USA 2018 · 118 min. · FSK: ab 16 Regie: Guy Nattiv Drehbuch: Guy Nattiv Kamera: Arnaud Potier Darsteller: Jamie Bell, Danielle Macdonald, Vera Farmiga, Bill Camp, Daniel Henshall u.a. |
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Boy-Meets-Girl einmal ganz ohne Klischees |
Mit sachlichen Argumenten widerlegen, einfach ignorieren, isolieren und ihre Verbrechen mit der ganzen Härte des Gesetzes bestrafen. Das ist die aktuelle Spannbreite der Strategien, wie man mit Rassisten umgehen soll. Mit gewaltbereiten Nazis oder einfach nur mit rechten Pöblern.
Der Film Skin des Drehbuchautors und Regisseurs Guy Nattiv zeigt eine weitere Methode: Einen Rassisten ins Herz schließen und lieben. Um die Ambivalenz und das Risiko dieser Idee zu überblicken, sollte man wissen, dass es sich bei den Rassisten in diesem Film nicht um AFD-Wähler oder -Politiker handelt, die sticheln und hetzen. Tritt man ihnen entschieden entgegen, spielen sie die verfolgte Unschuld. Denn sie wollen ja als »bürgerlich« durchgehen.
So ein
moralisches Deckmäntelchen legen sich die Anhänger der White-Supremacy-Bewegung in den U.S.A. gar nicht erst um, im Gegenteil. Sie sind stolz auf ihre menschenverachtende Einstellung. Die Überzeugung von der Überlegenheit der weißen Rasse leiten sie direkt aus Zeiten ab, in denen Farbige als Sklaven gehalten wurden. Und bizarrerweise aus dem Frühmittelalter. Als Wikinger Nordeuropas Häfen gebrandschatzt und die Bewohner in Angst und Schrecken versetzt haben.
Bryon Winder (Jamie Bell) ist einer, der stolz darauf ist, ein Weißer zu sein. Obwohl er streng genommen gar nicht mehr weiß ist. Seine Haut ist von Kopf bis Fuß mit farbigen, martialischen Tattoos übersät. Ihre Botschaften sind: Hass, Wut, Gewalt. Bei einer Demo verfolgt er einen jungen Mann, tritt ihn zusammen und schneidet ihm ein Hakenkreuz in die Wange. Einfach nur, weil er ein Farbiger ist. Bryons »Ersatzfamilie«, eine Splittergruppe namens »Vinlander’s Social Club« feiert ihn dafür.
Mit Argumenten lassen sich solche Extremisten nicht überzeugen. Polizei und Justiz sind fast machtlos. Der Staat schafft es gerade mal, die öffentliche Ordnung wieder herzustellen, bis zum nächsten Gewaltexzess. Muss die offene Gesellschaft vor einer so radikalen Minderheit kapitulieren?
Selbst ein fanatischer Hassverbrecher wie Bryon hat gutes Potenzial. Er kann gerettet und »umgedreht« werden. Das sagt kein Sozialpädagoge im ersten Semester oder ein zugekiffter Hippie. Sondern ausgerechnet ein schwarzer Aktivist, Daryle Jenkins (Mike Colter). Der Gründer des »One-People-Projects« hilft Aussteigern, oder wie er es nennt, er »verwandelt Müll in menschliche Wesen«.
Daryle ist nicht der einzige Lichtblick in diesem Film. Oder ist er eher ein
bemitleidenswerter Naivling, Utopist oder sogar Fantast? Es gibt noch Julie (Danielle MacDonald), eine alleinerziehende Mutter. Eine ihrer Töchter würde gerne Bryons Rottweiler streicheln. Nach allem, was bisher passiert ist, befürchtet der Zuschauer das Schlimmste. Wird Bryon das Tier auf das Kind hetzen? Wird der Kampfhund den Kinderarm zwischen seinen Kiefern zermalmen, weil er dazu abgerichtet wurde?
Nun, die Antworten werden hier nicht verraten. Hingewiesen wird nur darauf, dass Bryon und Daryle reale Vorbilder haben. Den Intensivtäter mit schlechter Sozialprognose gibt es ebenso im richtigen Leben wie den raffinierten, geduldigen Aktivisten, der hartnäckig an das Gute im Menschen glaubt.
Die erlösende Kraft dieser wahren Geschichte besteht nicht darin, dass eine starke, strahlende Frau, quasi Heilige, einen Sünder durch ihre reine Liebe aus seinen Verstrickungen
befreit. Julie trägt selbst ein verstörendes Tattoo auf der Hüfte. Ein Handteller großes Hakenkreuz. Wie und warum es dahin gekommen ist, wird nur am Rande erwähnt.
Umso genauer erzählt der Film die Annäherung zwischen Bryon und Julie, die beide so gar nicht den Klischees entsprechen, die man aus »Boy-Meets-Girl-Filmen« kennt. In denen verliebt sich der Junge von nebenan in das Mädchen von nebenan. Beide so sympathisch und glatt, dass sie keine Charaktere mehr sind, sondern austauschbare Profile, die möglichst vielen Kunden / Usern / Followern / Zuschauern gefallen sollen.
In dem verstörenden Anfang des Films ist Bryon noch ein Mann, bei
dessen Anblick man vorsorglich die Polizei rufen möchte. Oder unauffällig die Straßenseite wechseln. Julie ist sympathischer, aber gute Menschenkenntnis würde man ihr nicht bescheinigen. Und ihr Leben im Griff zu haben schon gar nicht.
Nur zwei Schlucke Bier und einen Kuss später erscheinen beide in einem neuen Licht. Der Regisseur und seine großartigen Schauspieler zeigen eine Verwandlung, die an mittelalterliche Alchimie erinnert. Bei der man versuchte, wertloses Metall in Gold zu verwandeln. Hat damals nicht geklappt. Doch mit Menschen ist mehr möglich als mit Metall.
Bryon wirkt immer weniger wie menschlicher Abschaum. Sondern wie ein Gefallener, der eine neue Chance verdient. Die überforderte Mutter
erweist sich als patent. Auf jeden Fall hat sie das Herz auf dem richtigen Fleck. Plötzlich sind die beiden ein vielversprechendes Paar, das eine gemeinsame Zukunft haben könnte.
Wären da nicht Bryons Tattoos und seine »Suprematisten-Gruppe«. Die jagen nicht nur gnadenlos Farbige, Linke und Liberale. Sondern auch Aussteiger und Verräter wie Bryon einer werden könnte... Bryon muss sich entscheiden. Für Hass, Wut und Gewalt? Oder für ein neues Leben mit Julie und ihren Töchtern?
Auf so eine Gelegenheit hat Daryle, der Aktivist von »One People’s Projects« nur gewartet. Und er lässt sie sich nicht entgehen... Genau so wenig sollte man sich diesen Film entgehen lassen, in dem ein Rassist zu einem respektablen Menschen wird.