USA 2016 · 87 min. · FSK: ab 12 Regie: Jaume Collet-Serra Drehbuch: Anthony Jaswinski Kamera: Flavio Martínez Labiano Darsteller: Blake Lively, Óscar Jaenada, Angelo Jose, Lozano Corzo, Jose Manual u.a. |
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Nackte Haut, unter und über Wasser |
Endlich – möchte man beinahe ausrufen – versucht sich ein Filmemacher mal wieder an einem echten Hai-Schocker. Nach all den kalkuliert-absurden Trash-Eskapaden, die fröhlich auf der Sharknado-Welle reiten, ist es definitiv Zeit für einen kompromisslosen Survival-Thriller, der dem Spielberg-Klassiker Der weiße Hai unerschrocken nacheifert. Dass dessen Überraschungsmoment und Wucht nicht zu reproduzieren sind, scheint irgendwie in Stein gemeißelt, hat Jaume Collet-Serra (Run All Night, Non-Stop) glücklicherweise aber nicht verschreckt. The Shallows – Gefahr aus der Tiefe, der Lohn seiner Bemühungen, ist ein packend-effektives B-Movie mit einigen wunderschönen Unterwasserbildern, das statt der üblichen männlichen Widerstandsfähigkeit den harten Überlebenskampf einer jungen Frau in Szene setzt.
Fixpunkt des in Hochglanzoptik erstrahlenden, dennoch rau wirkenden Films ist die frühere Seriendarstellerin Blake Lively, die mit einer eindringlichen Performance überrascht. Allein ihr präzise-unaffektiertes Spiel reicht aus, um den Zuschauer an die simple wie gradlinige Geschichte zu fesseln. Den emotionalen Unterbau, den das von Anthony Jaswinski verfasste Drehbuch einzieht, hätte es da gar nicht gebraucht. Lively verkörpert die Medizinstudentin Nancy, die in Mexiko einen abgelegenen Strand besucht, an dem ihre kürzlich verstorbene Mutter während ihrer Schwangerschaft einst gesurft hat. Nach einem Moment des Innehaltens schmeißt sich die junge Frau mit ihrem Brett ins Wasser und lässt sich auf den Wellen treiben. Als Nancy irgendwann den Rückzug antreten will, wird sie von einem Weißen Hai gebissen. Zunächst kann sich die Schwerverletzte auf einen Walkadaver flüchten, den sie wenig später gegen einen kleinen, aus dem Wasser ragenden Felsen eintauscht. Das rettende Ufer befindet sich in Sichtweite. Und doch scheint es für die Studentin kein Entkommen zu geben.
Hat man die anfänglichen, übertrieben auf hip getrimmten Surf-Einlagen im Videoclip-Stil einmal hinter sich gebracht, entfaltet The Shallows eine starke Sogwirkung. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Wendungen und Hindernisse, mit denen Collet-Serra seine Protagonisten konfrontiert. Auch die formale Gestaltung treibt den Puls des Betrachters immer wieder nach oben. Ab und an gewährt uns der Film aus der Vogelperspektive einen Überblick über den verlassen daliegenden Strandabschnitt und kontrastiert diese offenen Einstellungen mit Aufnahmen, bei denen die Kamera der Hauptdarstellerin unnachgiebig zu Leibe rückt. Der kleine Felsen wird so zum Ort eines intensiven Kammerspiels, das nur selten eine Auflockerung erfährt. Ein netter Einfall ist eine verletzte Möwe, die ebenfalls auf dem Riff Zuflucht sucht und deren Name für einige Lacher sorgen dürfte. War es in der modernen Robinsonade Cast Away – Verschollen ein Volleyball, der dem gestrandeten Protagonisten »Gesellschaft« leistete, mutiert hier der flügellahme Vogel zu einem »Gesprächspartner« und Leidensgenossen.
Kein Tierhorrorfilm funktioniert ohne einen gefährlichen Gegner. In diesem Punkt erweist sich Collet-Serra als umsichtiger Genre-Schüler und füttert, ähnlich wie Spielberg, das Publikum erst einmal nur mit Häppchen. Des Öfteren taucht die Rückenflosse ganz unvermittelt auf. Und in einem Bild können wir die schemenhaften Umrisse des Hais in einer Welle ausmachen. Die Bedrohung ist stets präsent und verkommt auch dann nicht zu einem Witz, wenn wir den computeranimierten Raubfisch in voller Pracht bestaunen dürfen. Fliegen dem Zuschauer in Sharknado und dessen Nachfolgern billig getrickste Tiere entgegen, haben wir es in diesem Fall mit einem täuschend echt aussehenden Exemplar zu tun, das die Macher zumindest ein wenig entdämonisieren. Obwohl der Hai partout nicht von Nancy ablassen will, nimmt sich der Film die Zeit, seine Angriffe zu begründen. Immerhin ist die junge Frau, wie sie an einer Stelle selbst erkennt, in sein Revier eingedrungen und erscheint aus seiner Sicht womöglich bloß als Konkurrentin um den toten Wal. Verhältnismäßig subtile Betrachtungen wie diese gehen im Finale komplett verloren, das – warum auch immer – plötzlich auf trashig anmutende Exzesse setzt. Eine Enttäuschung ohne allzu große Folgen. Denn als Gesamtpaket übertrifft The Shallows die meisten Meeresthriller, die auf Spielbergs Spuren wandeln.
Die Konstellation ist einfach und klar: Eine hübsche junge Frau, schlank, mit blonden Haaren und langen Beinen, die vorerst noch beide dran sind. Sie klammert sich allein an einen Felsen im blauen Meer. Einige hundert Meter liegen zwischen diesem Cliff, auf das sich die Surferin gerade noch gerettet hat und dem Uferstrand. Dazwischen ein weißer Hai der sie fressen will.
Dieser Hai ist listig. Er ist aggressiv. Er belauert sein Opfer und lässt nicht locker. Im Gegenteil kommt er auf immer neue Finten. Solche Haie gibt es nicht, außer im Kino. Dieser Hai hier ist also, wie so oft die Monster eines Horrorfilms, eine Metapher.
Steven Spielbergs Der weiße Hai von 1975 ist längst ein Klassiker. Doch darin waren Frauen nur zum Fressen da, verfolgt und besiegt wurde der fiese Fisch dann von drei Männern, deren Hai-Jagd mehr zu einer Selbstsuche a la »Moby Dick« wurde. Diesmal seht eine Frau im Zentrum, die zwar auch Objekt der Hai-Begierde wird, sich aber wehren darf – und kann. So wird der sich
entwickelnde Zweikampf nicht nur zu einem Konflikt zwischen Mensch und Tier, Zivilisation und Natur, sondfern auch zu einem Kampf der Geschlechter.
Bisher hat der spanische Regisseur Jaume Collet-Serra immer männliche Helden ins Zentrum gestellt. Sein neuer Film hat nun endlich eine weibliche Heldin. The Shallows setzt auf den Widerstreit zwischen Verstand und Basic Instinkts und beweist: Auch wenn ein Hai-Film nicht immer so gut sein kann, wie Der weiße Hai, kann er sich trotzdem lohnen.
Wie gesagt, gibt es derartige Haie nicht, außer im Kino – als Metapher. Aber wofür genau? Vielleicht ist der gefräßige Hai eine Metapher für den Mann an sich und die Gefräßigkeit des sexuellen Begehrens, das gerade auf attraktive junge Frauen richtet. Die Gefahr kommt aus der Tiefe – vielleicht allerdings der des Unbewussten.
Es könnte sich aber natürlich auch um eine Metapher für die Herausforderungen des Lebens-an-sich handeln. Denn ist nicht das ganze Leben eine schwierige Reise von A nach B, dazwischen allerlei Widerstände und Herausforderungen, allerlei gefräßige Viecher – ob Chefs und Redakteure, ob Ältere, die nicht weichen, oder ellenbogige Junge, die allzuschnell preschen und verdrängen wollen?
Das alles muss man zwar erst aus der fast schon vulgären Grundkonstellation herausfiltern, es ist aber keineswegs zu weit hergeholt. Im Gegenteil soll man dies alles mitdenken, denn der spanische Regisseur Jaume Collet-Serra spielt hier sehr bewusst mit den Regeln und den Archetypen des Genrekinos.
»Die Schöne und das Biest« ist ein alter Stoff. In den ersten Minuten wird der Schauplatz, eine einsame Surferbucht in Mexiko etabliert – wenn Todesgefahren für brave Amerikaner drohen, muss es in Hollywood wohl Mexiko sein. Ebenso erfahren wir, dass die Hauptfigur, die Surferin Nancy – gespielt von Blake Lively – Medizinstudentin ist, kürzlich ihre Mutter verloren hat und in einer Lebenskrise steckt. Der Hai wird sie lösen.
Die Kamera streichelt den zunächst makellosen Körper von Nancy, zeigt ihn im engen Surfdress in Zeitlupen und Nahaufnahmen. Das Hai-Biest ist dagegen lange nicht oder nur schemenhaft zu sehen. Schnell sind die anderen zwei Surfer, zwei Jungs und insofern auch Konkurrenten um die Aufmerksamkeit von Nancy, gefressen, und nun kann sich der Film ganz auf den Zweikampf konzentrieren, der zum fast intimen, erotisch grundierten Drama wird: Natur gegen Mensch, Gewalt gegen Vernunft. Das Unsichtbare gegen das Sichtbare.
Jaume Collet-Serra gelingt viel mit wenig Aufwand. Er schafft eine Druckkammersituation voller Suspense, in der Zeit gegen Raum steht.
Nur am Schluss ist dieser Film etwas didaktisch. Der Showdown mit seinem erwartbaren Sieg über das Irrationale genügt nicht, es müssen schon die Lektionen gelernt sein, die die junge Frau zu Anfang von einem Lehrer mit fast zynischem Besserwisser-Unterton eingebläut bekam: Ohne solches Moralisieren geht es offenbar nicht in Amerika. Da siegt Hollywood über die schöne spanisch-europäische Ambivalenz des Regisseurs.
Spiegel-Leser wissen mehr – so hat sich auch für uns die SPON-Lektüre gelohnt. Dort schreiben bekanntlich besondere Frauenversteher, und so erkennt auch der Spiegel-Autor schon im Untertitel »wenig Stoff am Leib« der Surferin. Genaugenommen müsste man ergänzen, ist da gar keiner, es sei denn, man findet Neopren sei ein Stoff. Dame hat sich natürlich zum Surfen keinen Burkini angezogen, und so offenbart dieser Text das Dilemma aller Debatten um »den männlichen« und »den
weiblichen« Blick: Man sieht da immer das, was man will. Guckt einer hin ist es ebenso falsch, wie wenn einer wegguckt. Macht ein männlicher Regisseur einen solchen Film mit Mann in Badehose, ist er ein Macho, macht er ihn mit Frau in Badeanzug ist er ein Macho. Bleibt nur der züchtige Unterrock wie zu Kaisers Zeiten, oder der Burkini.
Jenseits des Moralisierens kann man(n) bei den Fischköppen in Hamburg aber dann flott schreiben: »Das Meeresfrüchtchen-Büffet ist eröffnet.« Gut so!
Klingt wie einst Will Tremper im »Stern«. Und weiter: »Ein zaghaft vom Steg ins Wasser gehaltenes Frauenfüßchen oder zwei vom Brett abgespreizte Surferinnenschenkel oder das im sonnengefluteten Wasser wogende Bikinioberteil einer Schwimmerin.« Wow! Das ist Schreibe!