N/S/DK/F 2022 · 98 min. · FSK: ab 12 Regie: Kristoffer Borgli Drehbuch: Kristoffer Borgli Kamera: Benjamin Loeb Darsteller: Kristine Kujath Thorp, Eirik Saether, Fanny Vaager, Fredrik Stenberg Ditlev-Simonsen u.a. |
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Gemeinsam einsam... | ||
(Foto: MFA/Filmagentinnen) |
»In der völlig offenen Konkurrenzgesellschaft gibt es kein befriedigendes Verweilen bei einem Ziel, das erreicht wird. (...) So wird der Mensch faktisch ziellos: er hat jeden Tag ein anderes Ziel, sofern er täglich ›Fortschritte‹ macht.« – Arno Plack, Die herrschende Moral in »Die Gesellschaft und das Böse«
Die seit Jahren steigenden Todesraten durch extravagante Selfies sind natürlich nur die Spitze des Eisberges. Denn inzwischen ist fast jedes Fitzelchen sozialen Alltags durch die mediale und damit auch sehr persönliche Geltungssucht infiltriert, die sich vom einfachen Like-Wohlbefinden bis zum gravierenden, selbstdestruktiven Social Meltdown manifestieren kann.
Bei den Schmerzgrenzen, die hier immer wieder von Neuem und bis ins fast schon Undenkliche ausgereizt werden, stellt sich hin und wieder dann aber doch die Frage, wo die eigentliche Grenze liegen mag, ob es sie überhaupt gibt oder ob wir wie angesichts unserer Klimakrise schon längst den »Point of No return« erreicht haben.
Der norwegische Regisseur Kristoffer Borgli stellt sich in Sick of Myself eben diese Fragen und malt schon in den ersten Einstellungen dezidiert aus, wie sehr diese aus dem Konkurrenzsystem unserer kapitalistischen Gesellschaft entspringende »Sucht« inzwischen auch in den intimsten Bereichen unseres Lebens verankert ist. Denn Signes (Kristine Kujath Thorp) und Thomas' (Eirik Sæther) Beziehung ist eine Beziehung, in der nicht die Zuneigung und die Liebe zueinander im Zentrum stehen, sondern die Liebe bzw. Geltung innerhalb des sozialen Umfelds. Sie sind also ein Konkurrentenpaar, dessen Anerkennung im eigenen Umfeld und in seiner sozialen Stellung stets aufs äußerste gefährdet ist. Er befindet sich im labilen Zustand eines Eisläufers, der vornübergebeugt dahineilt und jederzeit fallen kann, bleibt die Anerkennung aus. Diese Anerkennung wird für Thomas zusehends einfacher, weil seine Karriere als Künstler plötzlich anzieht und Signe als Kellnerin ohne Karriere-Ambitionen zusehends zurückbleibt und auf neue Strategien sinnt, um diesen Rückstand aufzuholen.
Borgli treibt diesen Wettkampf, der nichts anderes als das internalisierte Konkurrenzdenken unserer wirtschaftlichen Prämissen ist, mit jeder neuen Szene immer mehr auf die Spitze und erzeugt damit einen fast schon unheimlichen Zerrspiegel unserer eigenen meist gut versteckten Sehnsüchte und Ängste. Das erinnert in seiner Radikalität und und theoretischen Grunddisposition an ähnlich gesellschaftskritische Filme der letzten Zeit wie The Banshees of Inisherin oder The Menu, die schwarzen Humor und Body Horror-Elemente gezielt dazu einsetzen, um ihre Kritik möglichst explizit zu verkaufen.
Sick of Myself überrascht dabei immer wieder und über lange Passagen, hat aber nach der Hälfte eigentlich sein Pulver verschossen und weiß sich nur über eine weitere Klimax zu retten, ohne dabei wirklich mehr über die Charaktere zu erzählen, die zunehmend hinter der Idee zurückbleiben.
Auch das könnte man einige Zeit noch irgendwie als Gegengeschichte oder Anti-RomCom zu der ebenfalls norwegischen und ebenfalls die zwischenmenschliche Anerkennung und Liebe ungewöhnlich ausreizende RomCom Der schlimmste Mensch der Welt begreifen, mehr noch, als in Borglis Film in einer Nebenrolle Aksel (Anders Danielsen Lie) aus Joachim Triers Film auftaucht. Aber gerade im Vergleich zu Triers Ansatz merkt man, was Sick of Myself bei aller Radikalität dann auch fehlt – eine weitere erzählerische Ebene mit Charakteren, die sich entwickeln und deren Entwicklung nicht nur behauptet oder von einer Idee überlagert wird.
Immerhin überrascht Sick of Myself am Ende doch noch ein letztes Mal und beantwortet dann auch eigentlich die drängendste Frage, wohin das alles nur führen mag, die allerdings auch durch die steigenden Todesraten durch Selfies sehr simpel erklärt werden könnte. Aber Borgli bietet dann doch mehr, nämlich eine fast schon perfekte Konfrontationstherapie mit dem Wahnsinn in uns selbst.