Großbritannien/D/Chile 2021 · 117 min. · FSK: ab 12 Regie: Pablo Larraín Drehbuch: Steven Knight Musik: Jonny Greenwood Kamera: Claire Mathon Darsteller: Kristen Stewart, Jack Farthing, Amy Manson, Thomas Douglas, Jack Nielen u.a. |
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Kristen Stewarts Lady Di leidet, aber sie lebt nicht... | ||
(Foto: DCM) |
Der Anfang gibt die Richtung vor: Geländewagen in Camouflage-Optik walzen über eine Privatstraße, sie transportieren ein militärisch anmutendes Korps von Köchen, das in Reih und Glied, wie bei einer Wachablösung, an den Palastwächtern vorbei, mit in Munitionsboxen verpackten Delikatessen bewehrt, in die Großküche der königlichen Residenz einmarschiert, wo der Chefkoch mit schnarrendem Ton und unter strengster Einhaltung des Protokolls sein Regiment führt, während ein Porsche Cabrio leise, fast schwebend, durch die englische Provinz gleitet: es ist Lady Di, 30 Jahre alt, alleine im Wagen sitzend, ohne Orientierung, irgendwie auch ohne Ziel.
Dies ist der Kontrast, mit dem Pablo Larraíns Spencer aufmacht und sein Thema etabliert, das sich bis zum Ende durchzieht, wenn Diana wieder im Porsche sitzt, diesmal nicht mehr allein. Der Film transportiert dieses nicht nur durch eine Vielzahl an Symbolen und Metaphern, sondern legt es auch mehrfach in die Münder seiner Protagonisten: »No one is above tradition« versus »what normal people do«.
Der Handlung beschränkt sich auf das Weihnachtsfest 1991, das die Queen mit ihrer Familie traditionell in der Residenz Sandringham in der englischen Grafschaft Norfolk begeht. In der unmittelbaren Nähe, aber doch so unendlich weit weg erscheinend, ist Diana Spencer geboren. Charles und Dianas Ehe ist tief in der Krise, die königliche Familie steht eisern gegen die »Königin der Herzen« zusammen, die sie für egoistisch, weil zu eigenwillig, erachten und der sie ihre mediale Popularität neiden. Die Räumlichkeiten Sandringhams, aber auch die gesamte Institution der britischen Monarchie stellen für Diana einen goldenen Käfig dar, dem sie zu entfliehen versucht. Ihre Isolation verstärkt sich umso mehr, als ihr klar wird, dass selbst die ihr loyal erscheinenden Bediensteten des Hofes in ihrem Pflichtgefühl gegenüber der Krone jede der Bewegungen und Äußerungen dieses unangenehmen Freigeists weiterleiten.
Diana leidet an einer permanenten nervlichen Krise, sie steht unter Dauerbeobachtung, ihr Tag ist vom Hofstaat starr durchgeplant, selbst ihre Garderobe ist minutiös festgelegt, ein einziges Korsett, in das sie gezwängt wird. Der perlenbesetzte Halsschmuck, ein Geschenk ihres Gemahls, der parallel eine Langzeitaffäre unterhält, erweist sich buchstäblich als Kette, als Fessel. Sie verschlingt widerwillig die ihr in dekadenten Zeremonien aufgetischten Delikatessen und erbricht sie dann wieder in ihrem Privatbad, im edlen Kostüm vor dem Klo kniend. Irgendwann beginnt sie sogar, sich selbst mit einer Kneifzange zu verletzen. Der einzig mögliche Ausbruch scheinen die intimen Momente mit ihren beiden kleinen Söhnen zu sein sowie die Fragmente ihrer Kindheit, die in der naheliegenden, aber mittlerweile verlassenen Residenz der Spencers schlummern.
Spencer ist ein zwar nicht leichter, aber in vielerlei Hinsicht einfacher Film, der noch während der Pandemie mit verhältnismäßig geringem Budget gedreht wurde, welches sich übrigens auch aus deutschen Fördergeldern zusammensetzt – die Außenaufnahmen der königlichen Residenz sind etwa, man höre und staune, im Münsterland entstanden. Wichtig ist festzuhalten, dass trotz wahrer und wahrhaftiger Einzelheiten (Weihnachtsfeste fanden in dieser Zeit auf Sandringham statt, Diana hat selbst ihre langjährige Bulimie und Selbstverletzungen thematisiert) der Film weniger eine faktische Darstellung denn eine freie Interpretation der realen Begebenheiten ist, wie er mit einer lapidaren Texttafel zu Beginn klarzumachen versucht: »A fable based on a true tragedy«. Im Klartext: im Zweifel ist es erfunden.
Es gibt keinerlei harte Quellen für die Vorkommnisse der besagten drei Tage der Handlung. Der Autor Steve Knight gibt an, im Rahmen seiner Recherche u. a. Interviews mit Bediensteten des Hofs geführt zu haben, allerdings ohne Authentizitätsanspruch. Bei Lektüre des wohl bekanntesten Diana-Buchs »Diana: Her True Story«, an dem sie mit dem Journalisten Andrew Morton in der Zeit der Filmhandlung arbeitete, ergeben sich einige Fragen und Widersprüche. Natürlich darf man im Kino Sachen erfinden, erst Recht im Sinne einer dem Medium innewohnenden eigenen Wahrhaftigkeit, doch inwieweit der Film den Grad der Fiktionalisierung deutlich macht, bleibt angesichts der vielen authentizitätvortäuschenden Elemente, darunter Kostüm, Make-Up und auch die wunderbar unprätentiöse Bildsprache Claire Mathons (Porträt einer jungen Frau in Flammen) diskussionswürdig. In der Pressevorführung war selbst geübten Kinogängern nicht klar, dass Spencer zuvorderst ein Gedankenspiel ist, eine nur peripher an Fakten interessierte »freie Variation«, fürs breite Publikum dürfte dies um so mehr gelten.
Ist es darüber hinaus inhaltlich sinnvoll, diesen engen Zeitausschnitt herauszustellen? Die Handlung behandelt, anders als vorherige Verfilmungen, nicht größere Lebensabschnitte Lady Dis, anhand derer man sich stärker an äußeren Ereignissen entlanghangeln könnte, stattdessen wählen Larraín und Knight, ganz aristoteleisch, einen streng abgesteckten Zeitraum an einem festen Ort, auf den sie ihr Brennglas richten und der wie ein Nukleus für ihr Verständnis der Diana-Figur fungiert. Es fokussiert sich hierbei alles auf den Moment der Emanzipation der Princess of Wales von der Krone, die P.O.W. war vorher und danach einfach nur Diana Spencer. Diese Fokussierung führt dazu, dass der Film auf der einen Seite sehr konzentriert und dicht ist, gleichzeitig aber kaum äußere Handlung besitzt und maximal psychologisch, um nicht zu sagen psychologisierend, vorgeht. Spencer krankt an Sachen, an denen man sich schon bei Jackie stieß, Larraín interessiert sich nicht tiefer für Machtstrukturen oder Medienperspektiven, wie etwa im fantastischen No!, sondern fast ausschließlich für ein heruntergebrochenes Innenleben seiner Hauptfigur – und um dieses zu veräußerlichen, bedient er sich eines überbordenden Symbolismus.
Da wäre der riesig erscheinende Billardtisch, der in der Schlüsselszene des Films wie ein napoleonischer Schlachtplan, mit sorgfältig aufgereihten Billardkugeln an der Stelle von Kriegseinheiten, zwischen den Eheleuten Diana und Charles steht, als er ihr klarmachen will, dass sie sich ins Protokoll einzufügen habe. Dem Regisseur genügt dieses tolle Motiv nicht, er positioniert vor Diana überdeutlich die weiße Kugel und lässt Charles mit der schwarzen hantieren, doch das ist noch nicht alles, Charles rollt die schwarze Kugel zu ihr hinüber, sie nimmt diese auf und lässt sie, als er den Raum verlässt, zu Boden fallen. Dieses metaphorische Allerlei geht penetrant fort, frei fliegende Fasane sind Sinnbilder, die durch königliche Flinten abgeschossen werden, frühere Inkarnationen Dianas rennen in einer illustrativen Montagesequenz auf demonstrativ unbeschwerte Weise durch die heimische Landschaft. Wie der Diana sporadisch erscheinende Geist Anna Boleyns, die des Ehebruchs bezichtigte und daraufhin enthauptete zweite Gemahlin Heinrichs VIII., sowie die Vogelscheuche, die mit Lord Spencers Mantel bekleidet ist, ist das viel Material für 9. Klasse Deutschunterricht, aber ob daraus ein profundes Verständnis für das Innenleben Dianas und ihre Konflikte am Königshof erwächst, sei bezweifelt.
Apropos Anne Boleyn: Kollege Christoph Becker wies darauf hin, dass nicht etwa Shakespeares letztes Historiendrama »Heinrich VIII.« Pate für die klaustrophobische Situation Dianas steht, wie man anzunehmen verleitet sein könnte, sondern »Hamlet«: ähnlich erstarrt in einer mentalen Krise ist Lady Di, auch sie beginnt, im Palast Geister zu sehen, die vergangenes und drohendes Grauen zu Hofe personifizieren. Auf den unverkennbaren Bühnen-Aspekt könnte man stärker eingehen, Spencer ist im Kern ein Kammerspiel im Palast mit deutlich markierten Auf- und Abgängen, größtenteils Zweierszenen, mit Schlüsselszene im mittleren und dem »Showdown« im finalen Akt, der tatsächlich als eine Art Duell auf einem Schützenfeld stattfindet.
Reden wir über den Elefanten im Raum: Die am meisten gehypte schauspielerische Leistung des Jahres. Das Foto mit dem Schleier, in dem Kristen Stewart Lady Di wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein scheint, hat die Erwartungen hochgeschraubt, die Werbetrommel des Studios hat diese noch verstärkt. Aber: Kristen Stewart ist von der ersten Szene an permanent drüber, sie transportiert nichts von der legendären Natürlichkeit und Unprätentiösität Dianas, spielt die Zentnerlast ihrer Aufgabe stattdessen mit dauerhaft verkrampfter Miene. Diese Lady Di ist buchstäblich eine Prinzessin, die Königshaus bestellt, aber was anderes bekommen hat, als im Katalog stand. Es ist die gleiche aufgesetzte, effekthascherische Performance wie von Rami Malek als Freddie Mercury, in der sich Kristen Stewart gegenüber der Vielzahl an Bildern zu behaupten, gegenüber dem Mythos zu bestehen versucht, doch der gelungene technische Aspekt – Styling, Manierismen, Akzent – kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in einem fremd gebliebenen Körper steckt, von dessen Seele ganz zu schweigen, und ihr die notwendige sinnliche und poetische Durchlässigkeit völlig abgeht, im Unterschied zu der nuancierten Verwandlung, und das ist dezidiert nicht physisch gemeint, die Anthony Hopkins in Nixon oder Natalie Portman in Jackie vollziehen. Diese Lady Di leidet, und das bis zum Erbrechen, aber sie lebt nicht.
Da Kristen Stewart in jeder Szene des Films zu sehen ist, nicht selten im Close-Up, steht und fällt der Film mit dieser Performance. Der Film versucht mit all seinen Mitteln Empathie für seine Hauptfigur zu erzeugen, die einem bis zum Schluss aber merkwürdig fremd bleibt. Im letzten Bild mit der schief sitzenden Cap blitzt dann endgültig das Valley Girl hervor. Gerade für den Rest des hervorragenden Casts, insbesondere die großartige Sally Hawkins in der Rolle der Hofdame Maggie (übrigens eine erfundene Figur), ist das bitter, denn sie werden allesamt überlagert, sind höchstens Satelliten, von denen man gern mehr gesehen hätte.
Spencer tappt sogar in ein sexistisches Klischee, weil Diana vor allem darin Erfüllung zu finden scheint, Mutter zu sein, und zwar eine solche, die sich wie eine Wölfin vor ihre beiden Söhne stellt, um sie vor dem verrotteten Einfluss der höfischen Etikette zu bewahren. Es ist irrelevant, ob das der Wirklichkeit entsprechen mag und seinen eventuellen Widerhall gar in der erst kürzlich erfolgten Loslösung Prinz Harrys von der Krone findet. Rein auf der Ebene des Textes betrachtet bietet Larraín seiner Filmfigur nur zwei Ausbruchsszenarien an, das eine ist der nostalgisch verklärte Blick in eine unbeschwerte Kindheit, das andere die Erfüllung in der Mutterrolle, und das ist für ein ernstzunehmendes Drama, in dem es gerade um Emanzipation geht, einfach zu dünn, egal ob die Figur Erika Mustermann, Angela Merkel oder eben Diana Spencer heißt.
Das ist vor allem deswegen ärgerlich, weil die echte Diana sich wesentlich vielschichtiger darstellt. Die bürgerlich anmutende Kindergärtnerin entstammt einer der führenden Adelsfamilien Englands, zum Zeitpunkt der Filmhandlung ist sie bereits 10 Jahre mit Prinz Charles verheiratet, seine von der Queen tolerierte Affäre ist ihr seit der Verlobung bekannt, sie weiß also, worauf sie sich eingelassen hat. Sie ist zurückhaltend und erscheint naiv, ist aber clever, ihre mediale Wirkung ist ihr wohlbewusst, weswegen sie heimlich an ihrer Außendarstellung für die Zeit nach der Trennung arbeitet. Es ist also nicht so, dass sie ganz ohne Waffen wäre. Larraín und Knight erstellen eine plumpe Fabula, die haarscharf am Misery Porn vorbeischrammt und in der zwei meilenweit auseinanderliegende Interpretationen der Hauptfigur durch eine Art Kaninchenbau (ihr Kindheitszuhause) krachend zusammengeführt werden, anstatt die wahre Komplexität und Widersprüchlichkeit Diana Spencers auszuloten und sie als emanzipierte Person ernstzunehmen. Dazu komplementär ist, dass sie die königliche Familie als vieläugige Kontroll- und Terrormaschine entmenschlichen.
Zu den Vorzügen von Spencer zählen neben den technischen Kategorien, den starken Nebendarstellern und dem extravaganten, wie ein musikalisches Psychogramm wirkendem Score von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, dass alle Elemente, die gelingen, aber auch die, die man als gescheitert betrachten kann, darin zusammenspielen, ein Gefühl der Beklemmung und Isoliertheit hervorzurufen, unter dem zumindest die filmische Lady Di leidet. Die einengende Statik des Königshauses legt sich wie über den gesamten Saal. Dieses Gefühl ist ein dezidiert unangenehmes, soll heißen für den Zuschauer, das erst nach knapp eineinhalb Stunden aufgelöst wird, wenn auch die Hauptfigur an einem schmucklosen Küstenstrich endlich einmal durchatmen kann.
Das folgende Happy End – wenngleich der Film andeutet, dass es nur ein kurzes Durchatmen sein wird – inszeniert Larraín, und das nach rund zwei Stunden prototypischem Arthouse, wie den Aufbruch am Anfang eines High-School-Roadmovies. Man reibt sich die Augen, wenn an einem Drive-In in lachhafter Weise die Heldenreise der Hauptfigur abgeschlossen wird, Essensmetaphorik inklusive. Larraín und Knight sollten Paul Verhoevens Klassiker RoboCop kennen, und dass selbst in einer Actionsatire das – praktisch gleichlautende – Identitätsbekenntnis einen deutlich glaubwürdigeren Nachhall hat, worauf hier augenzwinkernd hingewiesen werden darf, von der Intelligenz der Umsetzung ganz zu schweigen, sollte ihnen angesichts des Materials, das sie in den Händen hielten, zu denken geben.
Lady Di rennt. Übers Feld zu einer verwitterten Vogelscheuche, die auf einem Hügel steht. Die Treppen des Sandringham House hinunter, ihre beiden Söhne reißt sie an den Händen nur so mit. Oder sie eilt die endlosen Flure des Palastes entlang, auf der Flucht vor, ja, vor was eigentlich, oder weil sie sich ganz dringend übergeben muss. Wenn sie isst, schlingt sie im Stehen das Essen hinunter, mit beiden Händen, Sahne, Erdbeertorte, Hühnerschenkel, im begehbaren Kühlschrank. Beim königlichen Weihnachtsdinner reißt sie sich die Kette vom Hals, weil die auch ihre Nebenbuhlerin geschenkt bekommen hat und sie wie ein Halsband erdrückt. Die riesigen Perlen fallen in grüne Erbsensuppe. Es knackt, als Diana draufbeißt.
Als sie aber aufs königliche Klo rennt, um ihrer Bulimie zu frönen, ist zumindest die Perlenkette noch intakt. Was ist passiert? Hat sie sich alles nur eingebildet? Diana ist wie eine Billardkugel, immer wieder an die Bande des Königshauses gespielt, damit sie ihre Grenzen kennenlernt. Kristen Stewart verkörpert dieses freiheitsliebende, aufmüpfige und anarchistische Wesen, das weder die königliche Wiegeordnung noch die Dinnerzeiten oder die Kleidungsvorschriften einhalten will. Ihre Lady Di ist nervös und fiebrig. Wenn sie spricht, schleudert sie die Worte im Staccato hervor, den Kopf hält sie schief, die Schultern hochgezogen, den Blick scheu. Nicht gerade die Diana, die so viele bewunderten.
Es braucht trotzdem nur diese wenigen Pinselstriche, um als Lookalike von Lady Di durchzugehen, eine blonde Haartolle, softfarbene Kostüme, ausgewaschene Jeans, Schulterpolster, 80er-Jahre-Fashion, das hat die Di berühmt gemacht. Auch Elizabeth Debicki war in »The Crown« eine solche rasch wiedererkennbare Diana, allerdings wurde in der Biopic-Serie dick ausgemalt. Kristen Stewart hingegen muss ganz auf ihre Performance vertrauen, in der es für sie kaum ein Gegenüber gibt außer den großen Landsitz der Royals. Sie unterstreicht das Wilde, Ursprüngliche in der tragischen Figur, aber auch die Verfolgte, Einsame, die außer den Dienstboten kaum jemanden zum Reden findet – und am Ende bleibt sogar unsicher, ob die Gespräche mit dem Personal, mit der Kammerzofe ihres Vertrauens Maggie (Sally Hawkins) und dem zur Ordnung rufenden Major (Timothy Spall), überhaupt stattgefunden haben, oder nur Figuren gewordene Gemütszustände sind.
Produziert hat die deutsche Komplizenfilm um Maren Ade und Janine Jackowski, die nach Synonymes (Nadav Lapid), Eine Geschichte von drei Schwestern (Emin Alper) oder der Trilogie 1001 Nacht (Miguel Gomes) wieder ein höchst kunstvolles Kino auf die Leinwand bringen. Virtuos unterläuft Spencer alle Erwartungen an einen Film »über« Lady Di. Zum zweiten Mal nach Jackie (2019) setzt der chilenische Regisseur Pablo Larraín einer ikonischen Frauengestalt aus dem 20. Jahrhundert ein Denkmal, und wieder will er anderes herausarbeiten als die Standardsituationen der Illustrierten. War Jackie noch eine elaborierte Phantasie über die im Rampenlicht stehende Person, »my own version of what happened«, genügt Larraín in Spencer der kurze Hinweis zu Beginn des Films: »A fable from a true tragedy.« A fable, a tragedy: Larraín macht sich seinen eigenen Reim auf die Tragödie der Lady Di, die Fallhöhe der Prinzessin hat er immer vor Augen, einmal auch ganz buchstäblich.
Verankert wird dennoch historisch. Spencer spielt an drei aufeinanderfolgenden Tagen zu Weihnachten im Jahr 1991. Charles’ Affäre mit Camille lastet bereits auf dem Prinzenpaar, Dianas Rolle als Fashion-Diva und Darling der Yellow Press ist zementiert, das Königshaus deshalb in Alarmbereitschaft. Am dritten Tag, dem »Boxing Day«, geht es zur traditionellen Fasanen-Jagd. Auch das reicht als Skizze.
Jenseits dieser faktischen Ebene ist die Grundstimmung im Palast reinste Paranoia. »They can hear you«, heißt es mahnend auf einem gut sichtbaren Schild in der königlichen Küche. Dennoch hütet sich Larraín davor, die Geschehnisse im Palast in einen psychologischen Realismus zu gießen, der uns Lady Di besser erklären könnte, etwa als Mensch. Sein Interesse gilt dem Eskapismus und den imaginären Welten einer Eingesperrten, die er in sinnliche Seelenzustände zu übersetzen weiß.
Bebend folgt die Handkamera von Claire Mathon der Diana durch die endlosen Flure des Palastes. Mathon, Kamerafrau von Porträt einer jungen Frau in Flammen und soeben mit dem Marburger Kamerapreis ausgezeichnet, hat auf 16- und 35mm-Filmmaterial gedreht (en detail auf der Kodak-Seite dokumentiert), das Korn ist deutlich sichtbar, kurze Brennweiten erzeugen große Tiefenschärfen, um den Tableaus der prächtigen Räume ihre ganze Wucht zu geben.
Während sich die Sphäre der Queen mit ihren Corgis, Dorgis und anderen Dackelrassen gemäldegleich auf dem Sofa anordnen lässt (noch so eine lässig hingeworfene Figurenskizze) und mit streng geführter Kamera gefilmt wird, oder gleich von oben, aus Drohnenperspektive, um die symmetrische Anordnung des königlichen Anwesens zu zeigen, ist die Welt der Diana reinstes Chaos. Das Weihnachtszimmer betritt sie erst in dessen zugemülltem Zustand, wenn die Geschenke schon ausgepackt sind und die Dienstboten mit den Staubsaugern hantieren – ein Wechselspiel zwischen Ordnung und Auflösung des hoheitlichen Diskurses durch die schiere Anwesenheit von Diana. Übersetzt wird dies in einen angejazzten, sich von barocken Harmonien zu Atonalität aufschwingenden Score von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood.
Ist das aber auch postmoderne Dekonstruktion und mehr, oder einfach nur eine großartig komponierte Oberfläche? Zumindest wird man in diesem Film nicht weit kommen, wenn man ihn auf psychologisch-historischer Ebene lesen will oder eine Modernisierung des Diana-Stoffes aus heutiger Sicht erwartet. Spencer ist weder ironisch-ornamental wie Sofia Coppolas Marie Antoinette, noch unverblümt wie Yorgos Lanthimos The Favourite – auch wenn letzterer ziemlich explizit in der Anbahnung durch die Kammerzofe Maggie zitiert wird. Spencer löst sich eher im Undeutlichen auf, in einer großen Gefühlsververdichtung seiner Hauptfigur, in der alles zugleich erlebt wie auch entsubstantialisiert sein kann, reines Innenleben, reine Emotion, reine Fantasy.
Larraín hat dafür hochgradig symbolische Bilder gefunden. Schweres Geschütz wird zu Beginn des Films vom Militär aufgefahren – riesige Armeekoffer mit wertvoller Essensmunition für den War of Food gegen Diana. Ein vielsagender Auftakt für den Kampf von Esszwang und Erbrechen, der sich zwischen königlicher Tafel und Toilette abspielen wird. Verweigerung und Eskapismus ist, wenn die Tradition einem keinen Spielraum mehr lässt.
Diana entwickelt in ihren Ausbrüchen Lebenshunger und Todessehnsucht. Die halluzinogene Märtyrerin Anne Boleyn aus dem 16. Jahrhundert wird zu ihrem Role Model, gefunden hat sie sie in einem Buch – eine Kontamination des Begehrens durch die Lektüre, wie einst bei Madame Bovary. Sehnsuchtsort ist die Kindheit – die Flashbacks kommen, als Diana den Stacheldrahtzaun des verlassenen elterlichen Anwesens durchschneidet. Ein Dornröschen-Motiv, und wie im Märchen wird durch das Durchschneiden der Hecke die Prinzessin geweckt.
Wer nach der Enttäuschung über das ausbleibende Biopic zumindest einen sich in drei Tagen zuspitzenden Konflikt zwischen den Royals und dem Wildfang Diana als Handlungskompensat erwartet, wird ebenfalls enttäuscht. Spencer ist sinnliches Beben des Kinos, eine kraftvolle Tour de Force einer im Imaginären des Bildkorns aufgegangenen Figur, die höchstens am Ende, im Moment des größten Phantasmas, zur Realität findet, ihren Namen sagt – und kräftig in einen Hamburger beißt.
Die ersten 30 Minuten in diesem Film sieht man die Royal Family einfach überhaupt nicht. Man sieht nur sie, Diana, und das Personal, und irgendwann ihre Kinder. Die Royal Family sieht man nicht und nach diesen 30 Minuten – ich habe auf die Uhr geschaut – sieht man sie dann erstmal auch nur verschwommen aus dem Hintergrund und von hinten.
Das ist schon der beste Einfall dieses Films.
Sandringham, drei Tage an Weihnachten 1990/91. Fünf Hunde kommen im Rolls-Royce mit einem HGM Nummernschild und die Queen selbst fährt im Taxi voraus.
Es folgen: Familienterror, Spießrutenlauf, Tortur.
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»I have absolutely no idea, where I am.« – als sich die Princess of Wales mit ihrem grünmetallic Porsche 911 auf einer englischen Landstraße verirrt, ist dies der erste Satz des Films. So kann es in diesem Film auch den Zuschauern gehen.
Sind wir in einer Puppenstube? In einem Geisterhaus? In einer Netflix-Serie? Indizien gibt es für alle drei Varianten. Man wird das Gefühl nicht los, Pablo Larraín hätte wohl allzu gerne »The Crown« inszeniert. Weil man ihn nicht ließ, gibt
es diesen Film. Genauso sehr hat Larraín wohl früher gern mit Barbie-Puppen gespielt: Andauernd neue Kostüme. Gelb von Chanel, rot von Dior, minzgrün von einem namenlosen Londoner Designer, der seit 1783 das Königshaus beliefert. Im Gegensatz zu Barbie hat Diana Ankleidedamen, die nebenbei dafür sorgen, dass die Vorhänge zugezogen bleiben und den täglichen Seelenzustand von Her Royal Highness dem Sicherheitschef melden.
Der Darsteller dieses Sicherheitschef ist Timothy Spall, den man aus so ziemlich jedem Mike-Leigh-Film kennt, und den ich nicht nur überschätzt finde, sondern den ich einfach nicht mehr sehen kann. Er taucht im Film immer dann auf, wenn Diana mal einen kurzen, ruhigen oder entspannten Moment hat, und redet ihr recht unsanft ins Gewissen: Und dann fallen noch so bescheuerte Sätze, wie sie sich auch schon in den 50er Jahren in den »Sissi«-Filmen finden: »No one is above the tradition.«
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Ansonsten? Ein rotes Barbour-Jacket. Und Kristen Stewart. Nichts anderes. Aber Kristen Stewart lohnt sich immer. Stewart spielt die Rolle der Diana Spencer als Karikatur: Ob das Augenklimpern, der leicht schief geneigte Kopf, die hochgezogenen Schultern. Alles Manierismen, Äußerlichkeit. Das funktioniert zwar spontan, verstärkt aber den Einduck des Über-Künstlichen, den der Film sowieso erzeugt.
Larraín macht aus der Prinzessin eine egozentrische, eigensinnige und
schmollende Dauer-Nörglerin.
Man sieht dann irgendwann, wie sie in Kostüm und Stöckelschuhen über einen Acker geht. Ein verzogenes Kind, das sich nicht anpassen will; das keineswegs sie selbst ist, denn sie weiß gar nicht, was sie ist. Dazu Katzenmusik mit bedrohlichem Unterton.
Lange Gänge, lange Wege – vermutlich soll man Mitleid mit dieser Upper-Class-Tussy haben, die königlichen Verhältnisse kurios finden, oder schlimm – keine Ahnung. Der Film macht viel zu viele Mätzchen. Das kann doch nicht der Regisseur von Ema sein! Ist er aber. Erst das und jetzt so ein gediegener Quatsch.
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Alles andere – Klischees! »Eine Frau im Belagerungszustand«, »in Tradition erstarrt«, »eine Emanzipationsgeschichte«. Projektionen, Illusionen... Bemerkenswert und das Interessanteste an diesem Film, wie er von der deutschen Kritik überschätzt wird. Während die internationale Presse verhalten bleibt – »the movie Larraín has now delivered feels less a cry of the heart than a parody of a parody, and through no fault of Stewart’s. ... Is this campy fun or inadvertent character assassination?« schreibt zum Beispiel Stephanie Zacharek im »Time Magazine« –, sind die Deutschen alle glücklich.
Alle außer Fritz Göttler, der in der SZ ein paar interessante Beobachtungen notiert: »nach zwei quälerischen Stunden Klaustrophobie ... Am Ende wird der Film fast unverschämt frei und happy, stimmt ein fröhliches Loblied an aufs Fastfood, den Hamburger. Aufbruchstimmung, eine Mutter ist mit ihren beiden Jungs auf dem Weg in ein neues Leben...« Tatsächlich ist das Ende eine der wenigen wirklich schönen, gelungenen Szenen.
Und dann: »Pablo Larraín ist fasziniert von Familien und Clans, von ihren Hierarchien, die Zuflucht sind und Gefängnis und fast natürlich Neurosen generieren und Perversitäten.« Das ist vielleicht wirklich der Schlüssel zu den merkwürdigen schwierigen Filmen dieses merkwürdigen schwierigen Regisseurs, der nämlich, das schreibt Göttler nicht, selbst aus einem der prominentesten und reaktionärsten, mit der Diktatur blutig verbandelten Familienclans von Chile stammt.
Schließlich der Verweis auf Rebecca, auf Daphne du Maurier. Blutiger Horror.
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In den Vordergrund drängt sich aber schon während des Films immer wieder die Frage, die sich auch schon im August 1997 gestellt hat: Why should we care?
Vielleicht müssen uns diese Royals nicht wirklich bekümmern. Vielleicht ist das übergroße Interesse für sie nur ein Indiz für eine soziokulturelle oder sozialpsychologische Störung unserer Gesellschaft, unserer Zeit.
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Das rote Barbour-Jacket im Spencer-Film hat mich noch an etwas anderes erinnert, zunächst unbewusst, dann langsam dämmerte es mir: Der mörderische Zwerg in Nicholas Roegs großartiger Gothic-Horror-Phantasie Wenn die Gondeln Trauer tragen (Don’t Look Now nach Daphne du Maurier) trägt eine Jacke im gleichen Rot.