Sonnenplätze

Deutschland 2024 · 97 min. · FSK: ab 12
Regie: Aaron Arens
Drehbuch: ,
Kamera: Tobias Blickle
Darsteller: Julia Windischbauer, Juliane Köhler, Niels Bormann, Jeremias Meyer, Jeremy Mockridge u.a.
Blick zurück, Blick nach vorn
Viel Freiheit, wenig Glück...
(Foto: Filmwelt)

Die doppelte Vertreibung aus dem Paradies

Aaron Arens’ Langfilmdebüt über eine dysfunktionale intellektuelle Familie überzeugt durch gelungene Dialogkaskaden und eine gnadenlose Suche nach Familienwahrheiten

Filme über Schrift­steller, lite­ra­ri­sches Schreiben und all die faszi­nie­renden wie stereo­typen Abgründe, die damit zusam­men­hängen, gibt es in allen filmi­schen Genres, zu allen Zeiten, deshalb soll beispiel­haft ein kurzer Blick zurück reichen, um die Vielfalt anzu­deuten, die in diesem Sub-Genre möglich ist. Sei es Jade Halley Bartletts Miller’s Girl (2024), Davide Ferrarios Umberto Eco – Eine Biblio­thek der Welt (2024), Dominik Grafs Jeder schreibt für sich allein (2023) oder Christoph Petzolds Roter Himmel (2023) – es geht eigent­lich alles, denn allein schon die Frage­stel­lung, wie viel Leben des Autors in jedem seiner Bücher steckt, ist nicht erst seit Wim Wenders und seinem Hammett (1978- 82) ein beliebtes Vexier­spiel, ja im Grunde eine Stan­dard­zutat, die auch in den vorher bereits erwähnten Filmen eine wichtige Rolle spielt.

Auch in Aaron Arens’ Lang­film­debüt ist diese Frage relevant und wird gleich über zwei Schrift­stell­er­ge­ne­ra­tionen durch­de­kli­niert: da ist Jo Maibaum (Niels Bormann), der mit seinem Roman »Aus der Sonne« einen Klassiker des Jugen­d­ro­mans geschrieben hat und von diesem One-Hit-Wonder auch noch in seinen alten Tagen zehrt, denn seine Tochter Sam (Julia Windisch­bauer), die bereits seit Jahren an ihrem Debüt arbeitet, muss in einem Krisen­mo­ment erkennen, dass sie nur durch den Namen ihres Vater von ihrer Lite­ra­tur­agentin Inge (Denise M’Baye) ernst­ge­nommen wird, die wiederum nur hofft, dass Jo nach all den Jahren des Schwei­gens, endlich doch noch seinen zweiten Roman schreibt.

Aaron verschiebt diese Grund­kon­stel­la­tion über ein paar verzwickte, komö­di­an­ti­sche Sprünge in das Sommer­haus der Familie auf Lanzarote, in dem – für alle über­ra­schend – nicht nur Jo seit Jahren wohnt, sondern sich nach und nach nicht nur Sam mit ihrem Bruder, sondern die als Verle­gerin tätige Mutter Sybille (Juliane Köhler) mit ihrem neuen Freund einfinden, um eine Art Fami­li­en­auf­stel­lung durch­zu­ex­er­zieren.

Bei dieser kammer­spiel­ar­tigen Suche nach Familien- und indi­vi­du­eller Freiheit geht Arens angenehm gnadenlos vor, denn keines der Fami­li­en­mit­glieder wird durch­ge­hend sympa­thisch darge­stellt, ganz nach der Erkenntnis, dass die Hölle immer zuerst die eigene Familie ist. Und dabei dann auch keines­falls hilft, wenn die Familie sich wie in Aaron Arens’ Fami­li­en­drama im intel­lek­tu­ellen Milieu einer Schrift­steller- und Verle­ger­fa­milie bewegt und das Reflek­tieren über das eigene Leben zum beruf­li­chen und privaten Alltag wie die Butter aufs Brot gehört. Das bedeutet aller­dings auch, dass einem niemand von Arens’ Personal wirklich ans Herz wächst und der Zuschauer hier eher einer psycho­lo­gi­schen Versuchs­an­ord­nung zuschaut, aber keinem humor­vollen Drama mit Erlö­sungs­ver­spre­chen, so wie etwa in Petzolds Roter Himmel.

Arens zeigt vielmehr, was es für den Einzelnen bedeutet, in einer Gesell­schaft zu (über-) leben, in der, wie Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim schon Mitte der 1990er Jahre konsta­tierten, zwar alles möglich ist, diese riskanten Frei­heiten aber auch bedeuten, dass jeder für sein Glück völlig allein verant­wort­lich ist. Und das nicht nur gesell­schaft­lich bezüglich seiner Karriere, sondern auch im privaten, in der Beziehung genauso wie in der Kern­fa­milie.

Die Schwere dieser Erkenntnis lockert Arens jedoch immer wieder und wunder­voll anar­chisch durch groteske Über­zeich­nungen der Fami­li­en­kon­stel­la­tion auf. Und dann ist da natürlich noch einer der berühm­testen Sehn­suchtsorte der Deutschen, Lanzarote, der hier genauso dekon­stru­iert wird wie die klas­si­sche deutsche Kern­fa­milie. Das kommt einer doppelten Vertrei­bung aus dem Paradies gleich, ist dann aber gerade durch Arens’ wunder­bare Dialog­kas­kaden und ein sich zuspit­zendes, immer wieder ins Absurde glei­tendes Drama nicht nur unter­hal­tend, sondern auch klug und wurde zu Recht mit dem Starter-Filmpreis der Stadt München sowie auf dem 41. Filmfest München mit dem Drehbuch-Förder­preis Neues Deutsches Kino ausge­zeichnet.