Song to Song

USA 2017 · 129 min. · FSK: ab 6
Regie: Terrence Malick
Drehbuch:
Kamera: Emmanuel Lubezki
Darsteller: Ryan Gosling, Rooney Mara, Michael Fassbender, Natalie Portman, Cate Blanchett u.a.
Avatare aus Altherrenfantasien

Abgang der alten Herren

Immerhin regt Terrence Malicks Song to Song an, es mal ganz anders zu versuchen. Es vom Pres­se­heft her aufzu­ziehen und sich – vom Titel des Films inspi­riert – zu fragen: Läßt sich an der Qualität bzw. inhalt­li­chen Vertei­lungen eines Pres­se­heftes ablesen, wie gut oder schlecht der behan­delte Film ist? Nach dem Pres­se­heft von Malicks Film wäre die Antwort nämlich ein verlo­ckendes »Ja«. Denn wie wenig Inhalt muss in einem Film sein, in dem so viel Musik vorkommt, in dem fünf von neunzehn Seiten des Pres­se­heftes aus Track­lis­tings eingän­giger Pop-Songs bestehen? Was bleibt da noch übrig für den Plot, den gedank­li­chen Überbau und für seine Schau­spieler und ein paar Größen aus dem Musik­ge­schäft, wie Patti Smith und Iggy Pop? Nicht viel.

Das mag zuerst einmal vor den Kopf stoßen, denn was an gedan­ken­schweren Filmen der letzten Jahre ist nicht alles von Malick gekommen: die Sinnsuche In Knight of Cups (2015), die Liebes- und Vergäng­lich­keits­re­fle­xion von To the Wonder (2012) oder die religiöse-philo­so­phi­sche Exegese in The Tree of Life (2011). Warum dann jetzt ein Film, der in der Musik­szene von Austin/Texas ange­sie­delt ist? In dem die ambi­tio­nierte Musikerin, Tagträu­merin oder Groupie Faye (Rooney Mara) – was sie wirklich ist, was sie wirklich will, wird nie auser­zählt – eine Beziehung zu dem Musik­pro­du­zenten Cook (Michael Fass­bender) eingeht, um sich dann in den aufstre­benden Song­writer BV (Ryan Gosling) zu verlieben und damit eine Drei­ecks­be­zie­hung zu eröffnen. Ein im Grunde unschul­diger Reigen, in den dann noch ein paar andere Schau­spiel­er­größen einsteigen. Natalie Portman ist mit dabei, Cate Blanchett und Holly Hunter und auch Val Kilmer taucht auf.

Und so somnambul wie dieser Ménage à trois (et à quatre) dahin­düm­pelt, immer wieder durch extreme und fast schon infla­ti­onär genutzte Weit­win­kel­auf­nahmen und immer bizarrere Einstel­lungen (Emmanuel Lubezki) sich noch weiter von so etwas wie »erklär­barem«, »wirk­li­chem« Gefühl (und einem über­zeu­genden Plot sowieso) entfernt, so mehr verschließt auch der Betrachter vor diesem Angriff auf jegliche Diffe­ren­zie­rung und Tiefe die Augen, um wenigs­tens den Dialogen noch etwas abge­winnen zu können. Doch bei den vielen – schnell wieder in Verges­sen­heit geratenen, mediokren Poptiteln – bleibt nicht viel Raum für ein Gespräch. Da Malick sich jedoch seit Jahren eine durchaus originäre lyrische Film­sprache erar­beitet hat, die sich gerade über Leer­stellen und eine immer wieder auch aufre­gende arti­fi­zi­elle, filmische Ästhetik definiert, über­rascht die sparsame Dialog­füh­rung und die medi­ta­tive Erzähl­füh­rung aus dem Off nicht wirklich, über­ra­schen eigent­lich nur die entsetz­li­chen Stereo­typen, die Malick hier wie eine Perlen­kette fast schon penibel aufreiht. Nichts wird ausge­lassen, was man gemeinhin mit Reichtum attri­bu­tiert: Pent­house­woh­nungen, Villen, Designer-Kleidung, VIP-Plätze auf Konzerten, teure Autos. Und dementspre­chend wird geredet. Als Cook sich mit der Kellnerin Rhonda (Natalie Portman) tröstet, fragt Cook sie, als sie auf seinen Ferrari oder Lambor­ghini zugehen: »Magst du das?« Und sie antwortet: »Ja, natürlich, ich liebe mate­ri­elle Dinge«.

Spätes­tens hier wird klar, dass es Malick nicht anders als Schlön­dorf oder Wenders geht. Hier arbeiten Regis­seure an ihrem Alters­werk und mani­fes­tieren auch nicht viel mehr als die feuchten Träume alter Herren. Frauen sind für Malick wie für Schlön­dorf in seiner Rückkehr nach Montauk nichts weiter als Fallobst, das man nur aufheben und zum Mund führen muss. Willen­lose und ergebene Spar­rings­partner, besten­falls Musen männ­li­cher Karrieren. Ein wenig zumindest werden diese alten Gender-Kamellen von Malick auch gebrochen. Sein aufre­gendes Live-Footage vom Austin City Limits Festival zeigt zumindest für Sekun­den­bruch­teile andere Paar­be­zie­hungen und auch was John Lydon, Iggy Popp und Patti Smith in den viel­leicht inter­es­san­testen Szenen des Films zu sagen haben, stellt Malicks eigene Alther­ren­lyrik weit in den Schatten, gerade auch, weil Malick hier wirklich einmal inter­es­sant expe­ri­men­tiert, indem er seine Schau­spieler-Prot­ago­nisten semi-doku­men­ta­risch mit der »realen« Welt kommu­ni­zieren lässt.

Das hilft seinem weiter dahi­n­ir­renden Ensemble zwar nicht weiter, aber dafür bleibt Zeit für weitere Asso­zia­tionen, Erin­ne­rungen an eines von Malicks frühen Werken, an seine über­ra­genden Days of Heaven (1978), in denen ebenfalls eine Drei­ecks­be­zie­hung im Zentrum steht, in der sich Malick damals jedoch für eine unab­hän­gige und starke Frau entschieden hatte. Und in dem Moment, als man sich durch Malicks nicht enden wollenden Rundgang durch die Ober­fläch­lich­keit der Austiner Musik­szene schon fast damit abge­funden hat, dass es im Musik­ge­schäft ja viel­leicht doch so blöde zugeht, wie Malick es ausbuch­sta­biert bis es auch der Letzte verstanden hat, blitzt die Erin­ne­rung an ABCs Musik­serie Nashville auf, der das gelingt, was Song to Song sich nicht einzu­ge­stehen traut: die zu ihren Soap-Elementen genauso steht wie zu ihren dann doch feinen Charak­ter­zeich­nungen, die die Musik genauso ernst nimmt wie die Kommer­zia­li­sie­rung der Musik und die sich vor allem nicht davor scheut, tatsäch­lich Musi­kerInnen und keine Avatare aus Alther­ren­fan­ta­sien zu präsen­tieren.

Die Erotik der Schwerelosigkeit

»From song to song, kiss to kiss...« Eine Frau ist die Erzäh­lerin aus dem Off. Sie erzählt von einer Drei­er­ge­schichte, von sich selbst, ihrem Leben zwischen zwei Männern. Von dem einen fühlt sie sich angezogen, er beein­druckt sie mit Macht und Geld. Den anderen liebt sie.

Diese beiden Männer sind Antipoden: Ein Realist gegen einen Idealist, Zyniker gegen Roman­tiker. Die beiden werden gespielt von Michael Fass­bender und von Ryan Gosling, zwei der wirkungs­vollsten, charis­ma­tischsten Schau­spieler der Gegenwart. Irgend­wann im Film sieht man beide in einem Flugzeug, das offenbar gerade weit über den Wolken durch den Raum stürzt, in einem einzig­ar­tigen Moment der Schwe­re­lo­sig­keit – sie schweben im Raum, und für ein paar atem­be­rau­bende Sekunden, sind die Stars, ist das Kino ganz bei sich selbst. Schwe­relos. Völlig losgelöst.

Wie jeder Kino-Darsteller tragen auch Gosling und Fass­bender ihre bishe­rigen Rollen in ihre neuen Werke und in diesen Film hinein: Fass­ben­ders Figur, ein zynischer Pop-Musik­pro­du­zent, ein Mate­ria­list, der die ganze Welt für käuflich hält, aber auch von einer seltsamen Trau­rig­keit umfangen ist, ein teuf­li­scher Sensibler, wirkt wie die Fort­set­zung des sexbe­ses­senen, erkal­teten, trau­ma­ti­sierten Yuppies aus Steve McQueens Shame.

Ryan Gosling spielt ein jungen Mann aus einfachen Verhält­nissen, der von einem Vater­pro­blem geplagt sein Zuhause hinter sich gelassen hat. Er will keine Lügen, er will alles wissen, und als es so weit ist, kann er die Wahrheit doch nicht ertragen. Er schreibt Musik­songs und wird dann von dem anderen, seinem vermeint­li­chen Freund, übers Ohr gehauen. Dieser unei­gen­nützig handelnde, ehrliche, liebe­volle, aber niemals naive, sondern lebens­kluge Roman­tiker erinnert natürlich an Gosling Haupt­figur aus dem Welt­erfolg Drive.

Es geht aber um die Frau und um ihre Geschichte. Und die wahre Sensation in diesem Film ist tatsäch­lich Rooney Mara, ein steil aufstei­gender Stern am Himmel Holly­woods, und dennoch ein einziges Geheimnis – von seltsamer spröder Wirkung, nur auf den ersten Blick unscheinbar, auf den zweiten atem­be­rau­bend. Mara war das »Girl mit dem Drachen­tatoo« und es ist diese Rolle einer latent selbst­zer­stö­re­ri­schen Border­line-Figur, deren Lebens­kraft aber am Ende größer ist, als die ihrer Umgebung, die sie in diesen Film hinein­trägt: Diese Faye ist eine junge Frau, die ihr Glück sucht, und dazu jede Art von Erfah­rungen sammelt, mit sich selbst expe­ri­men­tiert, mit Sex, Geld, Ruhm als Popmu­si­kerin, mit Drogen anderer Art: »Ich dachte, wir könnten uns einfach treiben lassen, von Song zu Song, Kuss zu Kuss.«

Dieses Trei­ben­lassen, das Driften ist das, was Regisseur Terrence Malick moralisch kriti­siert. Ästhe­tisch aber feiert er es. Sein Film ist eine Orgie der Beiläu­fig­keit, er flaniert durch das Leben, das Denken und Fühlen seiner Figuren. Sie sind keine psycho­lo­gisch ausge­ar­bei­teten Charak­tere – bis auf Haupt­figur Faye viel­leicht in Ansätzen –, sondern Arche­typen, zeichen­hafte Reprä­sen­tanten von Haltungen und Prin­zi­pien. Daher haben viele Figuren hier auch gar keine Namen. Man vermisst sie nicht.

In seinen Mitteln ist Malick ganz frei, er erlaubt sich alles. Ein medi­ta­tiver Stil, der auf eindeu­tige Handlung, über­sicht­liche Chro­no­logie, fixierte Dialoge und andere Üblich­keiten des Main­stream-Erzähl­kinos komplett verzichtet – der eher wirkt wie ein verfilmter Bewusst­seins­strom, ein Film, der selbst ein Expe­ri­ment ist mit sich und den Betei­ligten, ein Angebot an den Zuschauer auf das man sich einlassen kann, aber nie muss – dafür ist er immer offen genug, nie autoritär.

Malick arbeitet mit Andeu­tungen, mit einer Fülle von Bildern, Zitaten und Motiven aus der Kultur­ge­schichte und den Mytho­lo­gien der Welt – vom Chine­si­schen Horoskop bis zum Tarot-Karten­spiel. Dies ist ein unglaub­lich reich­hal­tiger, bezie­hungs- und anspie­lungs­rei­cher Film. »Song to Song« spielt in der Musik­szene, vor allem der des US-Pop von Austin Texas, und unter Topstars der Szene. Deswegen bettet »Song to Song« sein Geschehen und seine Figuren ein in die wieder beiläu­fige Begegnung mit Pop-Star wie Iggy Pop und Patti Smith.

Liebe und Lüge sind die Themen, der Unter­schied zwischen Liebe und Sex, der für Malick elementar ist und der zwischen Wahrheit und Trug. Dabei ist dieser Film über Versu­chung und Verfüh­rung selbst äußerst verfüh­re­risch – Malicks erotischster Film. Malick ist wunder­ba­reres Kino geglückt: poetisch und schwe­relos.