USA 2015 · 125 min. · FSK: ab 12 Regie: Antoine Fuqua Drehbuch: Karl Sutter Kamera: Mauro Fiore Darsteller: Jake Gyllenhaal, Rachel McAdams, Forest Whitaker, Oona Laurence, 50 Cent u.a. |
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Abgeschlaffter Muscle-Man |
Southpaw beginnt mit einer Szene, die Nähe und bedingungsloses Vertrauen sofort spürbar macht: Wir befinden uns in einer Umkleidekabine vor einem wichtigen Boxkampf. Anspannung liegt in der Luft. Der Halbschwergewichtler Billy Hope (Jake Gyllenhaal) ist hochkonzentriert, während mehrere Crewmitglieder um ihn herumschwirren. Dann tritt seine Ehefrau Maureen (Rachel McAdams) zu ihm. Alle Anwesenden verlassen den Raum. Und die ohnehin intime Kamera geht noch näher an das verheiratete Paar heran. Mehr als eine intensive Umarmung und wenige Worte braucht es nicht, um das unlösliche Band zwischen dem Sportler und seiner Gattin anzudeuten. Maureen ist eine Stütze, ein Rückhalt, der Billy enorme Kraft verleiht.
Wie sich zeigt, dient dieser innige Moment nicht nur als Gegengewicht zum rabiat-blutigen Ringgeschehen, das anschließend einsetzt, sondern auch als Vorspiel zur Tragödie, die kurz darauf über den erfolgreichen Boxer hereinbricht: Ein zweites Mal werden wir aus nächster Nähe Zeuge, wie sich die Eheleute umklammern. Nun allerdings in wilder Verzweiflung, da Maureen bei einem Handgemenge von einem Schuss tödlich getroffen wurde. Billy hält seine Frau hilflos in den Armen, kann sie nicht mehr retten und steht plötzlich vor einem großen schwarzen Abgrund. Gewalt, Wutausbrüche und Drogeneskapaden bestimmen fortan sein Leben, obwohl er gerade jetzt für seine zehnjährige Tochter Leila (Oona Laurence) da sein müsste. Erst als der verzweifelte Witwer das Sorgerecht verliert und in Existenznot gerät, erkennt er, dass es so nicht weitergehen kann.
Im Grunde ist es eine handfeste Männlichkeitskrise, die Regisseur Antoine Fuqua – schon immer ein Experte für geballtes Testosteron-Kino – in seinem Boxerdrama beschreibt. Ein muskelbepackter Kerl, der von ganz unten kommt, sich sportliches Ansehen und Reichtum erkämpft hat, wird unvermittelt seiner wichtigsten Bezugsperson beraubt und zerstört nach dem schmerzlichen Verlust alles, was er sich mühevoll aufgebaut hat. Getrieben wird Billy von einer tiefsitzenden Verunsicherung, die trotz seines physisch imposanten Erscheinungsbildes immer wieder an die Oberfläche drängt. Im Ring ist der junge Mann ganz bei sich, steckt bereitwillig heftige Treffer ein, nur um danach aufgepeitscht mit doppelter Wucht zurückzuschlagen und seine Gegner in die Schranken zu weisen. Auf anderem Parkett hingegen wirkt Billy unbeholfen, verloren, ohne Plan. Beispielsweise während einer Wohltätigkeitsgala, bei der er eine kurze Rede vor illustren Gästen halten muss. Oder aber als er die verbalen Provokationen eines möglichen Kontrahenten nur mit Gewalt zu beantworten weiß und dadurch den Tumult auslöst, an dessen Ende Maureen zu Tode kommt.
Das Leben ohne seine Frau ist eine schwere Bürde, die Billy zunächst nicht tragen kann, bis er irgendwann sein Selbstmitleid und seinen Hass auf die Welt durchbricht. Während Martin Scorseses Genre-Klassiker »Wie ein wilder Stier« das destruktive Verhalten seiner Hauptfigur recht konsequent ausbuchstabiert, arbeitet sich der Protagonist hier mühsam aus seiner Krise heraus. Ein beliebtes Muster des Boxerfilms, das Drehbuchautor Kurt Sutter leider ein wenig zu eifrig imitiert. Wie nicht anders zu erwarten, wird Billy nach seinem Absturz von seinem berechnenden Manager (Curtis Jackson alias 50 Cent) fallen gelassen. Und natürlich begegnet der gepeinigte Mann einem grimmig-desillusionierten Trainer (trotz flacher Zeichnung eindringlich: Forest Whitaker), der ihn mit Weisheit und Geschick auf den rechten Weg zurückführt.
Wie eine erzählerische Konvention fühlt sich bereits Billys finanzieller Absturz an. Ohne dass genau ersichtlich würde, warum, mutiert der im Luxus schwelgende Multimillionär nach dem Tod seiner Frau plötzlich zu einem Sozialfall, was in der Kürze der Zeit recht aufgesetzt erscheint. Noch deutlicher treten die sattsam bekannten Plot-Mechanismen in der zweiten Hälfte hervor, wenn die Handlung auf den unvermeidlichen Comeback-Kampf zusteuert, mit dem der gefallene Boxer endgültig seine sportliche Ehre und die Liebe seiner Tochter zurückgewinnen will.
Derart vorhersehbare Entwicklungen stehen der unglaublichen Intensität gegenüber, die Jake Gyllenhaals Darbietung verströmt. Nach seinen famosen Auftritten in Enemy und Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis erweist sich der US-Darsteller einmal mehr als begnadeter method actor, der nicht nur in den dynamisch-ungeschönten Box-Sequenzen überzeugt, sondern auch in ruhigeren Momenten. Dann, wenn sich auf Billys geschundenem Gesicht Frust und Verzweiflung Bahn brechen. Gyllenhaal ist es zu verdanken, dass sich die eigentlich klischeehafte Hauptfigur – aufgewachsen im Heim und ausgestattet mit dem wenig subtilen Nachnamen Hope – in ein Emotionsbündel verwandelt, mit dem man ernsthaft mitleiden kann. Schade nur, dass der innerlich zerrissene Boxer im Mittelpunkt einer konventionell gestrickten Läuterungsgeschichte steht, die insgesamt zu wenig Raum für eigenständige Ideen lässt.
Man erkennt ihn kaum: Das Gesicht blutunterlaufen und dick geschlagen, von Blut, Schweiß und Tränen gezeichnet – Freudentränen allerdings: Denn die Hauptfigur dieses Films, der Box-Champion, der hier recht plakativ Billy Hope (also »Hoffnung«) heißt und gerade, in den ersten Minuten dieses Films, im New Yorker »Madison Square Garden« den Weltmeistertitel gewinnt, natürlich in der Schwergewichts-Klasse, diese Figur wird von Jake Gyllenhaal gespielt. Jenem Gyllenhaal, der als dünner pubertärer »Donnie Darko« zum Teeniekultstar avancierte und der vor Jahresfrist als Nightcrawler zart, androgyn und fast magersüchtig aussah. Nun hat sich der Darsteller in ein von Tattoos übersähtes Muskelpaket verwandelt, einen Gladiator unserer Tage, der sich wie ein wilder Stier schnaufend und prügelnd über den Boxring bewegt. Sein Gegner hat kaum eine Chance, Billy triumphiert – ein uramerikanischer Held, der alles geschafft hat, was er schaffen wollte, der das Leben eines reichen Spießbürgers führt und aus vollem Hals genießt: mit hübscher Frau, goldiger Tochter, schicker Villa, schnellen Autos, Bündeln voller Dollars... weil er sich durchgesetzt hat. Von nun an geht’s bergab.
Es dauert gerade eine gute halbe Stunde im Film, da hat er alles verloren: Geld, Autos, WM-Titel, vor allem seine Frau Maureen (Rachel McAdams), und bald auch das Sorgerecht für Tochter Leila (Oona Laurence). Genau dieses letzte, was ihm geblieben ist, die Achtung des Kindes und die Selbstachtung, motiviert ihn dazu, nicht aufzugeben und sein Comeback zu versuchen: Als Mensch, als Vater und als Boxer.
Von Beginn an ahnt man, worauf dieser Film hinausläuft: Ein Boxer will zurück an
die Spitze. Und er wird es schaffen. Aber darauf kommt es nicht an. Denn die eigentliche Geschichte ist die eines Mannes, »des« Mannes in der Krise. Billy Hope ist nur der Prototyp eines grundsätzlichen Phänomens, das viele Menschen derzeit beobachten: Die Krise des Mannes im Westen, gerade des jungen Mannes. Denn die Welt, in der diese normalen jungen Männer heute aufwachsen, ist anders, als sie es lange gewesen ist: Frauen verdienen ihr Geld selber, der Krieg ist geächtet, und im
Zivilleben sollen Männer Windeln wickeln, einfühlsam sein, und von selber den Müll runter bringen. Auch sonst sind ihre einst vertrauten Umgebungen einem radikalen Wandel unterworfen: In den Fabriken regieren die Computer, das Handwerk erledigen 3D-Drucker, und Autos werden bald per Autopilot ferngesteuert über die Autobahnen brausen. Muskelkraft zählt im Zeitalter der Smartphones nur noch im Sport. Was passiert, wenn man auch da noch versagt, wenn man(n) am Boden liegt?
Genau davon handelt Southpaw. Antoine Fuqua ist seit jeher ein Regisseur, der – von seinem exzellenten Debüt Training Day bis hin zu dem übernordenden Mafia-Thriller The Equalizer – in seinen Filmen das untersucht und infrage stellt, was als »typisch amerikanisch« gilt.
Fuqua ist gleichzeitig kritisch und realistisch, pathetisch und romantisch. Er ist ein Regisseur der Männlichkeit in deren sehr traditionellem Verständnis. Das heißt, es geht ihm um Muskeln, Machismus, um Härte und Gewalt. Fuqua will das alles gar nicht blind verherrlichen, aber das ist es, was ihn interessiert, und es gehört zu Fuquas Stärken, dass er als Künstler konsequent ist, und auf seine Instinkte hört. Moralische Verurteilung perlt insofern an seinen Filmen ab –
darin ähnelt er etwa Sam Peckinpah oder Don Siegel, jenen anderen großen Unabhängigen und Regisseuren amerikanischer Männlichkeit.
Das Drehbuch zu Southpaw stammt von Kurt Sutter, der noch nie ein Filmscript verfasst hat, dafür aber die Vorlagen für die kultige Motorradgang-Serie »Sons of Anarchy«, ein weiteres Macho-Melodram, das man nicht im Sinne des Realismus ernst nehmen muss, das hingegen von seiner Überhöhung lebt.
Wie diese Serie und wie die
meisten bisherigen Filme Fuquas handelt es sich bei Southpaw um eine herrlich exzentrische, unverstellte Jungs-Phantasie zwischen Erlösung und Ego-Trip.
Es gibt großartige, exzellent choreographierte Kampfszenen, es gibt wunderschöne ruhige, sensible Momente, es gibt einen Nebendarsteller wie Forest Whitaker, der den alten Trainer spielt, der Billy für den Revanchekampf in Las Vegas fit macht. Vor allem aber ist dies ein großartiger, nicht nur physisch fordernder Auftritt von Jake Gyllenhaal der dem entehrten Champion, der sich à la Rocky seinen Weg zurück zur Spitze erkämpfen muss, viele Facetten gibt.
Noch mehr als das ist
dies aber ein Film, der auf interessante, ungewöhnliche Weise zwei Elemente verbindet, ohne sie miteinander zu verschmelzen: Southpaw ist realistisch, wenn es um die Brutalität der Kämpfe geht, und wenn er zeigt, wie wichtig Hautfarbe im Amerika der Gegenwart ist. Es spielt eben eine Rolle, dass Billy Weißer ist, und sein Trainer ein Schwarzer – wie übrigens auch der Regisseur.
Dagegen ist Southpaw romantisch in seinem Blick auf
die Boxszene. Boxen ist hier kein korruptes, manipuliertes Geschäft, sondern noch so etwas wie ein ehrenwerter Sport. So ist dieser Film handwerklich ausgezeichnetes Unterhaltungs-Kino, voller Action, Starglamour, meisterliche Pulp-Fiction, zugleich ein klassisches Box-Drama, voller mythischer Subtexte, eine grandiose Fabel über die Widersprüche amerikanischer Männlichkeit – ein verräterischer Film über das Innere und das Unterbewusste Amerikas. Mindestens.