USA 1997 · 139 min. · FSK: ab 12 Regie: Jean-Jacques Annaud Drehbuch: Heinrich Harrer, Becky Johnston Kamera: Robert Fraisse Darsteller: Brad Pitt, David Thewlis, B.D. Wong, Mako u.a. |
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Brat Pitt in Tibet |
Der Berg ruft – und auf diesem Ohr war man auch im Dritten Reich nicht taub. Propagandaminister Goebbels jedenfalls hielt Luis Trenker für einen der größten Filmschaffenden überhaupt und auch Leni Riefenstahl kämpfte sich seinerzeit durch die Die weiße Hölle vom Piz Palü.
1939 soll der Österreicher Heinrich Harrer im Auftrag der Nazionalsozialisten
den Nanga Parbat besteigen. Die Partei hat das Bergmassiv in den Himalayas prophylaktisch »Unser Berg« getauft, noch bevor Harrer Wien verlassen hatte. Hier endet Zeitgeschichte, hier beginnt Jean-Jacques Anauds Film.
Harrer will nach oben. »I want this peak!« schreit er in den Schneesturm, aber es soll anders kommen. Kriegsgefangenenlager, Flucht, Begegnung mit dem Dalai Lama. Sieben Jahre in Tibet werden für den Egomanen Harrer zur Inititation in Feundschaft und Menschlichkeit.
An Originalschauplätzen inszeniert der Regisseur aus dem Leben Harrers und erwähnt nur am Rande dessen Vergangenheit bei den SS-Sturmtruppen. Darf er das? Brad Pitt, der Hübsche, spielt einen häßlichen Nazi. Darf er das? Auf keinen Fall, befand die internationale Presse noch in der Produktionsphase des Films. Schließlich habe das Publikum ein Recht auf die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Film, Realität, Vergangeheitsbewältigung – fremde Welten untereinander. Film ist Fiktion. Realität ebenfalls. Das Verhältnis von Filmfiktion zur Realitätsfiktion muß nicht zwangsläufig kongruent verlaufen. Wo aber die NS-Vergangenheit als dritte Unbekannte ins Spiel kommt, wird eine sensible Gleichung aufgemacht.
Wie es war, damals, wollen wir vielleicht gar nicht wirklich wissen. Dann doch lieber, wie es hätte sein können, sollen, müssen. Wo Annaud gewogen und zu leicht befunden, kam Hollywoods Märchenonkel Steven Spielberg zu Ehren. Schindlers Liste hieß das Rührstück oder: Das Dritte Reich, wie es euch gefällt. Ein deutscher Rüstungsfabrikant als Held. KZ und Kinderarbeit. Tränenlastiger Realismus, Sinnbrünstigkeit. Ralph Fiennes spielt den Ober-Nazi, sadistisch aber gutaussehend, immerhin. Jahre später kommt Fiennes als englischer Patient fast zu Oskar-Ehren. Daß Besagter, der ungarische Graf Almásy, eine mehr als dubiose Figur machte im Dritten Reich, interessiert niemanden. Einen Liebesfilm will man sehen, bitte schön! Die Presse reminisziert und vergleicht mit Casablanca. Und wie hatte dort schon Humphrey Bogart gänzlich apolitisch geantwortet auf die Frage nach seiner Nationalität? »I am a drunkard!«
Aber: Was Anthony Minghella Recht war, darf Jean-Jacques Annaud nun billig sein. Sieben Jahre in Tibet ist kein politischer Film. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß dem Regisseur seither die Einreise in die Volksrepublik China untersagt ist. Auch der immer noch in Amt und Würden befindliche Dalai Lama soll nicht begeistert sein, obwohl er Hollywood ansonsten durchaus gewogen ist. Er verkehrt nur lieber mit Richard Gere als mit Brad Pitt.
Dabei ist Annaud ein schöner Film gelungen, inszeniert in großen Tableaus, die sich der Weite der Landschaft anpassen. Brad Pitt stellt eindrucksvoll unter Beweis, daß er sich nicht auf den Schönling, das männliche Pin-Up, reduzieren läßt. Voller Emotion ist sein Harrer, mal schroff und kalt, dann wieder verletzlich in seiner Einsamkeit. Eine Darstellung, die aus dem Instinkt schöpft. Ähnlich intensiv konnte nur der junge Marlon Brando sein, als er am Fuß einer Treppe »Stella« brüllte.
Annaud möchte für die Freundschaft der Nationen plädieren. Ein Kino wünscht sich der halbwüchsige Dalai Lama und Harrer wird es ihm bauen. Über die Leinwand flimmern die pompösen Zeremonien der westlichen Welt. Wir erinnern uns an die Eingangssequenz des Films, die Anbetung des kindlichen Dalai Lama. Wie sich die Bilder ähneln: in dieser Nähe sucht Annaud die Brücke zwischen den Kulturen. Sein Vertrauen in den guten Menschen von Tibet gleicht dem naiven Optimismus eines Frank Capra. Dessen Mr. Smith ging nach Washington und befreite den Senat von den Korrupten und Selbstsüchtigen. Aber auch Capra interessierte sich nicht wirklich für die Politik, sondern für Individuen.
Sieben Jahre in Tibet ist eine Initiationsgeschichte, keine Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich. Dem Film nun vorzuwerfen, nicht zu sein, was er nie sein wollte, ist grotesk.
»Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebnis komme, – ein Wandern wird darin sein und ein Bergsteigen: Man erlebt endlich nur noch sich selber...Vor meinem höchsten Berge stehe ich und vor meiner längsten Wanderung.« So sprach Zarathustra, so könnte Annauds
Harrer sprechen.
Heinrich Harrer war keineswegs Fußballer, sondern ein österreichischer Bergsteiger und Scheitelträger, der in den Jahren ‘39 bis ‘51 Asien bereiste. Sieben Jahre in Tibet ist die Verfilmung von Harrers Buch, das sich seit den Fünziger Jahren kontinuierlich erfolgreich verkauft.
Der erste Teil des Filmes widmet sich der abenteuerlichen Reise durch Asien, wobei Harrer und sein Gefährte Peter Aufschnaiter lange Fußmärsche, Kriegsgefangenschaft bei den Engländern und tibetanische Grenzkontrollen zu überwinden haben. In der Heimat hat Heinrich seine schwangere, junge Frau allein zurückgelassen, und während seiner Reise begleiten ihn nun ständig Gedanken an seinen heranwachsenden Sohn, dem er laufend Briefe schreibt. Später wird Harrers Leben in Tibet gezeigt, wie er aufgenommen wird, sich einlebt und schließlich nicht nur Audienzen beim junen Dalai Lama gewährt bekommt, sondern dessen richtiger, bester Freund zum Knuddeln wird.
Mit vielen Schauwerten – eindrucksvolle Landschaften, exotische Völker, lustigen Mützen – soll uns westlichen Blödmännern die Tibetproblematik nähergebracht werden. So bereist der Film-Harrer Tibet wie der Prinz Eisenherz das Schlumpfland. Die Tibetaner sind putzig angezogen und reden drollig naiv daher, schlumpfen sich goldig durch ihren Buddhismus, hören auch mit staunenden Augen zu, wenn der Harrer ihnen mal was erklären muß.
Brad Pitt sieht aus, wie sich’s gehört, nämlich ganz toll; und es ist der Produktion sehr zu danken, daß mit David Thewlis als Peter Aufschnaiter auch ein Schauspieler in das Projekt einbezogen wurde. Im letzten Sommer hat der Stern Dokumente ausgregaben, die belegen, daß Harrer nicht nur Mitglied der NSDAP, sondern auch bei SS und SA dabei war. Den Produzenten ist es nun ziemlich peinlich, daß der Film schon vor dieser Meldung fertig war und nicht mehr abgeblasen werden konnte.
Ansonsten ist »Sieben Tage in Tibet« vielleicht der erste Film, der in seiner Synchronfassung geistreicher sein dürfte als im Original. Mit aufwendigen, schweißtreibenden Zungenübungen hat Pitt extra einen Schwarzenegger-Akzent antrainiert bekommen, was offensichtlich erst gegen Ende der Dreharbeiten gefruchtet hat, denn je länger der Film-Heinrich in Tibet weilt, desto stärker ausgeprägt wird Pitts österreichischer Slang. Seine Kollegen hingegen sind entweder Engländer, die die deutschen Satzbrocken nicht richtig aussprechen können (»Heinrick! Heinrick!«), oder Deutsche mit schrecklichem Kraut-Englisch.
Am Erstaunlichsten benehmen sich die Tibeter: Offensichtlich verwirrt vom Besuch des deutschen Forschers halten sie einen Großteil ihrer religiösen Riten und intertibetanischen Dialoge auf Englisch ab. Der Regisseur ist nun aber Franzose; schön wäre es also, wenn die englischen Soldaten im Film französisch sprächen und zwar mit belgischem Akzent. Die Chinesen, gespielt von japanischen Darstellern, könnten dann spanisch reden mit portugiesischen bis altgriechischen Satzfetzen, dazu süd-finnische Untertitel, DDR-Nummernschilder und irische Ortstafeln, die Musik aber konsequent russisch-jüdisch. Wenn’s als Schmankerl dann noch links unten im Bild einen Pollunderträger gäbe, der alles in die Taubstummensprache übersetzt, wäre es wohl perfekt, das große Völkerkunde-Epos.
Gut gemeinte Filme sind leider meist nicht zugleich gute Filme. Und Seven Years In Tibet ist sehr gut gemeint. Jean-Jacques Anauds Verfilmung des autobiographischen Buchs von Heinrich Harrer prangert die chinesische Besetzung Tibets an, und da wird wohl niemand behaupten können, dies sei kein guter Zweck. Heinrich Harrer geriet auf der Flucht aus der Kriegsgefangenschaft in den ‘40er Jahren nach Tibet, konnte sich Zugang zur für »Langnasen« verbotenen Stadt Lassa erschleichen, und lernte dort den jungen Dalai Lama kennen, mit dem ihm seither eine lebenslange Freundschaft verbindet. Harrer machte den Dalai Lama mit westlichem Denken und technischen Errungenschaften bekannt, und dieser wurde dafür für ihn zu einer Art Ersatzsohn, der es ihm schließlich erlaubt, seine verdrängten inneren Konflikte zu erkennen und zu konfrontieren, woraufhin er zu einem wunderbar ausgeglicheneren Menschen wird. Das Drehbuch bemüht sich um große Nähe zur Vorlage, und dies ist der erste große Fehler des Films. Denn nicht nur wäre vielleicht etwas mehr kritische Distanz gegenüber Harrers Sichtweise der Dinge wünschenswert gewesen, sondern eine vernünftige filmische Struktur hätte wohl auch stärkere Eingriffe vorausgesetzt. So wird der überlange Film jedenfalls zu einem recht schleppenden Erlebnis. Die gesamte erste Hälfte ist ein mißglückter Kompromiß aus bloßer Exposition und ausführlicher Erzählung (entweder hätte man sich hier noch eine Stunde mehr gönnen sollen, oder gleich radikal kürzen), und auch der etwas gelungeren zweiten Hälfte fehlt der dramatische Konflikt. Der stets spürbare Wunsch, einen »schönen« Film zu machen, hat leider höchst unschöne Konsequenzen. Seven Years ist ein zutiefst touristischer Film; sein Wahrnehmungsrahmen ist der der Postkarte. Das Fremde wird nur in der Kategorie des Pitoresken erfahren; der eigene (westliche) Standpunkt ist absolut unerschütterlich, die andere Kultur wird bereist, sie wird nicht erfahren. Landschaften (die Anden doubeln hier das tibetanische Hochland) haben generell malerisch zu sein, und die »Fremden« sind entweder grundböse (= Chinesen) oder ganz und gar putzig mit ihren Bräuchen, die ja so ganz anders sind als unsere, also sprich naiv und unaufgeklärt. Ein großes Handicap für den Film ist auch sein Hauptdarsteller – obwohl dieser perfekt zur Grundhaltung des Films paßt. Nicht daß Brad Pitt immer noch ein schlechter Schauspieler wäre; diese Zeiten hat er nun doch schon länger hinter sich gelassen. Aber Brad Pitts oberflächliche Schönheit kennt keine Geheimnisse, Brad Pitt hat als Akteur immer noch keinerlei Tiefe. Den arroganten, draufgängerischen jungen Harrer verkörpert er durchaus glaubwürdig, doch läßt er hinter der Fassade nie etwas vermuten, und so gerät auch die Läuterung zum Erwachsenen völlig äußerlich – zumal Pitt nie jene Selbstgefälligkeit ablegt, die vielleicht doch nicht nur gespielt ist. Das Engagement des Films hat letzlich einen schalen Beigeschmack: Tibet scheint nicht deswegen vor chinesischen Übergriffen schützenswert, weil dort Menschen bedroht werden, sondern weil man es unbedingt für Selbsterfahrungstrips benötigt. Sicher, der Zweck heiligt manchmal die Mittel, und es gibt schlechtere und sinnlosere Filme, mit denen man seine Zeit verbringen kann. Ich möchte auch niemanden unbedingt davon abhalten, sich Seven Years In Tibet anzusehen – zumal mir bewußt ist, daß dies die Sorte Film ist, die von vielen Leuten als »schön« empfunden wird. Guten Gewissens empfehlen kann ich ihn jedoch keinesfalls. Ich warte nun um so gespannter auf Martin Scorseses bevorstehenden Tibet-Film, in der wohl begründeten Hoffnung, daß der dann mehr Anlaß zur Freude bietet.