Deutschland 2008 · 94 min. · FSK: ab 12 Regie: Alexander Adolph Drehbuch: Alexander Adolph Kamera: Jutta Pohlmann Darsteller: Devid Striesow, Nadja Uhl, Jörg Schüttauf, Floriane Daniel, Thorsten Merten u.a. |
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Objekt der Hochstapelei |
Wenn man über einen Menschen sagt, er könne sich gut selbst verkaufen, dann ist das in der Regel als Lob gemeint. Dem Alltagsgebrauch dieser Floskel entgeht ihr Doppelsinn, der zugleich das ganze Drama enthält, von dem Alexander Adolphs Film handelt. Es geht um einen Menschen, der sich selbst nur da findet, wo er in erfundene Rollen schlüpft, und das heißt zugleich, dass er sich längst verloren hat. Denn der Betrug an anderen geht mit dem Selbstbetrug Hand in Hand – und gerade weil es vielleicht ja zutrifft, dass die Welt gern betrogen werden will, wird das Spiel für die, die das gekonnt tun, mitunter derart verführerisch, dass sie Junkies ähneln, Spielsüchtigen – nur dass sie nicht um ihr eigenes Geld spielen, sondern mit dem Geld der Anderen gleich um ihr eigenes Leben.
Frank Knöpfel ist so einer. Seinen »Geschäftspartnern« legt er 20.000 Euro auf den Tisch, in bar versteht, sich, und entschuldigt sich, dass »die Rendite so gering ausgefallen ist«, aber wenn er etwas mehr Zeit hätte... Dann fallen Sätze wie »Ich muss meinen Flieger kriegen« oder »In vier Stunden geht meine Maschine nach Kapstadt«. Dann lässt er noch einfließen, er könne seinem Gegenüber das Geschäft nicht wirklich empfehlen – »Sie sind nicht der Typ dafür«. Und spätestens jetzt ist der so weit, ihm die vielfache Summe in die Hand zu drücken, und Knöpfel hat, was er wollte.
»Wie Klein-Moritz sich die Finanzwirtschaft vorstellt...« mag manch einer hier denken, aber Alexander Adolph wusste schon lange vor der Finanzkrise, dass kein Trick plump genug sein kann, damit nicht ein paar Menschen auf ihn reinfallen, denn die Gier ist immer stärker. Bereits in seiner ausgezeichneten Dokumentation Die Hochstapler, die 2007 ins Kino kam, erzählte Adolph, im Fernsehen längst ein gefragter und mehrfach ausgezeichneter Drehbuchautor, von solchen Betrügern. Es waren atemberaubende, kaum glaubhafte Geschichten: Zum Beispiel von dem Mann, der Top-Managern für 5 Millionen eine Ausflugsreise zum Mond verkaufte, zur Jahrtausendwende, mit einer »Milleniums-Party« auf dem Erdtrabanten. Oder dem, der sich als NATO-Offizier und »persönlicher Freund Joschka Fischers« ausgab, und mal eben ein halbes ostdeutsches Dorf anmietete, und dort »einfach so« eine NATO-Sicherheitskonferenz organisierte. All diese Geschichten waren tatsächlich geschehen und zeichneten das Bild einer bizarren Schattenseite der Bundesrepublik, bei dem der Verweis auf Straftatbestände nur davon ablenkte, dass zum Betrüger auch immer die gehören, die sich betrügen lassen. Autohändlern traut man allenfalls in Zeiten der Abwrackprämie, Raketenhändlern und Mondverkäufen aber offenbar jederzeit. Denn jede Lüge braucht, um geglaubt zu werden, ein Quentchen Wahrheit – und mag das auch in den Köpfen jener liegen, die auf derartige Märchen für Erwachsene hereinfallen. Die Lüge kann ein Unglück sein. Oder? The Truth lies in the eye of the beholder.
So glücklich war ich noch nie zeigt nun gewissermaßen die Innenansicht, das, was die Dokumentation verschweigen musste, weil dort erzählt wird, aber nicht gezeigt werden kann. Frank Knöpfel heißt die Hauptfigur dieses Films. »Man ist doch nie gleich. Man ist doch ständig jemand anderes«, sagt er. Ein Chamäleon. Mit dem charmanten Hochstapler Felix Krull teilt er nicht nur die Initialen, sondern auch die Berufung: Ein Mensch, der sich mit Wollust der Lüge hingibt, weil sie Befreiung bedeutet aus dem Käfig der Identität, weil sie es möglich macht, alles zu leben, was man leben will, der ein Chamäleon ist für sich wie für andere – und dabei doch die Lust der Zuhörer am Neuen und Fremden, am Unerwarteten und Unglaublichen bedient, wie seinerzeit der Baron von Münchhausen: »Sie wünschen alle, meine Herren, ich sehe es Ihnen an den Augen an, zu hören, wie ich an einen so großen Schatz gekommen bin.« Aber welche Farbe hat das Chamäleon wirklich? Das ist die Frage des Films, und die Schwierigkeiten der Antwort sein Thema.
In der ersten Szene begegnen sie sich: Er, ein überaus charmanter, gewinnender Mann, nicht gerade geschmackvoll wirkend mit seinem grünen Pullover und den nach vor gekämmten blonden Haaren, sie, eine recht normal wirkende, gut angezogene Frau, von Anfang an voller Misstrauen. Er will ihr, seiner Spontanbekanntschaft im Luxusgeschäft mit großer Überzeugungskraft ein paar schöne teure Klamotten schenken. Schon in der ersten Szene, wenn man noch gar nicht weiß, worum es geht, spürt man, dass hier irgendetwas nicht stimmt, dass dem Charisma, dem unverstellten Charme und der Verführungskraft dieses Mannes ein Element von Unwahrhaftigkeit beigemischt ist. Es ist die Leistung von Devid Striesow, dass er von Anfang an diese verschiedenen Facetten seiner Rolle entfaltet, sodass der Zuschauer hier nie der Betrogene ist, sondern an seiner Seite steht, und ihm – ungläubig staunend, fasziniert – zusieht, wie er da tut, was er tut. So ist dieser Knöpfel einer vom Striesows besten Auftritten geworden, und auch wenn man womöglich vorher kurz gedacht hat, dass es in letzter Zeit ja ziemlich viel Stiesow zu sehen gab im Kino, ist man dann solche Gedanken gleich wieder los, weil man einem Schauspieler dabei zusieht, wie er als Hochstapler quasi sich selbst spielt, wie er Rollen, Namen, Tonlagen und Gesten wechselt, wie manche Menschen den Fernsehkanal. Striesow und Adolph zeigen Knöpfel als Süchtigen, als einen der gar nicht anders kann, als mit sozialen Rollen zu spielen, und die Erwartungen seines jeweiligen Gegenübers, seine verborgendsten Wünsche zu spüren und zu erfüllen. Virtuos balanciert der Film dabei auf dem schmalen Grat zwischen Moral und Unmoral, die diesen Charakter ausmachen. Denn selbstverständlich besitzt Knöpfel, dieser Meister des »Impression management«, für den die ganze Welt zur Bühne seiner Ausdruckskunst und Fassadenmalerei wird, an die er auch selbst immer für Augenblicke glaubt, damit alle Tugenden, die heutzutage, in der mobilgemachten flexibilisierten Mittelstandsgesellschaft gefordert werden, und die der US-Soziologe Richard Sennett vor Jahren als Corosion of Character beschrieb. Er ist »der flexible Mensch« per se. Einer, der keine feste Lebensgeschichte mehr hat, sondern seine verschiedenen Rollen und Charaktere »sampelt«, der auf ein Arsenal an Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmalen bei Bedarf zurückgreifen kann. Er tut das nur radikaler, perfekter, losgelöst von Rücksichtnahmen auf seine »eigentliche Persönlichkeit«. »Nichts Langfristiges«, das Motto der postfordistischen Arbeitswelt wie der liberalen Gesellschaft ist sein Lebensprinzip. Denn keine seiner Rollen ist langfristig aufrechtzuerhalten. Sie sind von vornherein auf schnelle Halbwertszeit angelegt. Und so ist dieser skrupellose Gaukler und begnadete Betrüger nichts anderes als eine gesteigerte und mit mehr Chuzpe, aber auch mehr sozialem Genie ausgestattete Variante der Börsenhändler und Bankster, deren Aura gerade analog zum Kursgefälle an den Finanzmärkten schwindet.
Adolph gelingt es, und das ist eine der Stärken seines Films, sich aufs Zeigen zu beschränken, wo andere psychologisieren würden. Er zeigt den Charme, der Knöpfel manchmal als modernen Felix Krull erscheinen lässt, und oft als deutsche Ausgabe von Leonardo DiCaprios Figur in Catch Me If You Can – zu der neben der Getriebenheit auch der Traum des kleinen Mannes von der großen weiten Welt gehörte. Er zeigt auch Knöpfels Mitmenschen: Seinen Bruder, einen von Jörg Schüttauf glänzend gespielten, spießigen Softie. Seine Opfer, die oft selbst schuld sind in ihrer Leichtgläubigkeit, wie jener Politiker der »Freien Liberalen«, der ins seiner Kombination aus Frechheit, Dummheit, spießigem Yuppietum und neoliberale Ideologie unverkennbar die Westerwelle-Partei verkörpert, und zugleich alles repräsentiert, was die Mehrheitsgesellschaft mit den von ihr verurteilten Betrügern gemeinsam hat. Und er zeigt Tanja, die Prostituierte, in die sich Knöpfel in einem Modegeschäft auf den ersten Blick verliebt. Die Hure und der Gangster – das ist zwar ein billiges Kinomärchen, genauso wie die Idee, die Hure in die Heilige zu verwandeln. »Ich hol Dich hier raus« heißt seine Melodie. Aber es wird wahr und glaubwürdig im beeindruckenden Spiel von Nadja Uhl, in ihren fassungslosen Blicken, wenn sie Knöpfel nichts glaubt, nichts glauben will und das irgendwann doch egal ist. Das Glück kann nämlich auch in der Lüge liegen.