Österreich 2016 · 105 min. · FSK: ab 12 Regie: Monja Art Drehbuch: Monja Art Kamera: Caroline Bobek Darsteller: Elisabeth Wabitsch, Anaelle Dézsy, Alexandra Schmidt, Christopher Schärf, Alexander Wychodil u.a. |
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Schon jetzt einer der besten Filme des Jahres. |
»Hoffnung?« – »L’espoir!«; »Kleid?« – »La Robe!«; »J'aime. J'aimais; J'ai aimé« – Französischlektionen für die Schule. Paula bereitet sich mit ihren Freunden auf eine Prüfung vor, und Frankreich, französisches Kino, französische Romane, französische Lebensart sind hier die Utopie für einige der jugendlichen Hauptfiguren eines außergewöhnlichen Films.
Der Schauplatz ist ein düsteres Paradies: Es ist Sommer, kurz vor Abschluss des Schuljahres, das warme Licht der Jugend, scheint über ein Internat im österreichischen Land. Paula ist eine Externe, sie ist eine Einzelgängerin. Paula ist siebzehn. Aber Paula ist reifer, erwachsener als viele ihrer Klassenkameraden, sie macht sich Gedanken. Sie liebt Französisch. Und sie liebt Charlotte – heimlich natürlich, zumal Charlotte mit einem Jungen zusammen zu sein scheint.
Das Alltägliche, und die Liebe als Schicksalsmacht sind das Sujet eines Films, der mit Träumen, Phantasien, und viel subjektiver Perspektive schon jetzt einer der besten Filme des Jahres ist – auch in seinem Einsatz der Musik als Mittel zur Ausgelassenheit. Und in seinem großartigen Humor.
Nicht hochgestochen, sondern witzig und leicht erzählt der Film von einer Handvoll 17-jähriger Schüler in einem Internat, von erstem Verliebtsein und Enttäuschung, von
Zukunftsplänen und von der Liebe zu Frankreich und zu französischer Literatur.
Einmal erklärt Paula im Französischunterricht, wer und was Emma Bovary ist: »Emma Bovary nimmt ihre Vorstellung von Liebe aus Novellen. Daher glaubt sie, Liebe müsse voller Passion, Drama und Leid sein. Für sie ist es keine echte Liebe, solange es keine Probleme gibt. Eines Tages heiratet sie einen Mann. Und mehr und mehr langweilt sie sich in der Ehe. Und sie versucht sich daraus zu befreien, indem sie Affairen hat. Bis sie eines Tages jemanden trifft, mit dem sie die absolute Liebe erfährt. Leider ist diese Liebe sehr schmerzhaft. Weil er sie wie ein Tier behandelt.«
In solchen Sätzen erzählt sie vor allem von sich selbst, und alle Sensiblen in der Klasse, auch alle Sensiblen im Publikum, begreifen das. Nur Paula selbst scheint es noch nicht zu verstehen.
Auf die Frage, »was fasziniert Dich an Proust?« erklärt sie »Proust weiß, dass das Abwesende oft viel faszinierender ist, als das Anwesende, nicht Reisen, sondern Reiseprospekte lesen, nicht Zugfahren, sondern Fahrpläne. Eine starke Dosis Eifersucht. Weil dies die Liebe erhält. Das Alltägliche, der Alltag ist der Tod der Liebe.«
So begleitet dieser Film seine Heldin und einige ihrer Klassenkameraden über die letzten Wochen des Schuljahrs – Momentaufnahmen des Erwachsenwerdens, in denen einige die erste Liebe erleben, aber auch die Täuschungen und Enttäuschungen, den Verrat und die Selbstentblößungen, die dazu gehören.
Die Liebe zum französischen Autorenkino gibt diesem Film die Richtung. Regisseurin Monja Art, Jahrgang 1984, hat bei Michael Haneke in Wien studiert; offensichtlich mag sie Autofahren, Musik und Literatur, und das alles zeigt sie in ihrem Debüt. Sie hat auch einen Mut zur Intellektualität, der fasziniert, besticht und bezaubert – zumal die Intelligenz dieses Films nie aufdringlich ist. Paula ist eine junge Schwester von Antoine Doinel aus Truffauts gleichnamigem Filmzyklus, und auch sie ist überzeugt, dass das Alltägliche der Tod der Liebe ist, dass das Abwesende oft viel faszinierender ist, als das Anwesende.
So ist Siebzehn ein Initiationsdrama voller Träume, Phantasien und subjektive Ansichten der Welt – und einfach ein wundervoller, nahezu perfekter Film. Getragen wird er von der exzellenten Kamerarbeit von Caroline Bobeck und von einer tollen Haupt-Darstellerin: In ihrem allerersten Filmauftritt spielt Elisabeth Wabitsch die Hauptfigur Paula mit einer Ausstrahlung, die kaum zwei Prozent ihrer Kollegen haben. Es genügt, wenn Wabitsch eine Mandarine schält, oder einfach so dasitzt – sie hat Energie, das »gewisse Etwas«, sie hält einen gefangen.
Überaus verdient gewann dieses ausgezeichnete Spielfilm-Debüt im Januar den Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken. Zugleich muss man sagen: Dieses österreichische Werk ist auch eine Mängelanzeige für das deutsche Kino: Ein solcher Film wie Siebzehn hätte vor den Augen der oft spießigen deutschen Fördergremiengeschmäcker nie im Leben Gnade gefunden. Denn hier wird gerade nicht alles auserzählt und erklärt, hier sind die Figuren so widersprüchlich wie das Leben. Welch ein bezaubernder Mut!