Frankreich/Belgien 2019 · 102 min. · FSK: ab 12 Regie: Safy Nebbou Drehbuch: Safy Nebbou, Julie Peyr Kamera: Gilles Porte Darsteller: Juliette Binoche, François Civil, Nicole Garcia, Marie-Ange Casta, Guillaume Gouix u.a. |
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Mit dem Unsichtbaren sprechen |
Unlängst konnte man Juliette Binoche so erleben: Entfesselt ritt sie eine Fickmaschine mit Orgasmus-Garantie, den Oberkörper nach hinten gebogen, wildes langes Haar perfektionierte den Auftritt der unbändig Begehrenden. Claire Denis hat uns die große Schauspielerin des französischen Kinos derart triebgetrieben gezeigt, als Samenraub-Medea in dem überraschenden Science-Fiction High Life. Einen Film davor hatte Denis Juliette Binoche, in Meine schöne innere Sonne, als erfolgreiche Künstlerin gezeigt, die mit großzügigem Dekolleté auf Männerfang geht – denn in der Liebe will es nicht so recht klappen. Damit zog Denis den Hass einiger Feministinnen auf sich, die fanden: der Blick der Regisseurin auf den Frauenkörper, die Reduktion der Frau auf das Begehren der Penetration würde sich in nichts von Männer-Fantasien unterscheiden.
Den Feministinnen kann wiederum missfallen, was sie im neuen Film mit Juliette Binoche zu sehen bekommen, die es dieses Jahr schafft, der überaus leinwandpräsenten Isabelle Huppert den Rang abzulaufen. Auch in So wie du mich willst will sie unbedingt einen Mann, und zwar den Freund ihres Ex-Freunds, der sie sitzen gelassen hat. Sie ist eine Stalkerin, die sich, um an den jungen Typen heranzukommen, eine fremde Identität fürs Online-Dating zulegt und zunehmend die Virtualität mit der Realität verwechselt. Ihrem jungen Beutefang gibt sich die als »Catfish« Agierende als 24-Jährige aus, während sie im wirklichen Leben die Demarkationslinie der 50 bereits überschritten hat. So mutiert die Literaturprofessorin Claire Millaud zusehends zu ihrem Avatar Clara und stürzt sich Hals über Kopf in das Phantasma einer zweiten Jugend.
Safy Nebbou, den eingefleischte Liebhaber des französischen Kinos noch von Der Hals der Giraffe kennen, hat in seinem neuen Film einen Roman von Camille Laurens verfilmt. Die Autorin wiederum ist eine Vertreterin der in Frankreich so beliebten Autofiktion, und die Vorstellung, sich im Internet gleich welche Identität zu geben, ist für dieses Genre ohnehin verführerisch. Leiten ließ sie sich beim Schreiben von dem sogenannten »Rashomon«-Effekt, bei dem unterschiedliche Versionen einer Geschichte in Umlauf gebracht werden, bis man nicht mehr weiß, welche nun eigentlich stimmt. Das greift der Film auf. Mit anderen Worten: In So wie du mich willst, dessen Geschichte Claire in einer Rahmenhandlung ihrer Therapeutin erzählt, hat man es mit einer unzuverlässigen Erzählerin zu tun. Eine Lügnerin ist sie ohnehin.
Sich über das Internet an jemanden heranzumachen, sich dabei einer falschen Existenz zu bedienen, wird von der Therapeutin – wunderbar streng verkörpert von Nicole Garcia – immer auch auf ethisch-moralische Gesichtspunkte heruntergebrochen. Die Herausforderung an Juliette Binoche, es mit einem unsichtbaren Liebhaber zu tun zu haben, ist dabei immens. Katja Riemann scheiterte unlängst im deutschen Film Goliath96 an der Schwierigkeit, einer virtuellen Beziehung glaubhaft Leben einzuhauchen. Auch Juliette Binoche hat über weite Teile des Films als einzigen Anspielpartner ihr Laptop oder das Telefon. Sie muss in dem reduzierten Setting, bei dem oft ihr Gesicht der einzige Lichtpunkt in einem ansonsten in Dunkelheit versinkenden Zimmer ist, alles in ihre Mimik packen und ihren emotionalen Reaktionen Ausdruck verleihen. Das ausgefeilte Mienenspiel von Verblüffung, Überraschung, Freude und Entzücken gelingt ihr, der Binoche, aber außerordentlich gut.
So changiert sie auch für den Zuschauer zwischen der 24-Jährigen, die sie angeblich ist, und der 50-jährigen Literaturprofessorin. »Ich gab nicht vor, 24 zu sein, ich war 24«, sagt Claire einmal ihrer Therapeutin. Das erinnert an Flauberts »Madame Bovary, das bin ich«, eine romaneske Überidentifikation mit der Figur, die man ersonnen hat und der man als personaler Erzähler Leben einhaucht. Die Verkörperung der 24-Jährigen glaubt man der vitalen Binoche jederzeit. Sie und ihre reale Anspielerin Nicole Garcia, die ihr echtes Alter mit Würde trägt, machen So wie du mich willst zu einem spannungsreichen Pas de deux. Das entschädigt auch für die oftmals doch sehr betuliche Inszenierung, die etwas sehr plakativ die Ideen von »Einsamkeit« und »Anonymität« umsetzt, mit den Lichtern der Hochhäuser der Großstadt, die vom dunklen Zimmer aus zu sehen sind, mit der Menschenmasse, die sich in der U-Bahn willenlos dem Takt von »Métro, boulot, dodo« hingibt.
Die Stärke des Films ist seine Stoßrichtung. Denn So wie du mich willst dreht im Original den Spieß weniger willfährig um, in Celle que vous croyez, »Die, der du glaubst«. Hier ist eben gerade nicht die Frau das angepasste Weibchen, das sich den Männerwünschen beugt, sondern der Mann das Opfer der Catfish-Woman. Der Film reiht sich damit trotz seiner inszenatorischen Schwäche perfekt in das Portfolio der Juliette Binoche ein, Frauen darzustellen, die aktiv und aggressiv nach ihrer eigenen Sexualität greifen. Und gibt ihr einen weiteren, wunderbaren Auftritt in diesem Binoche-Jahr.