Sisu

Finnland 2022 · 91 min. · FSK: ab 18
Regie: Jalmari Helander
Drehbuch:
Kamera: Kjell Lagerroos
Darsteller: Jorma Tommila, Aksel Hennie, Jack Doolan, Mimosa Willamo, Onni Tommila u.a.
Filmszene »Sisu«
Drill und Marter im Dienste des Durchhaltens...
(Foto: Sony)

Goldgräber im Blutrausch

Jalmari Helander inszeniert die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs als brutales Exploitation-Kino, das von Zorn und Genugtuung getrieben ist

Viel zu sagen hat der Haupt­dar­steller dieses Films nicht, dafür umso mehr zu leiden. Jorma Tommila zeigt sich in Sisu als gepei­nigter Kämpfer. Seine Sprache sind wuchtige Schläge, Stiche, grimmige Blicke, zusam­men­ge­bis­sene Zähne, gequälte Laute. Dabei hatte sich seine Einsied­ler­figur eigent­lich längst aus der Welt zurück­ge­zogen. Vor dem Krieg ist er geflohen, es ist das Jahr 1944. Wenig Hab und Gut hat er dabei, Hund und Pferd leisten ihm in der Einöde Gesell­schaft. Autor und Regisseur Jalmari Helander (Rare Exports) verwan­delt den Schweig­samen gewis­ser­maßen in einen Western­helden, er reak­ti­viert den Gold­gräber-Mythos inmitten eines Welt­kriegs­films – das ist wahr­schein­lich sein inter­es­san­tester Streich. Mit der Spitz­hacke geht es tief hinein in den Boden, wo der Prot­ago­nist auf die Ader seines neuen Reichtums stößt. Ein funkelnder Schatz als Ende aller Sorgen und Perspek­tive auf ein Leben nach den Schrecken des Krieges. Nur: Bis zur Bank ist es ein weiter Weg.

Helander lässt seinen schweig­samen Gold­gräber 90 Minuten lang die archai­schen, zwie­lich­tigen Land­schaften durch­kämmen und die Schurken lassen nicht lange auf sich warten. Da sind zuerst leuch­tende Zähne: ein dämo­ni­sches Grinsen. Nazis tauchen in der Gegend auf, um den Schatz des Veteranen zu stehlen. Sie befinden sich gerade auf dem Rückzug und wollen sich mit dem Gold von ihrer Schuld frei­kaufen. Sie wissen, ihnen droht die Hinrich­tung, ist der Krieg erst einmal vorbei. Doch ihr Opfer ist nicht so wehrlos wie sie dachten und so verwan­delt Jalmari Helander das nord­fin­ni­sche Niemands­land in eine regel­rechte Gladia­to­ren­arena.

Apoka­lyp­ti­sche Land­schaften

Sisus Spiel mit der kargen Land­schaft ist sensa­tio­nell geraten! Egal, ob es um die apoka­lyp­ti­schen Konno­ta­tionen geht, aufgehängte Leichen, Gerippe, lodernde Flammen, leuch­tender Bomben­hagel am entfernten Himmel, oder schlichtweg diese beein­dru­ckende Leere, Weite und Tristesse. Aufnahmen zwischen den Sphären. Keine Zivi­li­sa­tion in Sicht. Die Wiesen und Hügel werden zum Spiel­brett für das Duell Mensch gegen Mensch oder besser gesagt: zum Schlacht­feld. Unendlich blut­rünstig ist dieser Film, wobei er jederzeit ins Skurrile über­zeichnet ist. Seine Gewalt steigert sich von durch­sto­chenen Köpfen über zersprengte Körper, abge­ris­sene Glied­maßen bis zum Spitz­ha­cken-Gemetzel und einem irrwit­zigen Finale hoch über den Wolken. Insofern ist der formale Rahmen gesetzt: Sisu will keine analy­ti­sche Geschichts­stunde sein, sondern Explo­ita­tion par excel­lence. Sein Reiz ist das Ergötzen am Gewalt­ex­zess.

Das ist, zugegeben, bis zum Schluss höllisch unter­haltsam anzusehen, gerade weil Helander seine Hetzjagd so tempo­reich und schwarz­hu­morig durch die einzelnen Kapitel peitscht. Die Action­szenen sind mit furioser Wucht und Physis, mit grob­schläch­tigen, brutalen, schlicht spek­ta­ku­lären Varia­tionen insze­niert. Das Fantasy Filmfest, auf dem Sisu Deutsch­land­pre­miere feierte, kündigte den Film nicht umsonst als »Crowd­pleaser« an. Spaß und Befrie­di­gung für die Massen. Verab­schiedet man sich aller­dings einmal vom bloßen Enter­tain­ment, wird recht schnell deutlich, dass eben ein »Crowd­pleaser« für die Thematik des Films eine mögliche, aber, gelinde gesagt, kompli­zierte Ange­le­gen­heit darstellt.

Das Problem sind nicht der Tabubruch und die Polemik per se, dass Helander den Verbre­chen des Dritten Reichs und den Verhee­rungen des Krieges mit der Form eines über­kan­di­delten, schwarz­hu­mo­rigen Splatter-Rache­wes­tern begegnet, sondern dass er die damit einher­ge­hende Gefäl­lig­keit in keiner Sekunde unter­wan­dert. Sisu ist Produkt und Dokument einer Zeit, die Erin­ne­rungs­kultur allzu gern bana­li­siert, sich das Vergan­gene als ein über­wun­denes Stadium zurech­trückt, auch wenn dafür in diesem Film unendlich viele Qualen ertragen werden müssen. Am Ende verge­wis­sert man sich seiner vermeint­li­chen mora­li­schen Über­le­gen­heit, indem man das erbar­mungs­lose Dahin­richten des kari­kierten Bösen bejubelt.

Das Fort­be­stehen rechts­ex­tremer Ideo­lo­gien und gegen­wär­tige reak­ti­onäre poli­ti­sche Bestre­bungen in verschie­densten Teilen der Welt haben von Sisu und seinem schier unzer­stör­baren Rächer und Nazi-Mörder jeden­falls wenig zu befürchten. Ihm geht es allein darum, das eigene gute Gefühl mit gewalt­tä­tigem Amüsement zu reak­ti­vieren. Gewiss kann Kino solche Sieges­züge und Rachefan­ta­sien in Alter­na­tiv­rea­li­täten durch­spielen und ausleben. Nur erscheint die Genug­tuung, die Sisu in seinem Blut­rausch provo­zieren will, auf denkbar simple und unre­flek­tierte, regel­recht verbis­sene Weise, weil sie nicht mehr anbietet als das regres­sive Anbeten eines raubei­nigen Helden. Der Titel selbst zeugt davon.

Durch­halten

»Sisu«, was meint das eigent­lich? Der Begriff sei schwer über­setzbar, heißt es im Vorspann. Er beschreibt so etwas wie Kamp­fes­geist, der im Moment des größten Wider­stands plötzlich erwacht. Und wie er in diesem Film erwacht! Jorma Tommilas Gold­gräber ist zunächst auf der Flucht und kämpft ums Überleben, später will er nur noch Blut sehen. »Unsterb­li­cher« lautet sein Kosename, wie man aus Erzäh­lungen innerhalb des Films erfährt. Sein legen­därer Ruf eilt ihm voraus und er wird sich auf spek­ta­ku­läre Weise bestä­tigen. Ein gefürch­teter Kriegs­held, der hunderte Menschen getötet haben soll und weitere Opfer fordert.

Das sitzt insofern einer zynischen Doppel­moral auf, als Sisu sein Publikum durchweg dazu verführt, das enthemmte Morden als probates Mittel gegen das Verbre­chen zu zele­brieren. Zugleich lässt dieser Film einen enormen Drang zur Selbst­recht­fer­ti­gung erkennen. Man betont mit Nachdruck das Unaus­weich­liche und Alter­na­tiv­lose dieses Szenarios, schließ­lich soll es der Aussicht auf ein besseres Leben in Frieden dienen. Als ob man so etwas wie einen Schluss­strich überhaupt ziehen könnte! Man will sich zur Ruhe setzen und hat sich in der Spek­ta­kel­lust dieses Films dafür schlicht die Methoden des Feindes ange­eignet, den Spieß quasi umgedreht.

Die Zeit der Notwehr ist irgend­wann längst vorbei! Statt­dessen geht es allein um das Strafen als Selbst­justiz in den Zwängen ihrer Welt. Erzählt wird diese verquere Gleich­zei­tig­keit höchst affir­mativ über den Körper des Helden. Wasser spült den Schmutz von wuchernden Narben. Blut sprudelt aus offenen Wunden, die mühsam geflickt und gereinigt werden. Kein Opfer ist zu groß und so wird notfalls das eigene Bein am Pfahl aufge­spießt, um sich am Leben zu halten und die getrie­bene Mission fort­setzen zu können. Drill und Marter im Dienste des Durch­hal­tens. Sisu jagt einem dabei mit seinen dras­ti­schen, hapti­schen Bildern immer wieder beacht­liche Phan­tom­schmerzen durch die Glieder. Seine Affekte wollen jedoch wenige Gedanken anstoßen, sondern suchen zuvor­derst nach Selbst­be­s­tä­ti­gung. Der Körper im Schmerz dient ihm als großer, alles über­schat­tender Mythos, als Projek­ti­ons­fläche für eine illu­so­ri­sche Show der gerechten Gewalt.