USA/E/GB 2016 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: J.A. Bayona Drehbuch: Patrick Ness Kamera: Óscar Faura Darsteller: Lewis MacDougall, Felicity Jones, Sigourney Weaver, Toby Kebbell, Liam Neeson u.a. |
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Unheimliche Intensität |
Greift man einfach mal in den wild sprudelnden Erinnerungstopf der letzten fünf Jahre, ohne sich dabei allzu sehr verbrennen zu wollen, kann man schon fast von einem eigenen Coming-of-Age-Subgenre sprechen, einem Subgenre, das nicht nur zu überraschen und zu berühren, sondern immer wieder auch radikal überzeugen wusste: der »Kinderkrebsfilm«. Sei es Das Leben gehört uns (2011), Starke Mädchen weinen nicht (2012), The Broken Circle (2012) oder Das Schicksal ist ein mieser Verräter (2014) sind so unterschiedlich und herausragend wie die Schicksale, von denen sie erzählen. Aber natürlich gibt es auch hier fragwürdige Querschläger, wie die Bonbonvariante Heute bin ich blond (2013) oder die christliche Schmonzette Himmelskind (2016). Doch ob nun gut oder schlecht, ist fast allen Ansätzen gemein, dass die Grunddisposition ähnlich ist: ein Kind erkrankt und sowohl das Kind als auch seine Eltern und seine Peergroup versuchen mit der fragiler gewordenen Lebensrealität ins Reine zu kommen.
Erfrischend anders sieht das Szenario in Juan Antonia Bayonas Verfilmung von Patrick Ness mit Preisen überhäuften Jugendbuch Sieben Minuten nach Mitternacht aus: hier ist es nicht das Kind, das vom Krebs gezeichnet wird, sondern die Mutter. Und es ist auch hauptsächlich Conor (Lewis MacDougall), aus dessen Perspektive erzählt wird. Denn seine Mutter (Felicity Jones) ist bereits zu geschwächt, um ihm noch eine Neuanleitung zum Leben liefern zu können und seine Großmutter (Sigourney Weaver) ist ihm zu fremd, um ihm wirklich beistehen zu können. Diese Einsamkeit, die sich auch zunehmend auf seine Rolle in der Schule ausweitet, wird allein durch Conors Begegnung mit einem Baummonster kompensiert – im Original heißen Buch und Film »A Monster Calls« – das Conor um sieben Minuten nach Mitternacht zu besuchen beginnt und in einer Art von therapeutischem Erzählen darauf vorbereitet, dass das Leben und die Welt, wie Conor sie kennt, komplexer ist, als er vermutet: das Böses nicht immer böse sein muss und Gutes nicht immer gut, dass es Grauzonen und nicht nur Schwarz und Weiss gibt.
Ist der Roman vor allem durch seinen märchenhaften und Leerstellen-affinen Tonfall geprägt, der sich immer wieder auch an der scharfkantigen Krebsrealität vorbeischummelt, hat Ness in seinem Drehbuch für Bayonas Verfilmung diese Makel ausgemerzt und Bayona die Vorgabe kongenial umgesetzt: Conors Alltag vom Frühstückmachen bis zum Wäschewaschen und in die Schulegehen wird gnadenlos und präzise geschildert und auch die zunehmende Entfremdung gegenüber seiner Mutter in drastischer Direktheit gezeigt und nicht einmal vor den körperlichen Folgen der Krebsmedikation Halt gemacht. Diese »Realität«, die von allen drei Hauptdarstellern fast unheimlich intensiv verstärkt wird, braucht es auch unbedingt, um die »Fantasy«-Elemente des Films aufzufangen. Aber auch hier überrascht Bayona. Bemüht sich der Roman noch mit einem märchenhaften Tonfall, die Geschichten des Monsters zu verpacken, besinnt sich Bayona auf die Vorzüge avantgardistischer Animationen, versieht aber zudem noch jede Geschichte mit anderen Stilelementen. Das ist eine großartige Lösung und führt außerdem auf ein Ende zu, dass es im Buch so nicht gibt und dem Ende im Buch deutlich überlegen ist.
Denn was das Monster lehrt, ist ja nicht nur die Ambivalenz unserer Gefühle einzugestehen, sondern auch die Ambiguität unserer Existenz und nicht zuletzt die Doppelbödigkeit unserer Psyche, die aus den Verliesen unserer Erinnerung Dinge nimmt und real werden lässt, an die wir uns manchmal nur durch Zufälle wieder erinnern. Und die dann und wann tatsächlich der bessere »Therapeut« und allemal das bessere Buch sein können.