Großbritannien/F 2015 · 85 min. · FSK: ab 0 Regie: Richard Starzak, Mark Burton Drehbuch: Richard Starzak, Mark Strong Musik: Ilan Eshkeri Kamera: Charles Copping, Dave Alex Riddett Schnitt: Sim Evan-Jones |
||
Überraschend spannend & konsequent überraschend |
Selten war ein Spin-off so erfolgreich. So erfolgreich, dass es schon einer gewissen mentalen Kraftanstrengung bedarf, sich die Anfänge von »Shaun dem Schaf« noch einmal zu vergegenwärtigen. War es wirklich schon 1995, als »Shaun« erstmals auftrat und BBC2 am Heiligen Abend die höchsten Quoten des Jahres einbrachte? Damals war »Shaun« allerdings nur in einer Nebenrolle zu sehen, allerdings einer entscheidenden, denn »Shaun« war es, der Gromit in dem Kurzfilm Unter Schafen von dem Verdacht befreite, ein Schafdieb zu sein.
Inzwischen sind Wallace & Gromit Filmgeschichte, aber Shaun das Schaf lebt. Seit 2007 im Fernsehen die ersten Kurzfilmfolgen von rund sieben Minuten ausgestrahlt wurden, ist die Serie zu einem erstaunlichen Erfolg geworden. Die in England ansässigen Ardman-Studios verkaufen ihre mit aufwändiger Stop-Motion-Technik produzierten »Shaun«-Filme inzwischen in 170 Länder – auch in solche, die mit den britischen Wurzeln von Shaun offensichtlich wenig gemein haben. Und es geht sogar darüber hinaus: im Nahen Osten gibt es »Shaun« inzwischen nicht nur im Fernsehen, sondern auch als erfolgreiche Bühnenshow.
Der Erfolg liegt wohl auch darin begründet, dass »Shaun« nicht ganz so explizit »britisch« verpackt wird wie damals Wallace & Gromit. Denn Bauern, Schafe und Hunde gibt es überall und auch der Kern einer jeden Folge – die gut getimte Abfolge von Slapstick-Elementen ist multikulturell kompatibel, genauso wie die multi- und metalingualen Grunz, Schmatz, Mäh- und Nuschellaute, über die die Hauptdarsteller sich verständigen.
Ein Erfolg, der die Ardman-Studios nun bewogen hat, »Shaun« genauso wie anderen Ardman-Produktionen einen Spielfilm zu spendieren. Aber anders als etwa Ardmans Die Piraten – Ein Haufen merkwürdiger Typen oder die Wallace & Gromit-Filme birgt die Langfilmadaption von Shaun etliche Gefahren: es ist nicht nur das »Stummfilmformat« und die mit bislang nur einem »Slapstickhöhepunkt« doch relativ monodramatisch funktionierenden Kurzfolgen, sondern im Grunde auch die Figur von »Shaun« selbst, die nicht leicht auf die Länge zu adaptieren ist. Denn anders als die meisten Ardman-Figuren hat Shaun keine Augenbrauen, die allerdings wichtig sind, um Emotionen auszudrücken, was über kurze Strecken über Ohren und Arme gut zu kompensieren ist.
Doch die für die Regie zuständigen Richard Starzak und Mark Burton und die 20 Animatoren und 30 Modellbauer leisten Erstaunliches. Nicht nur das Tempo, in der die Produktion entstand – jeder Animator war für zwei bis drei Sekunden Film täglich verantwortlich, was auf zweieinhalb Minuten Laufzeit und 40-50 Einstellungen pro Woche hinausläuft – ist beeindruckend, sondern vor allem die dramaturgische Qualität.
Denn Starzak und Burton erzählen ihre Geschichte vom Bauern, den es in die Stadt verschlägt und der verzweifelt von Shaun und den anderen Schafen und dem Hund Bitzer gesucht wird, so konsequent als lautmalerischen Stummfilm wie auch schon ihre Geschichten in den Kurzfilmen. Sie bereichern die Slapstickdramaturgie allerdings um neues Personal und zahlreiche filmische Anleihen. Starzak und Burton bedienen sich dabei nicht nur für ihre Gags in der klassischen Stummfilmzeit, sondern schaffen mit der charakterlichen Verschmelzung von Buster Keatons mienenlosem Humor und Shauns limitierten Möglichkeiten eine aberwitzige Mutation aus historischer Stummfilmvergangenheit und verkneteter Filmgegenwart.
Damit gelingen selbst in 85 Minuten überraschend spannende, konsequent überraschende und nicht zuletzt abstrus komische Momente, die in ihrem immer wieder auch düsteren Suspense-Anspruch Kindern unter vier Jahren durchaus Probleme bereiten könnten, damit aber wiederum spielerisch den Spagat zwischen den übrigen Film-Generationen meistern. Ein Film also für fast jeden; jedes Alter, jede Kultur, jeden Moment, jedwede Quadratur des Kreises und so weiter und so fort? Geht gar nicht, auch wenn es so wäre! Nein, im Ernst: einen Preis zahlt man immer und der Preis, den die Ardman-Studios für ihren erzählerischen Fokus auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zahlen, ist erwartungsgemäß hoch. Denn die so wohltuend uneindeutige zärtliche Tragik und Melancholie, die vergleichbare Produktionen wie WALL-E, Coraline, Frankenweenie oder Die Boxtrolls auf einer weiteren erzählerischen Ebene gewagt haben, existiert in Shaun das Schaf – Der Film nicht einmal in Ansätzen.