Großbritannien/USA 2015 · 148 min. · FSK: ab 12 Regie: Sam Mendes Drehbuch: John Logan, Neal Purvis, Robert Wade, Jez Butterworth Kamera: Hoyte van Hoytema Darsteller: Daniel Craig, Ralph Fiennes, Ben Whishaw, Naomie Harris, Christoph Waltz, Léa Seydoux u.a. |
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Ohne Herz, Sinn und Verstand |
Es gibt gute und es gibt schlechte Fußballweltmeisterschaften, welche die überraschen und welche die langweilen, wobei in allen Fällen die Vorfreude eigentlich immer die Realität schlägt. Genauso wie die schwere Amnesie, die einen nach jeder WM befällt – wie war das noch mal, wer wurde da vor vier Jahren noch mal Weltmeister? Nicht viel anders ist es beim James Bond-Franchise. Man vergisst und verzeiht schnell. Und es gibt gute und es gibt schlechte Jahrgänge. Der letzte war ausgesprochen gut. Skyfall war nicht nur überraschend, er war so etwas wie eine Super-WM, bei der bis zum Schluss nicht klar war, wer gewinnen würde: die ausgesprochen gut aufgelegten Schauspieler, die exquisit ausgesuchten und gefilmten Locations oder die Story. Eine Story, die endlich einmal Bond aus seinen alten Korsetten befreite und erstmals so etwas wie einen richtige Plot in dieses Genre-Artefakt integrierte. Das war schlichtweg atemberaubend und schlug so ziemlich jeden Action-Stunt des gesamten Films.
Die Vorfreude auf den neuen Bond war dementsprechend groß: Würde Spectre diesen völlig neuen Erwartungen gerecht werden, es zumindest in Ansätzen schaffen, mehr noch, als bekannt wurde, das der ewig böse Gegenspieler von niemand anderem als Christopfer Waltz gegeben würde, der seit seinem Inglourious Basterds-Auftritt als Inbegriff des subtilen Bösen gilt und der tatsächlich Daniel Craig in seiner letzten Bond-Inkarnation zu Seite stehen sollte.
Wäre Skyfall nicht gewesen, wäre Spectre ein guter Bond. Einer, der mit einer fantastischen Eingangssequenz überrascht und begeistert und der es wagt, dass Bond auch mal Sex mit einer Frau hat, die älter als er ist (Monica Belluci) und der, wenn man bereit ist, den Film mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen abzugleichen, auch von der Ohnmacht des Individuums in unserer digitalisierten (und damit auch menschlich-vernetzten, nicht individuellen) Welt erzählt. Doch mit Skyfall im Hinterkopf verblasst all das und was bleibt, ist nicht viel mehr als die alten Standards. Kaputte Autos, kaputte Häuser, ein paar Girls, von denen das eigentliche Bond-Girl (Léa Seydoux), wie schon so oft gehabt, Bonds Tochter sein könnte. Und Christoph Waltz als böser Gegenpart dürfte nur jene überraschen, die ihn in seinen letzten Filmen (The Zero Theorem, Big Eyes) noch nicht gesehen haben und für die Waltz süffisante Bösartigkeit tatsächlich neu ist und nicht beginnt so langsam so richtig zu nerven.
Was – wie schon fast zu erwarten war – jedoch am meisten enttäuscht, ist die Story. Obwohl auch für Spectre wie schon für Skyfall Sam Mendes Regie führte und tatsächlich das gleiche Drehbuchtrio verantwortlich zeichnet (John Logan, Neal Purvis und Robert Wade), bedeutet das in diesem Fall eher Fluch als Segen. Denn Mendes et al können sich weder vom Alten ganz trennen noch etwas wirklich Neues wagen. Die alte Familiengeschichte wird lustlos und ein wenig redundant weitergesponnen und wo es an innovativen Ideen fehlt, wird froh und munter drauflosgerast und geknallt. Das ist ohne Herz, Sinn und Verstand, ist aber ganz und gar auf dem Niveau klassischer Bonds und dürfte sowohl die eingefleischten Fans befriedigen, denen Skyfall schon zu innovativ war als auch einem Publikum, das statt mehr zu erwarten, sich mit dem zufrieden gibt, was jede solide Fortsetzung genauso wie All-Inclusive-Urlaub oder die weltweite Fastfood-Kette bietet: vertrautes, ganz ungefährliches Neuland. Oder eine WM ohne Überraschungen, in der im schlimmsten Fall der haushohe Favorit gewinnt und ob dieser Banalität das ganze auch gleich ganz schnell wieder vergessen wird. Um wieder Raum zu geben für die langsam, aber mächtig wachsende Vorfreude auf das nächste Spektakel.
Dass James Bond in Spectre eine Reise in die Vergangenheit bevorsteht, lässt schon die stilisierte Titelsequenz vermuten. Gesichter früherer Gegenspieler und verflossener Liebschaften tauchen auf. Schemenhafte Bilder aus dem Totenreich, die vor allem eines nahelegen: Eine inhaltliche Verknüpfung der bisherigen Abenteuer Daniel Craigs als 007. Am Ende, so viel sei schon verraten, schließt sich ein erzählerischer Kreis. Und das Publikum steht vor der großen Frage, ob der aktuelle Hauptdarsteller nach vier Auftritten noch einmal den ikonischen Geheimagenten spielen wird. Wünschenswert ist das auf jeden Fall, da der mittlerweile 24. Bond-Streifen einen eher zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Von der Tragik des fulminanten Vorgängers Skyfall ist Spectre ein ganzes Stück entfernt, obwohl auch hier markerschütternde Erkenntnisse auf die MI6-Allzweckwaffe warten.
Alles beginnt mit einem der wohl spektakulärsten Prologe in der Geschichte der Kinoreihe. Einem filmischen Kraftakt, der sofort mitreißt und Cineasten an die schnittlose Eröffnungspassage des Orson-Welles-Klassikers Im Zeichen des Bösen erinnern dürfte. Gemeinsam mit unserem Helden stürzen wir uns in die Feierlichkeiten zum Día de los Muertos (spanisch: Tag der Toten) in Mexiko-Stadt. Verkleidete Menschen, ein großer Umzug, Musik und Tanz – ein lautes Wirrwarr, das als Hintergrund für eine atemberaubende Plansequenz dient. Durch die Menschenmassen auf der Straße geht es in ein Hotel, dann in ein Zimmer und schließlich hinaus auf den Balkon und ein Stück weiter über Fensterbretter und Dächer, bis Bond seinen Zielort erreicht und mit der Ermordung des Verbrechers Marco Sciarra reichlich Staub aufwirbelt. Was folgt, ist ein halsbrecherischer Kampf in einem Helikopter, der über den Köpfen der feiernden Meute kreist.
Auch sonst lässt sich Sam Mendes, der nach Skyfall abermals das Regiezepter schwingen durfte, nicht lumpen. Große Schauwerte und versiert getaktete Actionmomente – etwa eine ausgedehnte Autoverfolgungsjagd durch Rom – gibt es zuhauf. Und auch der vorab viel diskutierte Auftritt von Oscar-Gewinner Christoph Waltz verfehlt seine Wirkung nicht. Durch gezielte Lichtsetzung und reduzierte Gesten wird der Kopf der Geheimorganisation Spectre als unheimlicher Schattenmann eingeführt, der sich seine Beute so zurechtlegt, wie es ihm beliebt. Spannend sind vor allem die persönlichen Bindungen zwischen Bösewicht und 007. Doch ausgerechnet in diesem Punkt zeigt sich das Drehbuch wenig trittsicher. Die emotionale Wucht, die manche Offenbarungen erzeugen sollten, verpufft zu schnell. Oder aber stellt sich gar nicht ein.
Ein ähnliches Problem hat auch die obligatorische Liebesgeschichte, die sich betont tiefschürfend gibt, in Wahrheit aber eher oberflächlich abgewickelt wird. Das besondere Band, das zwischen dem Protagonisten und Madeleine Swann (Léa Seydoux), der Tochter seines früheren Widersachers Mr. White (Jesper Christensen), bestehen soll, ist schwer zu fassen, da sich die intimen Momente meistens nach Pflichtprogramm anfühlen. Gleichwohl gelingt es der stets präsenten Seydoux, ihre Figur als ebenbürtige, zupackende Gefährtin anzulegen. Im Gegensatz dazu bleibt die von Monica Bellucci gespielte Lucia Sciarra – die Witwe des anfangs ermordeten Kriminellen – eine klassische Funktionsfigur, die der Geheimagent verführen darf, um einen Hinweis auf die Terrorvereinigung Spectre zu erhalten.
Wie üblich führt der Film seinen Protagonisten an unterschiedliche Orte auf der ganzen Welt. Wirklich komplex ist die Story aber nicht. Angetrieben von einer Videobotschaft seiner in Skyfall getöteten Vorgesetzten M (Judi Dench), jagt der nach dem Mexiko-Einsatz suspendierte Bond auf eigene Faust dem Spectre-Mastermind hinterher. Parallel sorgt sich sein neuer Boss (Ralph Fiennes) um den Fortbestand des MI6. Immerhin ist der umtriebige Max Denbigh (Andrew Scott) dabei, den Sicherheitsapparat von Grund auf umzuwälzen. Ein totaler Überwachungsstaat und Drohnen statt Agenten sollen die neuen Pfeiler sein, was das Aus für das Doppelnull-Programm bedeuten würde. Während Elemente wie die schon aus älteren Filmen bekannte Spectre-Organisation klassisches Bond-Flair aufkommen lassen, bemüht sich Mendes mit dem Denbigh-Strang um einen Kommentar zur aktuellen Sicherheitsdebatte. Mehr als einen stichwortartigen Überblick bringt Spectre jedoch nicht zustande. Und noch dazu wird das Thema eher unbefriedigend in den Gesamtablauf integriert.
In Erinnerung behalten dürfte man am Ende vor allem famose Einzelmomente wie die grandiose Auftaktsequenz, einige rasant-fesselnde Actionabschnitte und den im Vergleich zu früheren Craig-Abenteuern lockereren Tonfall – besonders verkörpert durch Quartiermeister Q (Ben Whishaw), der als helfende Hand mehrmals einspringen darf.