübersehbarer Logiklöcher (Warum schießen Albrights Schergen alles kurz und klein, wo die Firma doch absolute Geheimhaltung anstrebt?) halbwegs spannend bleibt, die Grundthematik jedoch zunehmend aus den Augen verliert. Verwundern muss es daher nicht, dass Self/less am Ende eine kitschig-banale Postkartenidylle beschwört und auf diese Weise fast alle aufgeworfenen Irritationen zerstört.
Ähnlich unausgereift fällt auch die visuelle Gestaltung des Films aus, selbst wenn Tarsem Singh im Anfangsdrittel mehrmals sein Gespür für eigenwillig-betörende Bilder aufblitzen lässt. Etwa als der kranke Damian Blut auf seinen Computerbildschirm hustet oder aber in seinem prunkvollen New Yorker Loft in einem Meer aus goldenen Farben versinkt. Betont futuristisch wirkt Albrights Forschungs- und Behandlungszentrale, die sich in einer alten Lagerhalle befindet und aus einer Planen-Konstruktion besteht. Ist der Action-Motor einmal angeworfen, muss sich der Betrachter allerdings zumeist mit wenig originellen, zweckhaften Bildern begnügen. Was durchaus überrascht, wenn man bedenkt, dass Singh bislang vor allem für optischen Ideenreichtum stand.
Alle Menschen sind sterblich – aber wie lange wohl gilt das noch? Nicht nur leben wir alle immer länger – längst gibt es ganz ernstgemeinte Experimente, um den Tod als solchen per Hightech zu überwinden.
Mittlerweise gibt es auch im realen Leben eine Chance auf Unsterblichkeit: »Induzierte pluripotente Stammzellen« nennt sich dieses Verfahren. Hoffnungsträger sind körpereigene Stammzellen, die künstlich eine Re-Programmierung von Zellen vornehmen. Weltweit führen Universitäten und Forschungszentren Studien auf diesem Gebiet durch. Die Büchse der Pandora scheint geöffnet. Und wieder einmal steht unsere Zivilisation vor existentiellen Fragen.
Mit solchen realen Hintergründen spielt nun Self/less von Tarsim Singh. Im Zentrum steht ein superreicher amerikanischer Oligarch: Damian Hayes kann sich für sein Geld nahezu alles kaufen, aber nicht Gesundheit und das ewige Leben. Oder doch? Als Damian von einer tödlichen Krebserkrankung erfährt, ist ihm jedes Mittel recht, und er läßt sich auf einen Deal mit einer dubiosen Organisation ein. Diese bietet Reichen – natürlich gegen viel Geld – einen neuen, jungen Körper für ein – neues? weiteres? – Leben an. Hayes, ganz Geschäftsmann, kalkuliert und willigt ein ins »Shedding«.
Für den Rest der Welt, seine einzige, aber ihm entfremdete Tochter (Michelle Dockery) und seine wenigen Freunde, stirbt er. Tatsächlich wird Hayes Hirn für 250 Millionen Dollar in den Körper eines jungen Sportlers transplantiert. Bis dahin spielte Ben Kingsley den Milliardär, mit der Selbstverständlichkeit eines mächtigen, überaus boshaften Zynikers, nach der Operation übernimmt Ryan Reynold den Part – auch das eine schillernde, nicht uninteressante
Transformation.
Der Clou dieses Szenarios liegt nun darin, dass es gar nicht so sehr um die Frage des ausbleibenden Todes geht, als um eine biologische wie soziale Wiedergeburt. Ein weiterer Aspekt ist natürlich die Frage, ob ein Mensch natürlich derselbe bleibt, obwohl er in einem neuen Körper lebt. Schließlich glaubt man heute an die Existenz eines »Körpergedächtnisses«, und viele Mediziner vertreten ganzheitliche Menschenbilder, in denen Leib und Geist sich nicht trennen
lassen.
Filmfigur Hayes aber erlebt zunächst mit neuer Identität und hübschem Körper einen kompletten Neustart ihres Lebens. Ausgerechnet in New Orleans, der Stadt vieler Hollywood-Horrorfilme, verbringt sie ein paar tolle Tage als Playboy – denn sein Geld konnte der Mann glücklicherweise mitnehmen. Doch dann gibt es Probleme: Das Leben des Körperspenders schleicht sich in Hayes' Existenz ein, er wird von Albträumen geplagt, und Rückblenden erinnern ihn an die Frau des anderen (Natalie Martinez) und deren gemeinsame kleine Tochter, die auch noch krank ist. Wie der deutsche Untertitel sagt: Ein Fremder schleicht sich in einen Körper ein, Leib kämpft gegen Hirn.
Tarsem Singh, der amerikanische Regisseur indischer Herkunft, ist seit The Cell und The Fall bekannt für Geschichten, die mit der Phantasie des Zuschauers spielen, und seine Wahrnehmung bewusst verwirren: Wer ist hier wer? Wer will hier was? Mit Self/less gelingt Singh ein Film, der weit über ein Durchschnittsprodukt hinausgeht, ein spannender Science-Fiction und eine Geschichte, die viele Facetten verbindet, und sich vage von einem 50 Jahre alten Film inspirieren lässt: John Frankenheimers Seconds, in dem Rock Hudson die Hauptrolle spielte. Der ist ein Paranoia-Thriller, der psychologisiert, noch kein Körpergedächtnis kennt, aber mit subjektiver, ganz hervorragender Kamera kafkaeske Szenarien kreiert: Ein Mann, reich, aber weit entfernt von Miliarden, der in eine Art Anstalt – ein »Schloss« – gerufen wird, wo ihn jeder kennt, und man ihm, seine heimlichen Phantasien auf Ausbruch aus der Angestelltenexistenz ausnutzend, einen neuen Körper gibt, plus Künstlerexistenz – doch wieder sagen ihm andere, was er tun und lassen soll. Das auf Effizienz gepolte, Orwell-artige System ist nicht zu besiegen – am Ende wird der Alte im Rock-Hudson-Körper getötet.
Singh gelingt es auch in diesem Film wieder, visuell aufregende Momente und ungesehene Bilder zu kreieren. Zugleich wandelt sich sein Film zunehmend in einen Psycho-Thriller a la Hitchcock.
Nur gegen Ende mischen sich in das utopische Szenario ein paar Merkwürdigkeiten: Für Genrekenner vorhersehbar verliebt sich natürlich Hayes Tochter in den Körper mit dem Geist des Papas – eine wechselseitige Inzestphantasie. Zudem gibt es gegen einen seltsamen moralisierenden Grundton: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Der Traum vom ewigen Leben darf nicht schön enden, nicht belohnt werden, und ein Mensch darf in Hollywood zumindest nicht aus Hirn allein bestehen.