USA 1999 · 105 min. · FSK: ab 16 Regie: Tim Burton Drehbuch: Wahington Irving, Kevin Yagher, Andrew Kevin Walker Kamera: Emmanuel Lubezki Darsteller: Johnny Depp, Christina Ricci, Miranda Richardson, Michael Gambon u.a. |
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Christina Ricci als gute Fee der Romantik |
Nacht, Nebel, Angstschweiß und eine Kutschenfahrt durch düstre Wälder: Schon in den ersten Sekunden geht sie los, diese wilde Jagd, die erst zwei Stunden später zuende sein wird. Die Zuschauer werden Zeuge, wie in der Zwischenzeit mehr als einer seinen Kopf verliert. Zuerst ist es Van Garrett (der immer wieder wunderbare Martin Landau in einem leider nur wenige Minuten währenden Kurzauftritt), dem ein dämonischer Reiter in wilder Hatz auf den Fersen istein Säbel wird geschwungen, und wie ein reifer Kürbis purzelt Van Garretts wichtigstes Körperteil zu Boden.
Man befindet sich im Jahr 1799, zu einer Zeit also, in der sich die Vernunft zu ihrer Durchsetzung noch der scharfen Klinge der Guillotine bediente, und auch ihre Gegner nicht eben zimperlich waren. Der Tod des ehrenhaften Bürgers Van Garrett wird Anlaß für die Behörden im fernen New York, einen den ihren auszusenden, um im Norden des Hudson River nach dem Rechten zu sehen. Dort im verschlafenen Nest Sleepy Hollow treibt ein Mörder sein Unwesen, schon vier Menschen sind ihm zum Opfer gefallen.
Der Auserkorene ist der junge Konstable Ichabod Crane, von Londoner Kriminologen ausgebildet, ehrgeizig und ganz und gar ungläubig gegenüber den Legenden, für die Bluttaten sei ein mysteriöser »headless horseman«, ein kopfloser Reiter verantwortlich, der seit Jahren in den Nebelwäldern der Flußlandschaft sein Unwesen treibe. Crane, wissenschaftlich geschult und unbeirrbar dem Geist der Aufklärung verpflichtet, glaubt nicht ans Unerklärlichees wird schon eine rationale Begründung für die Mordserie geben. Zum zweiten Mal binnen kürzester Zeit (nach Roman Polanskis The Ninth Gate) spielt Johnny Depp hier den Archetyp eines detektivischen Aufklärers, und auch diesmal muss er die Grenzen seiner Vernunft überschreiten und bitter erfahren, dass es vielleicht doch Dinge gibt, die eine bis dato gut funktionierende Weltordnung ins Wanken bringen können. Anders als der Buchjäger Dean Corso bei Polanski ist Depp diesmal weniger der Detektiv als Flaneur und Künstler des Oberflächlichen. Eher wie ein Archäologe geht er vor, der Schicht für Schicht abträgt, um dem Unglaublichen auf die Spur zu kommen.
Und weil sein Regisseur Tim Burton heißt, kann diese Figur gar nicht ohne viel Komik existieren, muss sie sich immerzu verhaspeln und verstolpern auf ihren kopflosen Erkenntnisversuchen. Der Vernunftmensch Ichabod Crane istweit mehr als in Washington Irvings Novelle The Legend of Sleepy Hollow, der Vorlage des Films, die Burton und sein Autor Andrew Kevin Walker (der auch das Script für Se7en schrieb) freilich glücklicherweise sehr in Richtung Slasher-Comedy frei interpretiertauch gleich sein eigener dummer August dazu. Seine Würde ist die eines sehr geschätzten guten Menschen, den wir gleichwohl nie ganz ernst nehmen könnenbis er eines Tages sich höchst wunderbar bewährt.
Eine weitere Glanzrolle hat Christina Ricci, nicht minder Ichabods Gegenpart als der kopflose Reiter. Sie ist Katrina Van Tassel, Tochter des reichsten Mannes im Ort, und schnell das Objekt von Cranes heimlicher Begierde. Nur ist die junge Dame nicht nur verführerisch, sondern auch ziemlich mysteriös, und so begegnet Ichabod in Katrina nicht nur der Vernunft das Gefühl, also das von der Vernunft zugelassene Irrationale, sondern auch das Verbotete: Mystizismus, Esoterik, Hexenwahn. Die Frau als Zauberin, wenn auch – »nicht alle Magie ist notwendig schwarz« – als gute Fee, die schließlich in Dienst der Aufklärung tritt, und den Helden erlöst. Letzteres geschieht im Film vor allem dadurch, dass ein Zusammenhang Katrinas mit der Mutter Ichabods konstruiert wird auch die war eine (gute) Hexe, wurde deshalb hingerichtet. So erhält Ichabod nicht nur eine psycholoische Vergangenheit, die seinen einseitigen Rationalismus erklärt, rechtfertigt und relativiert in einem Stück, in der schließlichen Vereinigung mit Katrina kann flugs auch noch die verlorene Mutter wiederfinden und sein Trauma kurieren.
Schließlich der Ort. Für Burton ist diese Gemeinschaft holländischer Farmer in der Frühphase der Besiedlung Amerikas kein Ort nostalgischer Besinnung. Findet man bei Irving noch den gütigen Blick auf die Gemeinschaft der Pioniere, erscheint die zu erobernde Wildnis im milden Licht romantischer Naturbetrachtung und -verehrung ist bei Burton davon nichts zu spüren. Stattdessen: Sarkasmus pur.
In all seinen Filmenunter anderem Edward Scissorhands, Mars Attacks! – ist Tim Burton ein Meister skurrillen Humors, grotesk verspielter Ausstattung, poetisch versponnener Bilder. In den beiden ersten Batman-Filmen gelang es ihm zudem, der Comic-Figur zusätzliche mythische Dimensionen zu verleihen. Dynamisch und voller Überraschungen sind seine Filme immer. All' diese Tugenden findet man auch in Sleepy Hollow. Hinzu kommt aber diesmal ein Stoff, den der Regisseurbei aller Lust an der Abschweifungspürbar ernster nimmt, als frühere Filme.
Vieles erinnert an alten Horror-Pop: von James Whales anrührenden Frankenstein-Filmen aus den 30er Jahren bis hin zu den Trash-Spektakeln der britischen Hammer-Studios aus den 60ern und 70ern. Erzählt wird die romantische, im phantastischen Stil der gothic novels gehaltene Geschichte in wunderbar komponierten, atmosphärisch dichten, grandiosen Bildern, an denen man sich gar nicht sattsehen mag.
Darum ist Sleepy Hollow auch gar nicht so sehr der Horrorfilm, als der man ihn vermarktet. Schon wahr: die Köpfe rollen, und nicht wenige Figuren verlassen die Leinwand vor der Zeit. Auch geht es wieder einmal in die Wälder, die man spätestens seit The Blair Witch Project als beliebten Schauplatz zur Angstentfaltung im amerikanischen Kino wiederentdeckt, weil man hier nicht nur eigenen Urängsten sondern auch dem Unterholz des amerikanischen Traums begegnet.
Doch so richtig zum Fürchten ist das alles selten, auch Angst und Grauen sind, so zeigt Burton, vor allem lächerliche Dinge. Eher schon wohnt man einer Etüde bei, einem Gedicht, das Motive aus Aufklärung und Romantik varriiert und zu einem poppigen Ganzen verschmilzt. Und am Ende hat man begriffen, dass auch die Aufklärung zwar manchmal kopflos werden kann, schließlich aber doch immer Früchte trägt.
(To be continued)