USA 1996 · 94 min. Regie: Kristine Peterson Drehbuch: Bill Cody Kamera: Zoran Hochstätter Darsteller: Molly Gross, Marisa Ryan, Jason Bortz, Bob Neuwirth u.a. |
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Wir kennen das klassische Storymuster, dem auch dieser Film folgt: Band-ist-cool, Band-kommt-in-Krise, Band-meistert-Krise-und-hat-großen-Auftritt. Doch Kristine Petersons Slaves to the Underground benutzt diesen abgenudelten Kiddie-Film-Rahmen nur, um von ganz anderen Dingen zu erzählen. Denn alles hat sich verändert. Helden und Identifikationsfiguren im Film sind nicht mehr die selben, weil auch die Wirklichkeit nicht mehr die selbe ist. Und weil Kristine Peterson das erkannt hat, ist Slaves to the Underground einer jener nicht besonders häufigen Filme geworden, die endlich einmal etwas von der Gegenwart zeigen. Das ist gar nicht genug zu schätzen.
Shelly (Molly Gross) spielt in einer All Girl-Band, die bezeichnenderweise No Exits heißt. Die vier Mädels sind nicht nur gut befreundet, Shelly ist auch mit Suzy (ganz hervorragend: Marisa Ryan) liiert. Der Film folgt anfangs den vier gut gelaunten jungen Frauen durch ihren Alltag. Sie trinken Bier, feiern Partys und machen schöne, sehr zeitgemäße Rock-Musik und haben damit auch noch Erfolg.
Wir erleben auch, wie die vier den Männern begegnen. Wie sie Männeraggressionen
eigene Wut entgegensetzen, also z.B. einem Pornoheftchenhändler seine Hefte klauen, einem dumm-schmierigen Radiomoderator, der Witze über Vergewaltigung macht, das Studio aufmischen und die Musikbänder verbrennen. Und an einem Konzert-Abend erkennen wir auch den Grund für dieses Verhalten, daß uns vielleicht nicht völlig unangemessen vorkam, aber doch -bei aller klammheimlichen Sympathie- in seiner Ernsthaftigkeit merkwürdig übertrieben. Denn dort trifft Shelly
unerwartet auf Brian, der sie einst vergewaltigt hat. Die beiden Freundinnen schlagen Brian krankenhausreif, und sorgen kurz darauf dafür, daß er seinen Job verliert. Diese süße Rache macht sie zwar nicht glücklicher, aber ein bißchen zufriedener.
Shelly trifft aber auch, und das ist der zweite Erzählstrang, auf dem gleichen Konzert auf Jimmy (Jason Bortz), ihren Ex-Freund. Im Zuge des Wiedersehens erkennt Shelly, daß sie sich immer noch für Jimmy interessiert. Sie schlafen miteinander, und als die Situation durch Suzys Eifersucht eskaliert, ziehen sie zusammen. Doch schnell merkt Shelly, daß sie damit auch nicht glücklicher wird. Hin- und hergerissen zwischen zwei Menschen, die beide nur einen Teil von ihr wollen und brauchen, muß Shelly ihren eigenen Weg gehen, und weiß doch nicht wie. Diese Ratlosigkeit, das orientierungslose Hin und Her, erleben wir sehr authentisch und sehr nachvollziehbar.
Angesiedelt ist das Ganze in Seattle. Und darum muß man Slaves to the Underground auch als Kommentar zur Hauptstadt der biertrinkenden Slacker und herumhängenden Generation X lesen. Was einst Subkultur war, ist längst normal und veralltäglicht geworden, hat mit den selben Problemen zu kämpfen, wie alle anderen auch. Damit ist es aber auch andererseits ein allgemeines Lebensgefühl geworden. Und es gehört zum Besten des Films, wie er ganz einfach das ganz normale Leben junger halbwegs aufgeweckter Leute Ende 20 zeigt, die Haltlosigkeit wirtschaftlich-sozialer Verhältnisse, aber auch der Gefühle, die niemals so eindeutig sind, wie das konventionelle Filmdramaturgien gerne hätten.
Gemeinsam ist beiden Erzählsträngen daß sie einerseits zeitgemäß Jugendszenen (und meinetwegen Underground-Bewegungen) schildern, andererseits dies aber recht intelligent mit fundamentalen Fragen von Selbsterkenntnis und Selbstbehauptung verknüpfen. Im Grunde geht es um Identität in der – das kann auch gar nicht anders sein – Krise.
Besonders interessant ist daran die weibliche Seite. Wir männlichen Zuschauer können beobachten, wie die Mädchen untereinander sind, was sie von Jungs unterscheidet, aber auch was sie gemeinsam haben. Hier lernt der unwissende western european male endlich, was es mit den sagenumwobenen Girlies tatsächlich auf sich hat. Man muß Slaves to the Undergrund vergleichen mit den vielen anderen Filmen der vergangenen beiden Jahre, die das Leben von
jungen, meist weißen (und meist szenigen Mittelklasse-) Frauen zum Thema machen, und oft auch von Frauen stammen: Girls Town, All Over Me, Chasing Amy, Set It Off, Dogs, Walking and Talking. Petersons Film ist nicht grundsätzlich anders, aber einer der radikalsten von ihnen.
Denn Girlietum ist natürlich etwas ganz anderes, als das wofür es hierzulande gehalten wird. Wenn ein junges Mädchen sich bei uns den Bauchnabel pierced und dazu ein nabelfreies T-Shirt und Stiefel
trägt, glauben viele schon, sie sei jetzt ein Girlie. Slaves to the Underground gibt eine Ahnung davon, daß es um Politik und um Lebensstil, und um deren popkulturelle Verbindung geht, nicht um modische Akzidenzien wie verschmierten Lippenstift und Minirock. In den USA gibt es viele solcher politisch motivierter Riot Grrrls, die wütend auf die Pauke hauen, Manifeste schreiben, und tradierte Rollenmodelle nicht etwa in Frage, sondern einfach flugs auf den Kopf
stellen. Während Feminismus bei uns nicht selten bedeutet, häßlich zu sein, sich wie eine esoterische Sekte zu gebärden, und Haare außer auf dem Kopf auch noch auf Zähnen und Beinen zu haben, finden Girlies, das Feminismus cool sein sollte.
Slaves to the Underground ist ein authentischer Ausdruck dieser Girlie-Subkultur. Es gibt viele schöne Momente in dem Film. Stilistisch mischen sich ein harter ehrlicher Realismus mit kalkulierter Künstlichkeit (in einmontierten Kurzstatements stellen sich die Hauptprotaghonisten selbst vor und erklären sich dem Betrachter selbst) und Romantik. Viel funktioniert über den guten Sound, der einige Plattheiten und Längen der Liebesgeschichten überdeckt. Vielleicht ist der Film auch ein bißchen zu moralisch, un ein bißchen zu gut gemeint. Und das Ende hätte man geschickter, ohne das allzunaheliegende Opfer.
Aber das Positive überwiegt bei weitem. Slaves to the Underground (schon 1997 auf der Berlinale zu sehen, aber erst jetzt in deutschen Kinos) ist gut, witzig, offen und anrührend. Am Ende steht, das darf man verraten, kein plattes Happy End. Shelly, Suzy und Jimmy sind Helden, weil sie gebrochene Figuren sind (darum können wir uns mit ihnen identifizieren), und trotzdem »character« haben, zu sich selbst stehen (darum wären wir gern wie sie). Denken wir daran: Alles hat sich verändert.
Zugleich ist der Film endlich einmal ein Independent-Movie, der diese Bezeichnung tatsächlich verdient, und nicht wie eine unverhohlene Bewerbung für irgendeinen Big Job in Hollywood wirkt. Was vielleicht am seltensten im Film geschieht, passiert hier: Man glaubt, dem Leben bei der Arbeit zuzusehen und Wahrheit zu erleben. Und weil dieser Film in manchen Momenten so echt ist, als handle es sich um eine Dokumentation, hört er plötzlich einfach auf. Denn eigentlich dürfte er nie aufhören, das Leben geht ja schließlich auch immer weiter.