Südkorea 2007 · 142 min. · FSK: ab 12 Regie: Lee Chang-dong Drehbuch: Lee Chang-dong Lee, Yi Chong-jun Kamera: Cho Yong-kyou Darsteller: Jeon Do-yeon, Song Kang-ho, Jo Yeong-jin, Ko Seo-hie, Kim Yeong-jae u.a. |
||
Emotionale Achterbahnfahrt |
Das erste, was wir sehen, ist ein Blick. Ein Kind wirft ihn auf den strahlendblauen Himmel, durch das Autofenster des Wagens seiner Mutter. Die steht draußen und telefoniert. Nur dumpf hört man ihre Stimme, und durch das leicht verzerrende Fensterglas bekommt auch die Natur da draußen etwas seltsam Künstliches, Entrücktes, auch eine ganz subtil bedrohliche Note. Man kann diese ersten Augenblicke in mehrfachem Sinn als Vorwegnahme dessen begreifen, was folgen wird. Jun, der kleine Junge im Auto, ist bereits nicht mehr ganz von dieser Welt.
Auch Secret Sunshine ist ein Film, den man je nach Perspektive, sehr verschieden verstehen kann, was auch daran liegt, dass er seine Tonlage mehrfach und mitunter sehr abrupt verändert: Als realistisches bescheidenes Provinzportrait, als Gesellschaftkomödie, als Horrorfilm, als Religionssatire, vor allem aber als Melodram. Dabei ist der Film keineswegs unentschieden oder zögernd, vielmehr entfaltet Lee Chang-dong, ein führender Vertreter von (Süd-)Koreas »neuer Welle« Ende der 90er Jahre, der mit Filmen wie Peppermint Candy (1999) oder Oasis (2002) berühmt wurde, und zwischendurch auch mal zwei Jahre als Kulturminister amtierte, einfach die Facetten seiner, Geschichte – wie die Hauptfigur erlebt so auch der Betrachter eine mitreißende emotionale Achterbahnfahrt.
Alles beginnt mit der Ankunft einer jungen Witwe in einem Provinznest. Nach dem Tod ihres Mannes zieht sie aus der koreanischen Hauptstadtmetropole Seoul in den Süden, in dessen ihr selbst unbekannte Geburtsstadt, um dort zusammen mit ihrem kleinen Sohn neu anzufangen. Der Name dieses Kaffs von unscheinbarer Hässlichkeit, Milyang (übersetzt Secret Sunshine), gibt dem Film seinen nicht ganz unironisch gemeinten Titel. Einst war diese Shin-ae eine hoffnungsvolle Nachwuchspianistin, nun will sie ganz im unspektakulären Leben aufgehen. Man muss es fast »spießig« nennen in seiner kleinbürgerlich Enge, seiner Entsagungshaltung gegenüber allen Wünschen nach »mehr« und tieferer Bedeutung. Sie macht eine Klavierschule für Kinder auf, und versucht, sich in den Alltag der Einheimischen zu integrieren. Man sieht, wie schwer ihr das fällt. Dass sie manchmal die falschen Dinge sagt, dass sie nicht an sich halten kann, und ihren modernen Geschmack, ihre höhere Bildung ein wenig zu deutlich zeigt. Sie wird es schwer haben, nicht »die Neue«, die Außenseiterin zu bleiben.
Zugleich lernt man das Leben in der Gemeinde kennen: Die Klatschweiber im Lebensmittelladen, die über »die Städterin« und ihre mitunter etwas anderen Manieren lästern; die bigotten Apotheker, die bei jedem Besuch missionieren und versuchen, sie für eine evangelikale Sekte zu gewinnen. Oder der Handwerker Kim, der sein ganzes Leben in Milyang verbracht hat, und Shin-ae von Anfang an mit guten Ratschlägen und praktischer Hilfe zur Seite steht. Er ist ein großes Kind, das Shin-ae ungelenk den Hof macht, sich überhaupt oft daneben benimmt – und der Auftritt des Schauspielers Song Kang-ho, ist voller Komik. Überhaupt muss hier betont werden: Mag Secret Sunshine auch an der Oberfläche eine ernste Geschichte erzählen, ist dies doch zugleich ein sehr komischer Film, geprägt von warmherzigem Humor und einem lebensklugen, mitunter auch offen sarkastischen, aber nie zynischen Blick auf die Schwächen der Menschen.
Eine ganze Weile schaut der Film also einer zarten bescheidenen sympathischen jungen Frau, einfach dabei zu, wie sie diskret eine neue Existenz anfängt und versucht wieder Tritt im Leben zu gewinnen. Doch wer die Filme von Lee Chang-dong kennt, ahnt, dass es nicht so bleiben kann. Und spätestens, wenn man sich das Vergnügen macht, den Film ein zweites Mal zu sehen, wird man die subtil gesetzten Zeichen bemerken, die die Kleinstadt einmal nicht als Ort der Geborgenheit, sondern des Unbehausten, Beunruhigenden zeigen, und früh vorwegnehmen, was folgt.
Denn tatsächlich schlägt eines Tages das Schicksal wieder zu: Mitten in der Idylle wird Shin-aes sechsjähriger Sohn entführt! Die Mutter zahlt Lösegeld, doch trotzdem wird der Sohn kurz darauf tot aufgefunden, der Mörder verhaftet. Der Film interessiert sich auch gar nicht für die kriminalistischen Aspekte des Falles, sondern dafür, wie die Mutter mit diesem Schicksalsschlag fertig wird, und wie ihre Umgebung reagiert. Gerade die Menschen der Kleinstadt, die sich zuvor noch so hilfsbereit gegeben hatten, ziehen sich nun scheu ins Private zurück, lassen die junge Trauernde, die in ihrer Agonie vor allem stört, allein.
So sucht sie Trost bei den Evangelikalen. Doch auch der entpuppt sich als vordergründig und im Ernstfall bald wertlos. Die Passage in der die beiden Ungleichen Shin-ae und ihr nachbarlicher Freund und Helfer einen Gottesdienst der Gemeinde betreten, und ganz im Hier und Jetzt zwischen lauter Entrückten vor allem irritiert die Absurdität der Szenerie wahrnehmen, ist ein Meisterstück subtiler Komik. Im Verlauf des Film übt Secret Sunshine immer deutlichere Kritik an Kirchen, Gläubigen und der Heuchelei praktisch gelebter Religion. So bekehrt sich auch der Kindsmörder zum Glauben, und tritt Shin-ae, die kommt, um mit ihm zu reden und ihm zu vergeben mit der arroganten Gewissheit entgegen, Gott habe ihm bereits vergeben. Auch hier also wird Shin-ae keinen Trost finden. Trotzdem gibt Lee in diesem beeindruckend souverän inszenierten, lebensklugen Panorama menschlicher Verhaltensweisen, den Glauben selbst nicht völlig preis. Denn möglicherweise muss man Shin-ae einfach als modernen Hiob verstehen.