Silence

USA/Taiwan/MEX 2016 · 162 min. · FSK: ab 12
Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: ,
Kamera: Rodrigo Prieto
Darsteller: Andrew Garfield, Adam Driver, Liam Neeson, Tadanobu Asano, Ciarán Hinds u.a.
Geschmackvolle Lumpen vor edler Natur

What would Jesus do?

»Nachdem der Inqui­sitor geendet hat, wartet er einige Zeit auf eine Antwort des Gefan­genen. Dessen Schweigen wird ihm peinlich. Er hat bemerkt, wie ihm der Gefangene die ganze Zeit still zugehört und eindring­lich in die Augen gesehen hat – offenbar ohne die Absicht, etwas zu erwidern. Der Greis möchte, daß Er etwas sagt, und sei es etwas Bitteres, Furcht­bares. Doch Er nähert sich plötzlich wortlos dem Greis und küßt ihn sacht auf die blutlosen welken Lippen. Das ist seine ganze Antwort. Der Greis fährt zusammen. Um seine Mund­winkel zuckt es, er geht zur Tür, öffnet sie und sagt zu Ihm: ›Geh und komm nicht wieder! Komm überhaupt niemals wieder! Niemals, niemals!‹ Und er läßt Ihn hinaus auf die dunklen Straßen und Plätze der Stadt. Der Gefangene geht!«
Fjodor M. Dosto­je­wski: »Der Großin­qui­sitor«

Es beginnt in Lissabon: Einer Stadt wie ein einziger weißer Marmor­quader, in gleißendem Sonnen­licht. Hier werden um das Jahr 1640 die letzten Juden vertrieben und regel­mäßig gibt es ein Autodafé, bei dem zum Sonn­tags­ver­gnügen für die Massen Hexen verbrannt werden.
Dieses Lissabon der blutigen, christ­lich-funda­men­ta­lis­ti­schen Gegen­re­for­ma­tion wird zum Ausgangs­punkt einer Reise, die Sebastião Rodrigues und Francisco Garrpe, zwei junge idea­lis­ti­sche Jesuiten bis ans andere Ende der damaligen Welt führt. Spider-Man-Star Andrew Garfield und Adam Driver verkör­pern die zwei Missio­nare, die frei­willig nach Japan kommen, wo eine Welle von Chris­ten­ver­fol­gungen einge­setzt hat.

Zwei Idea­listen als Partei­gänger von Fana­tismus, Folter und Tod im Namen Gottes, zwei sympa­thi­sche junge Naivlinge, die auf Zusam­men­hänge treffen, in denen sie zu Opfern werden. Inqui­si­toren treffen auf Inqui­si­toren. Martin Scorseses Silence ist voller solcher Ironien. Ein Film über Reli­gio­sität, aber ganz und gar in dieser Welt.

Auf ihrer Reise in den Fernen Osten machen die Mönche zwischen­durch Station in der portu­gie­si­schen Kolonie Macao. Dort haben die aller­christ­lichsten Kolo­ni­al­herren den Buddhismus verboten und dessen Tempel zerstört. Dann kommen die zwei nach Japan. Ziel ihrer Reise ist Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) zu finden, ihren Mentor, der angeblich auf Druck der Obrig­keiten seinem Glauben abge­schworen hat. Wer einst Shogun gesehen hat, der kennt diesen Plot: Portu­gie­si­sche Jesuiten, die seit dem späten 16. Jahr­hun­dert an der japa­ni­schen Küste wenige Missi­ons­sta­tionen unter­hielten und die Bauern tauften, erlebten ein paar Jahr­zehnte später unter dem Tokugawa-Shogunat scharfe Verfol­gungen.

Vor Ort erweist sich Rodrigues als der opti­mis­ti­schere der beiden, Garrpe hingegen ist recht nerven­schwach und wird von seiner Angst nie ganz verlassen. Sie ist auch nur zu berech­tigt: Denn in Form des kaiser­li­chen Beamten Inoue (Issei Ogata) begegnen die beidem etwas, das sie aus ihrer Heimat kennen. Der Inqui­si­tion. Nur dass sie hier auf der anderen Seite, der brutal Verfolgten stehen.
Zuerst trifft die Verfol­gung die chris­tia­ni­sierten Bauern. Sie sollen ein Bildnis Gottes mit Füßen treten, um ihren Unglauben zu beweisen. Da beginnen die Priester, sich unter­ein­ander zu streiten: Garrpe hat für die Armen nur den Rat, zu Gott zu beten. Rodrigues ist weitaus prag­ma­ti­scher: »Trample, trample, its all right to trample.« – Das Bild ist nur ein Bild, also darf man es miss­achten, um sein Leben zu retten.
Ein reli­giöser Grund­kon­flikt.

Später dann stellt der Inqui­sitor die Priester auf die Probe: Sie können die Bauern retten, wenn sie Gott verleugnen – ein öffent­lich gede­mü­tigter Priester ist mehr wert als hinge­met­zelte Namenlose.

Was würde Jesus tun?

Der sardo­ni­sche Großin­qui­sitor der Japaner ist der heimliche Star von Scorseses Film, zusammen mit der Figur des Über­set­zers bei den umfang­rei­chen Verhören. Denn Scorsese schildert seine Haupt­fi­guren auch als ignorant und naiv. Die Jesuiten liegen gern in der Sonne, aber sie inter­es­sieren sich kein bisschen für das Land, in dem sie Jünger finden wollen. Scorsese erzählt hier auch von einem Zusam­men­prall der Kulturen, von der Verach­tung der Japaner für die unge­bil­deten Fremden, für die die Welt nur aus Katho­liken oder heid­ni­schen Wilden besteht: »Wir können Eure Sprache besser, als ihr selbst«, spottet der Dolmet­scher. Ein andermal: »Nur ein dummer Christ kann Buddha für einen normalen Menschen halten. Sie sind ein Ignorant, Pater!«

Die mensch­lichste – weil charak­ter­lich schwächste – Figur ist Kichijiro (Yôsuke Kubozuka) der einhei­mi­sche Helfer der Padres. Er verbindet Verrat und Unschuld. Um seine Haut zu retten verleugnet er die Europäer und ihren Glauben, doch immer wieder bittet er Rodrigues um Vergebung – ein Lacher in einem ernsten Film. »Warum wurde ich gerade jetzt geboren?«, jammert er. »Das ist so unfair!«

Silence ist die Adaption einer Novelle des Japaners Shusaku Endo von 1966. Scorsese, der als Kind Priester werden wollte, hat sie bereits 1989 gelesen und seitdem verfilmen wollen. Ober­fläch­lich betrachtet ist Silence so auch ein „reli­giöser Film“. Dieser Befund deckt sich mit der Wahr­neh­mung des Gesamt­werks von Martin Scorsese: In Filmen wie Die letzte Versu­chung Christi oder Kundun, aber auch in seinen Mafia-Epen oder in Bringing Out the Dead hat der New Yorker mit Wurzeln im katho­lisch-italo­ame­ri­ka­ni­schen Einwan­der­er­mi­lieu sich mit der Funktion und dem Wesen von Glauben und Spiri­tua­lität befasst. Doch befeuert wird der Film eher durch die Energie des Glaubens-Zweifels.

Silence – der Titel des Films bezieht sich auf das Schweigen Gottes. Der Himmel schickt kein Zeichen, und so hadern diese Haupt­fi­guren mit Gott, sie stehen vor exis­ten­ti­ellen mora­li­schen Dilemmata, an deren Entschei­dung Menschen­leben hängen, nicht zuletzt ihre eigenen, und Werte – und hierüber müssen sie allein auf sich gestellt entscheiden.

Wer glaubt, der tut dies ohne Beweise, weil der Glaube absurd ist – dies ist die Botschaft, die Scorsese hier verkünden möchte. Gott finden seine jungen Pries­ter­fi­guren noch am ehesten in der Natur: der Sonne, einem präch­tigen Falken am Himmel.

Niemand sollte sich aber vob diesem reli­giösen Subtext abschre­cken lassen. Jenseits solcher philo­so­phi­schen Fragen ist Silence auch ein span­nender – und stel­len­weise harter – Historien-Psycho-Thriller. Und es ist ein Film von stel­len­weise bezwin­gender Schönheit, der auf sehr vielen Ebenen funk­tio­niert. Erin­ne­rungen an Apoca­lypse Now kommen ebenso auf wie an Scorseses letzten Film The Wolf of Wall Street. Beide Filme gleichen sich in Scorseses Hang zum erzäh­le­ri­schen wie visuellen Ausschweifen, der so faszi­nie­rend ist wie ermüdend, aber auch in ihren Figuren: Gemeinsam ist hier eine Sicht auf das Leben als körper­li­cher wie geistiger Exzess. Auch Rodrigues und Garrpe sehen sich selbst als »Master of the Universe«.

Das lässt den poli­ti­schen Subtext des Films zwei­schneidig erscheinen: Garrpe und Rodrigues sind religiöse Fanatiker. Sie nehmen den Tod unzäh­liger Menschen in Kauf. Denn »Gott will es«. Stellen wir uns einen Film vor, indem mosle­mi­sche Imame so mit ihren Anhängern verfahren. Scorsese ist zu klug, um dies nicht mitzu­be­denken. Indem sein Film zeigt, dass Glaube eine sehr weltliche Ange­le­gen­heit ist, und trotzdem Sinn für Spiri­tua­lität beweist, wird er zu einer span­nenden Erkundung, was es tatsäch­lich realiter heißt, an die Gnade Gottes zu glauben – damit ist Silence auch ein Spiegel unserer Zeiten.