Österreich/D/F 2022 · 99 min. · FSK: ab 16 Regie: Ulrich Seidl Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz Kamera: Wolfgang Thaler, Serafin Spitzer Darsteller: Georg Friedrich, Florentina Elena Pop, Hans-Michael Rehberg, Octavian-Nicolae Cocis, Marius Ignat u.a. |
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Auch ein Film über die Liebe... | ||
(Foto: NEUE VISIONEN) |
Das Thema ist überaus unangenehm. Aber die Machart ist vom Feinsten. Wer möchte schon gerne einen Film über Pädophilie sehen? Es sei denn, aus einem gewissen Voyeurismus heraus. Denn dieser Film ist von interessierten Kreisen im Vorfeld skandalisiert und einer Kampagne ausgesetzt worden. Nach seiner Weltpremiere im vergangenen Jahr in San Sebastián waren dann manche enttäuscht, weil der Skandal ausblieb, andere aus genau diesem Grund erleichtert.
Jetzt bekommen der Film und der cinephile Teil des Publikums eine zweite Chance: Jetzt können die Bilder für sich selbst sprechen.
Was ist es also, das Sparta zeigt?
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»So ein Tag, so wunderschön wie heute....« – eine Gruppe offensichtlich dementer Greise versucht in der allerersten Einstellung des Films mehr schlecht als recht, dieses Lied zu singen. Man kennt die wohlkomponierte, symmetrische, latent cleane Kameraeinstellung von allen Seidl-Filmen, man kennt das Altersheim-Setting bereits aus Seidls vorherigem Film Rimini, der letztes Jahr Premiere hatte. Beide Filme bilden ein Tandem, und ergänzen einander; sie handeln von zwei Brüdern und ihrem Vater, einem der Insassen des Altersheims, den Hans-Michael Rehberg in seiner allerletzten Filmrolle verkörpert.
Georg Friedrich spielt dessen Sohn Ewald. Kurz darauf begibt er sich auf eine Winterreise ins verschneite Transsilvanien: Er übt im Auto mit Kassetten Rumänisch, denn er hat eine rumänische Freundin; aber im Bett klappt es nicht, und auch sonst fühlt er sich in ihrer Gegenwart eher unwohl.
Es ist eine große Leistung von Friedrich, wie er hier einen hypernervösen, verkrampften Mann spielt, der offensichtlich mit sich selbst fortwährend hadert. Entspannung findet er nur in der
Gegenwart von sechs- bis 14-jährigen Jungs.
Erst nach und nach wird klar, dass er sie auch sexuell begehrt. Bald kauft er in einem Dorf eine leerstehende Schule und baut sie zu einem Jugendcamp namens »Sparta« um, in dem er männlichen Kindern Zuflucht bietet, sie in Judo und Kampfkunst unterrichtet, ihnen Uniformen gibt und antike Phantasienamen, Zeit mit ihnen verbringt, ohne ihnen aber jemals im falschen Sinn nahe zu kommen.
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Dieser Ewald ist einer jener Pädophilen, die ihren Trieb gegen alle Widerstände mit Willensstärke im Zaum halten und eben nicht ausleben. Fast ein moderner Held. Jedenfalls ein Mensch, der keine Verachtung verdient, sondern Mitleid.
Dieser Film ist eine Gratwanderung. Er ist dies aber nicht wegen irgendwelcher angeblicher »Übergriffe« am Set, sondern er ist es, weil die sympathischste Erwachsenenfigur in diesem Film ein Pädophiler ist. Er ist der einzige, der sich um die Jungen kümmert, der ihnen hilft. Er empowered die Jungs aus den armen Unterklassen.
Zugleich ist offenkundig, dass Pädophilie gar nicht im Zentrum des Films steht. Sparta handelt vielmehr von der Gewalt der Väter. Das gilt für die rumänischen Väter, und Ewald ist hier der Einzige, der versucht den zum Teil zu Hause misshandelten Kindern gegen ihre Familien zu helfen. Ewald schützt die Jungs gegen ihre Väter und gegen deren Vorstellungen von Männlichkeit, die mit »hart wie Kruppstahl« und »Du musst in der Lage sein, zu töten, du darfst keine Gnade zeigen gegen deinen Feind« und mit ähnlichen Erziehungsratschlägen funktionieren.
Und es gilt für den Vater Ewalds. Immer wieder ist die Handlung in Rumänien nämlich auch von kurzen Szenen unterbrochen, in denen Rehbergs Figur Nazi-Lieder singt oder aus Hitlerreden zitiert: »Führer befiehl, wir folgen dir«; »...denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.«; »Wir müssen weiter marschieren...« Aus dem Unterbewusstsein des senilen, dementen Hirns der Rehberg-Figur blubbern diese Faschismus-Blasen immer wieder an die Oberfläche.
Die gewalttätige
Erziehung durch diesen vom Faschismus durch und durch geprägten Vater hat seine beiden Söhne fürs Leben gezeichnet.
Sonderbar, aber bezeichnend, dass darüber so wenig geschrieben wird. Die deutsche Kritikerzunft erträgt den Faschismus nicht, deshalb wird der Bote denunziert.
Und es werden offensichtlich in den Vorwürfen und der Art der Vorwurfs-Präsentation auch Mechanismen wirksam, die Seidel selbst in seinem Film darstellt und anklagt.
Zugleich spekulieren die Ankläger auf die Zustimmung des Mainstreams. Man sucht sich einen Regisseur, der irgendwie »seltsam« ist, dessen Themen »pervers« erscheinen, und in ihrer Darstellung »hässlich«. Einen Regisseur, dessen Filme das breite Publikum überfordern.
Dann ist der Beifall sicher.
Vermeintlich »Linksliberale« spekulieren auf das Ressentiment rechter Kreise.
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Es bleibt aber eine Frechheit und ein Offenbarungseid der betreffenden Autoren, wie in manchen Texten Ulrich Seidl und auch so en passant Michael Haneke zu »Skandalregisseuren« heruntergebrochen werden – als ob dies eine Rolle wäre, die man freiwillig sucht und nicht bereits ein Resultat skandalisierender Medien, die jemanden erst zu einem »Skandalregisseur« erklären, um ihm dann aus der Tatsache, ja ein Skandalregisseur zu sein, einen Strick zu drehen.
Was man jetzt nicht mehr simulieren kann, auch nicht als Autor dieser Filmkritik, das ist, wie wir diesen Film wohl ansehen würden, wenn es die jetzigen im Raum stehenden Vorwürfe nie gegeben hätte? Wir wären deutlich überraschter; vielleicht wären wir auch über das eine oder andere schockierter.
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Sympathy with the devil – das ist gar keine Sympathie mit der Pädophilie. Sondern es geht darum, dass hier ein Männerbund gezeigt wird, Rituale und Spiele, die Gewalt der Männerbünde. Aber auch die Gefühle, die in Männerbünden zugelassen und möglich sind.
Was macht einen Mann zum Mann? Das ist eine der Fragen dieses Films. Sparta – das ist ja auch das Spartanische, ein Erziehungskonzept voller Härte und Entbehrung; es ist auch ein Ideal des Faschismus; es ist auch die verlorene Schlacht, die in einen Sieg umgemünzt wird, das Standhalten des Männlichen, der 300 Europäer in der Schlacht der Thermophylen gegen das vermeintlich Asiatische, das durch die Perser symbolisiert wird.
Es wäre womöglich am Ende doch besser gewesen, wenn Sparta zusammen mit Rimini ein Film geblieben wäre. So wie es ursprünglich einmal angedacht war. Dann hätte dies nicht von Kampagnenjournalisten als »ein Film über Pädophilie« geframed werden können, dann hätte der Regisseur ganz eindeutig einen Film über die Folgen des Faschismus gedreht.
Dann würde sich aber auch nicht jener Eindruck einstellen, den Peter Körte in seiner fairen FAZ-Kritik sehr gut auf den Punkt bringt: Ewald, schreibt Körte, »könnte einem mit seinem Triebschicksal fast leidtun – wenn es nicht so penetrant wäre, wie Seidls Inszenierung auf Umwegen versucht, ihn zum Sympathieträger unter lauter unsympathischen Erwachsenen zu machen. ... Sparta ist, weil er sich ostentativ so gibt, als urteile er nicht, als gehe es ihm allein um Ambiguität, ein unangenehmer Film. Er zeigt das Ringen des Mannes mit seinem verbotenen Begehren, wie er sich quält, wie er sich aufgeilt an den Fotos – und er hat dabei fahrlässig wenig Interesse an der Ambivalenz in den Kindern, an deren Irritationen, Ängsten, aber auch kleinen Lichtblicken, die die Zudringlichkeit des freundlichen Erwachsenen auslöst. Um diese befremdliche Unwucht wahrzunehmen, braucht es gar keine rechtskräftigen Dokumente über die Produktionsbedingungen. Da wird in der Fiktion schon etwas sichtbar.«
Das ist der Punkt, an dem die Debatte beginnen könnte, die der »Spiegel« durch seinen Sensationalismus unmöglich gemacht hat.
Was man darum nur entgegenhalten kann: Sparta ist nie forciert, und, glaube ich, eben nie »penetrant«, sondern ein ruhiger, humanistischer, nie provokativer oder spekulativer Film.
Sparta ist sehenswert – und wenn es Leser beruhigt, sei hier hinzugefügt: Das österreichische Filminstitut hat die Anschuldigungen untersucht und sämtlich entkräftet. Was jetzt noch hängenbleibt, ist der Dreck, mit dem Seidl beworfen wurde.
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Franz Schuberts Liederzyklus »Winterreise« spielt auch eine bedeutende Rolle: Einmal funktioniert sie als Kitsch-Maschine, als Madeleine zur Auslösung von Gefühlen: »Mama, wo bist du?« jammert die Rehberg-Figur.
Später dann hören wir sie aus dem Off. »Das Mädchen sang von Liebe, die Mutter gar von Eh'« – dies ist auch ein Film über die Liebe: Die Liebe zu den Eltern, die Liebe zu den Kindern, die Liebe unter den Menschen und die Liebe, die unmöglich ist. Diese Liebe schmerzt am meisten.