Spencer

Großbritannien/D/Chile 2021 · 117 min. · FSK: ab 12
Regie: Pablo Larraín
Drehbuch:
Musik: Jonny Greenwood
Kamera: Claire Mathon
Darsteller: Kristen Stewart, Jack Farthing, Amy Manson, Thomas Douglas, Jack Nielen u.a.
Filmszene »Spencer«
Kristen Stewarts Lady Di leidet, aber sie lebt nicht...
(Foto: DCM)

Bis zum Erbrechen

Pablo Larraíns »Biopic« über Lady Di ist ein zwar nicht leichter, aber in vielerlei Hinsicht einfacher Film

Der Anfang gibt die Richtung vor: Gelän­de­wagen in Camou­flage-Optik walzen über eine Privat­straße, sie trans­por­tieren ein mili­tä­risch anmu­tendes Korps von Köchen, das in Reih und Glied, wie bei einer Wach­a­b­lö­sung, an den Palast­wäch­tern vorbei, mit in Muni­ti­ons­boxen verpackten Deli­ka­tessen bewehrt, in die Großküche der könig­li­chen Residenz einmar­schiert, wo der Chefkoch mit schnar­rendem Ton und unter strengster Einhal­tung des Proto­kolls sein Regiment führt, während ein Porsche Cabrio leise, fast schwebend, durch die englische Provinz gleitet: es ist Lady Di, 30 Jahre alt, alleine im Wagen sitzend, ohne Orien­tie­rung, irgendwie auch ohne Ziel.

Dies ist der Kontrast, mit dem Pablo Larraíns Spencer aufmacht und sein Thema etabliert, das sich bis zum Ende durch­zieht, wenn Diana wieder im Porsche sitzt, diesmal nicht mehr allein. Der Film trans­por­tiert dieses nicht nur durch eine Vielzahl an Symbolen und Metaphern, sondern legt es auch mehrfach in die Münder seiner Prot­ago­nisten: »No one is above tradition« versus »what normal people do«.

Der Handlung beschränkt sich auf das Weih­nachts­fest 1991, das die Queen mit ihrer Familie tradi­tio­nell in der Residenz Sandringham in der engli­schen Graf­schaft Norfolk begeht. In der unmit­tel­baren Nähe, aber doch so unendlich weit weg erschei­nend, ist Diana Spencer geboren. Charles und Dianas Ehe ist tief in der Krise, die könig­liche Familie steht eisern gegen die »Königin der Herzen« zusammen, die sie für egois­tisch, weil zu eigen­willig, erachten und der sie ihre mediale Popu­la­rität neiden. Die Räum­lich­keiten Sandring­hams, aber auch die gesamte Insti­tu­tion der briti­schen Monarchie stellen für Diana einen goldenen Käfig dar, dem sie zu entfliehen versucht. Ihre Isolation verstärkt sich umso mehr, als ihr klar wird, dass selbst die ihr loyal erschei­nenden Bediens­teten des Hofes in ihrem Pflicht­ge­fühl gegenüber der Krone jede der Bewe­gungen und Äuße­rungen dieses unan­ge­nehmen Frei­geists weiter­leiten.

Diana leidet an einer perma­nenten nerv­li­chen Krise, sie steht unter Dauer­be­ob­ach­tung, ihr Tag ist vom Hofstaat starr durch­ge­plant, selbst ihre Garderobe ist minutiös fest­ge­legt, ein einziges Korsett, in das sie gezwängt wird. Der perlen­be­setzte Hals­schmuck, ein Geschenk ihres Gemahls, der parallel eine Lang­zeit­af­färe unterhält, erweist sich buchs­täb­lich als Kette, als Fessel. Sie verschlingt wider­willig die ihr in deka­denten Zere­mo­nien aufge­tischten Deli­ka­tessen und erbricht sie dann wieder in ihrem Privatbad, im edlen Kostüm vor dem Klo kniend. Irgend­wann beginnt sie sogar, sich selbst mit einer Kneif­zange zu verletzen. Der einzig mögliche Ausbruch scheinen die intimen Momente mit ihren beiden kleinen Söhnen zu sein sowie die Fragmente ihrer Kindheit, die in der nahe­lie­genden, aber mitt­ler­weile verlas­senen Residenz der Spencers schlum­mern.

Spencer ist ein zwar nicht leichter, aber in vielerlei Hinsicht einfacher Film, der noch während der Pandemie mit verhält­nis­mäßig geringem Budget gedreht wurde, welches sich übrigens auch aus deutschen Förder­gel­dern zusam­men­setzt – die Außen­auf­nahmen der könig­li­chen Residenz sind etwa, man höre und staune, im Müns­ter­land entstanden. Wichtig ist fest­zu­halten, dass trotz wahrer und wahr­haf­tiger Einzel­heiten (Weih­nachts­feste fanden in dieser Zeit auf Sandringham statt, Diana hat selbst ihre lang­jäh­rige Bulimie und Selbst­ver­let­zungen thema­ti­siert) der Film weniger eine faktische Darstel­lung denn eine freie Inter­pre­ta­tion der realen Bege­ben­heiten ist, wie er mit einer lapidaren Texttafel zu Beginn klar­zu­ma­chen versucht: »A fable based on a true tragedy«. Im Klartext: im Zweifel ist es erfunden.

Es gibt keinerlei harte Quellen für die Vorkomm­nisse der besagten drei Tage der Handlung. Der Autor Steve Knight gibt an, im Rahmen seiner Recherche u. a. Inter­views mit Bediens­teten des Hofs geführt zu haben, aller­dings ohne Authen­ti­zi­täts­an­spruch. Bei Lektüre des wohl bekann­testen Diana-Buchs »Diana: Her True Story«, an dem sie mit dem Jour­na­listen Andrew Morton in der Zeit der Film­hand­lung arbeitete, ergeben sich einige Fragen und Wider­sprüche. Natürlich darf man im Kino Sachen erfinden, erst Recht im Sinne einer dem Medium inne­woh­nenden eigenen Wahr­haf­tig­keit, doch inwieweit der Film den Grad der Fiktio­na­li­sie­rung deutlich macht, bleibt ange­sichts der vielen authen­ti­zi­tät­vor­täu­schenden Elemente, darunter Kostüm, Make-Up und auch die wunderbar unprä­ten­tiöse Bild­sprache Claire Mathons (Porträt einer jungen Frau in Flammen) diskus­si­ons­würdig. In der Pres­se­vor­füh­rung war selbst geübten Kino­gän­gern nicht klar, dass Spencer zuvor­derst ein Gedan­ken­spiel ist, eine nur peripher an Fakten inter­es­sierte »freie Variation«, fürs breite Publikum dürfte dies um so mehr gelten.

Ist es darüber hinaus inhalt­lich sinnvoll, diesen engen Zeit­aus­schnitt heraus­zu­stellen? Die Handlung behandelt, anders als vorherige Verfil­mungen, nicht größere Lebens­ab­schnitte Lady Dis, anhand derer man sich stärker an äußeren Ereig­nissen entlang­han­geln könnte, statt­dessen wählen Larraín und Knight, ganz aris­to­te­leisch, einen streng abge­steckten Zeitraum an einem festen Ort, auf den sie ihr Brennglas richten und der wie ein Nukleus für ihr Verständnis der Diana-Figur fungiert. Es fokus­siert sich hierbei alles auf den Moment der Eman­zi­pa­tion der Princess of Wales von der Krone, die P.O.W. war vorher und danach einfach nur Diana Spencer. Diese Fokus­sie­rung führt dazu, dass der Film auf der einen Seite sehr konzen­triert und dicht ist, gleich­zeitig aber kaum äußere Handlung besitzt und maximal psycho­lo­gisch, um nicht zu sagen psycho­lo­gi­sie­rend, vorgeht. Spencer krankt an Sachen, an denen man sich schon bei Jackie stieß, Larraín inter­es­siert sich nicht tiefer für Macht­struk­turen oder Medi­en­per­spek­tiven, wie etwa im fantas­ti­schen No!, sondern fast ausschließ­lich für ein herun­ter­ge­bro­chenes Innen­leben seiner Haupt­figur – und um dieses zu veräußer­li­chen, bedient er sich eines über­bor­denden Symbo­lismus.

Da wäre der riesig erschei­nende Billard­tisch, der in der Schlüs­sel­szene des Films wie ein napo­leo­ni­scher Schlacht­plan, mit sorg­fältig aufge­reihten Billard­ku­geln an der Stelle von Kriegs­ein­heiten, zwischen den Eheleuten Diana und Charles steht, als er ihr klar­ma­chen will, dass sie sich ins Protokoll einzu­fügen habe. Dem Regisseur genügt dieses tolle Motiv nicht, er posi­tio­niert vor Diana über­deut­lich die weiße Kugel und lässt Charles mit der schwarzen hantieren, doch das ist noch nicht alles, Charles rollt die schwarze Kugel zu ihr hinüber, sie nimmt diese auf und lässt sie, als er den Raum verlässt, zu Boden fallen. Dieses meta­pho­ri­sche Allerlei geht penetrant fort, frei fliegende Fasane sind Sinn­bilder, die durch könig­liche Flinten abge­schossen werden, frühere Inkar­na­tionen Dianas rennen in einer illus­tra­tiven Monta­ge­se­quenz auf demons­trativ unbe­schwerte Weise durch die heimische Land­schaft. Wie der Diana spora­disch erschei­nende Geist Anna Boleyns, die des Ehebruchs bezich­tigte und daraufhin enthaup­tete zweite Gemahlin Heinrichs VIII., sowie die Vogel­scheuche, die mit Lord Spencers Mantel bekleidet ist, ist das viel Material für 9. Klasse Deutsch­un­ter­richt, aber ob daraus ein profundes Verständnis für das Innen­leben Dianas und ihre Konflikte am Königshof erwächst, sei bezwei­felt.

Apropos Anne Boleyn: Kollege Christoph Becker wies darauf hin, dass nicht etwa Shake­speares letztes Histo­ri­en­drama »Heinrich VIII.« Pate für die klaus­tro­pho­bi­sche Situation Dianas steht, wie man anzu­nehmen verleitet sein könnte, sondern »Hamlet«: ähnlich erstarrt in einer mentalen Krise ist Lady Di, auch sie beginnt, im Palast Geister zu sehen, die vergan­genes und drohendes Grauen zu Hofe perso­ni­fi­zieren. Auf den unver­kenn­baren Bühnen-Aspekt könnte man stärker eingehen, Spencer ist im Kern ein Kammer­spiel im Palast mit deutlich markierten Auf- und Abgängen, größ­ten­teils Zwei­er­szenen, mit Schlüs­sel­szene im mittleren und dem »Showdown« im finalen Akt, der tatsäch­lich als eine Art Duell auf einem Schüt­zen­feld statt­findet.

Reden wir über den Elefanten im Raum: Die am meisten gehypte schau­spie­le­ri­sche Leistung des Jahres. Das Foto mit dem Schleier, in dem Kristen Stewart Lady Di wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein scheint, hat die Erwar­tungen hoch­ge­schraubt, die Werbe­trommel des Studios hat diese noch verstärkt. Aber: Kristen Stewart ist von der ersten Szene an permanent drüber, sie trans­por­tiert nichts von der legen­dären Natür­lich­keit und Unprä­ten­tiö­sität Dianas, spielt die Zent­ner­last ihrer Aufgabe statt­dessen mit dauerhaft verkrampfter Miene. Diese Lady Di ist buchs­täb­lich eine Prin­zessin, die Königs­haus bestellt, aber was anderes bekommen hat, als im Katalog stand. Es ist die gleiche aufge­setzte, effekt­ha­sche­ri­sche Perfor­mance wie von Rami Malek als Freddie Mercury, in der sich Kristen Stewart gegenüber der Vielzahl an Bildern zu behaupten, gegenüber dem Mythos zu bestehen versucht, doch der gelungene tech­ni­sche Aspekt – Styling, Manie­rismen, Akzent – kann nicht darüber hinweg­täu­schen, dass sie in einem fremd geblie­benen Körper steckt, von dessen Seele ganz zu schweigen, und ihr die notwen­dige sinnliche und poetische Durch­läs­sig­keit völlig abgeht, im Unter­schied zu der nuan­cierten Verwand­lung, und das ist dezidiert nicht physisch gemeint, die Anthony Hopkins in Nixon oder Natalie Portman in Jackie voll­ziehen. Diese Lady Di leidet, und das bis zum Erbrechen, aber sie lebt nicht.

Da Kristen Stewart in jeder Szene des Films zu sehen ist, nicht selten im Close-Up, steht und fällt der Film mit dieser Perfor­mance. Der Film versucht mit all seinen Mitteln Empathie für seine Haupt­figur zu erzeugen, die einem bis zum Schluss aber merk­würdig fremd bleibt. Im letzten Bild mit der schief sitzenden Cap blitzt dann endgültig das Valley Girl hervor. Gerade für den Rest des hervor­ra­genden Casts, insbe­son­dere die großar­tige Sally Hawkins in der Rolle der Hofdame Maggie (übrigens eine erfundene Figur), ist das bitter, denn sie werden allesamt über­la­gert, sind höchstens Satel­liten, von denen man gern mehr gesehen hätte.

Spencer tappt sogar in ein sexis­ti­sches Klischee, weil Diana vor allem darin Erfüllung zu finden scheint, Mutter zu sein, und zwar eine solche, die sich wie eine Wölfin vor ihre beiden Söhne stellt, um sie vor dem verrot­teten Einfluss der höfischen Etikette zu bewahren. Es ist irrele­vant, ob das der Wirk­lich­keit entspre­chen mag und seinen even­tu­ellen Widerhall gar in der erst kürzlich erfolgten Loslösung Prinz Harrys von der Krone findet. Rein auf der Ebene des Textes betrachtet bietet Larraín seiner Filmfigur nur zwei Ausbruchs­sze­na­rien an, das eine ist der nost­al­gisch verklärte Blick in eine unbe­schwerte Kindheit, das andere die Erfüllung in der Mutter­rolle, und das ist für ein ernst­zu­neh­mendes Drama, in dem es gerade um Eman­zi­pa­tion geht, einfach zu dünn, egal ob die Figur Erika Muster­mann, Angela Merkel oder eben Diana Spencer heißt.

Das ist vor allem deswegen ärgerlich, weil die echte Diana sich wesent­lich viel­schich­tiger darstellt. Die bürger­lich anmutende Kinder­gärt­nerin entstammt einer der führenden Adels­fa­mi­lien Englands, zum Zeitpunkt der Film­hand­lung ist sie bereits 10 Jahre mit Prinz Charles verhei­ratet, seine von der Queen tole­rierte Affäre ist ihr seit der Verlobung bekannt, sie weiß also, worauf sie sich einge­lassen hat. Sie ist zurück­hal­tend und erscheint naiv, ist aber clever, ihre mediale Wirkung ist ihr wohl­be­wusst, weswegen sie heimlich an ihrer Außen­dar­stel­lung für die Zeit nach der Trennung arbeitet. Es ist also nicht so, dass sie ganz ohne Waffen wäre. Larraín und Knight erstellen eine plumpe Fabula, die haar­scharf am Misery Porn vorbei­schrammt und in der zwei meilen­weit ausein­an­der­lie­gende Inter­pre­ta­tionen der Haupt­figur durch eine Art Kanin­chenbau (ihr Kind­heits­zu­hause) krachend zusam­men­ge­führt werden, anstatt die wahre Komple­xität und Wider­sprüch­lich­keit Diana Spencers auszu­loten und sie als eman­zi­pierte Person ernst­zu­nehmen. Dazu komple­mentär ist, dass sie die könig­liche Familie als vieläu­gige Kontroll- und Terror­ma­schine entmensch­li­chen.

Zu den Vorzügen von Spencer zählen neben den tech­ni­schen Kate­go­rien, den starken Neben­dar­stel­lern und dem extra­va­ganten, wie ein musi­ka­li­sches Psycho­gramm wirkendem Score von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, dass alle Elemente, die gelingen, aber auch die, die man als geschei­tert betrachten kann, darin zusam­men­spielen, ein Gefühl der Beklem­mung und Isoliert­heit hervor­zu­rufen, unter dem zumindest die filmische Lady Di leidet. Die einengende Statik des Königs­hauses legt sich wie über den gesamten Saal. Dieses Gefühl ist ein dezidiert unan­ge­nehmes, soll heißen für den Zuschauer, das erst nach knapp einein­halb Stunden aufgelöst wird, wenn auch die Haupt­figur an einem schmuck­losen Küsten­strich endlich einmal durch­atmen kann.

Das folgende Happy End – wenn­gleich der Film andeutet, dass es nur ein kurzes Durch­atmen sein wird – insze­niert Larraín, und das nach rund zwei Stunden proto­ty­pi­schem Arthouse, wie den Aufbruch am Anfang eines High-School-Road­mo­vies. Man reibt sich die Augen, wenn an einem Drive-In in lach­hafter Weise die Helden­reise der Haupt­figur abge­schlossen wird, Essens­me­ta­phorik inklusive. Larraín und Knight sollten Paul Verhoevens Klassiker RoboCop kennen, und dass selbst in einer Actions­a­tire das – praktisch gleich­lau­tende – Iden­ti­täts­be­kenntnis einen deutlich glaub­wür­di­geren Nachhall hat, worauf hier augen­zwin­kernd hinge­wiesen werden darf, von der Intel­li­genz der Umsetzung ganz zu schweigen, sollte ihnen ange­sichts des Materials, das sie in den Händen hielten, zu denken geben.

Perlen vor die Royals

Weder Biopic noch Doku-Fiktion: Pablo Larraíns Spencer bringt die imaginären Welten einer eingesperrten Ikone auf eine bebende Leinwand

Lady Di rennt. Übers Feld zu einer verwit­terten Vogel­scheuche, die auf einem Hügel steht. Die Treppen des Sandringham House hinunter, ihre beiden Söhne reißt sie an den Händen nur so mit. Oder sie eilt die endlosen Flure des Palastes entlang, auf der Flucht vor, ja, vor was eigent­lich, oder weil sie sich ganz dringend übergeben muss. Wenn sie isst, schlingt sie im Stehen das Essen hinunter, mit beiden Händen, Sahne, Erdbeer­torte, Hühner­schenkel, im begeh­baren Kühl­schrank. Beim könig­li­chen Weih­nachts­dinner reißt sie sich die Kette vom Hals, weil die auch ihre Neben­buh­lerin geschenkt bekommen hat und sie wie ein Halsband erdrückt. Die riesigen Perlen fallen in grüne Erbsen­suppe. Es knackt, als Diana drauf­beißt.

Spencer Perlen
(Foto: DCM Film Distri­bu­tion)

Als sie aber aufs könig­liche Klo rennt, um ihrer Bulimie zu frönen, ist zumindest die Perlen­kette noch intakt. Was ist passiert? Hat sie sich alles nur einge­bildet? Diana ist wie eine Billard­kugel, immer wieder an die Bande des Königs­hauses gespielt, damit sie ihre Grenzen kennen­lernt. Kristen Stewart verkör­pert dieses frei­heits­lie­bende, aufmüp­fige und anar­chis­ti­sche Wesen, das weder die könig­liche Wiege­ord­nung noch die Dinn­er­zeiten oder die Klei­dungs­vor­schriften einhalten will. Ihre Lady Di ist nervös und fiebrig. Wenn sie spricht, schleu­dert sie die Worte im Staccato hervor, den Kopf hält sie schief, die Schultern hoch­ge­zogen, den Blick scheu. Nicht gerade die Diana, die so viele bewun­derten.

Es braucht trotzdem nur diese wenigen Pinsel­striche, um als Lookalike von Lady Di durch­zu­gehen, eine blonde Haartolle, soft­far­bene Kostüme, ausge­wa­schene Jeans, Schul­ter­polster, 80er-Jahre-Fashion, das hat die Di berühmt gemacht. Auch Elizabeth Debicki war in »The Crown« eine solche rasch wieder­erkenn­bare Diana, aller­dings wurde in der Biopic-Serie dick ausgemalt. Kristen Stewart hingegen muss ganz auf ihre Perfor­mance vertrauen, in der es für sie kaum ein Gegenüber gibt außer den großen Landsitz der Royals. Sie unter­streicht das Wilde, Ursprüng­liche in der tragi­schen Figur, aber auch die Verfolgte, Einsame, die außer den Dienst­boten kaum jemanden zum Reden findet – und am Ende bleibt sogar unsicher, ob die Gespräche mit dem Personal, mit der Kammer­zofe ihres Vertrauens Maggie (Sally Hawkins) und dem zur Ordnung rufenden Major (Timothy Spall), überhaupt statt­ge­funden haben, oder nur Figuren gewordene Gemüts­zu­stände sind.

Produ­ziert hat die deutsche Kompli­zen­film um Maren Ade und Janine Jackowski, die nach Synonymes (Nadav Lapid), Eine Geschichte von drei Schwes­tern (Emin Alper) oder der Trilogie 1001 Nacht (Miguel Gomes) wieder ein höchst kunst­volles Kino auf die Leinwand bringen. Virtuos unter­läuft Spencer alle Erwar­tungen an einen Film »über« Lady Di. Zum zweiten Mal nach Jackie (2019) setzt der chile­ni­sche Regisseur Pablo Larraín einer ikoni­schen Frau­en­gestalt aus dem 20. Jahr­hun­dert ein Denkmal, und wieder will er anderes heraus­ar­beiten als die Stan­dard­si­tua­tionen der Illus­trierten. War Jackie noch eine elabo­rierte Phantasie über die im Rampen­licht stehende Person, »my own version of what happened«, genügt Larraín in Spencer der kurze Hinweis zu Beginn des Films: »A fable from a true tragedy.« A fable, a tragedy: Larraín macht sich seinen eigenen Reim auf die Tragödie der Lady Di, die Fallhöhe der Prin­zessin hat er immer vor Augen, einmal auch ganz buchs­täb­lich.

Verankert wird dennoch histo­risch. Spencer spielt an drei aufein­an­der­fol­genden Tagen zu Weih­nachten im Jahr 1991. Charles’ Affäre mit Camille lastet bereits auf dem Prin­zen­paar, Dianas Rolle als Fashion-Diva und Darling der Yellow Press ist zemen­tiert, das Königs­haus deshalb in Alarm­be­reit­schaft. Am dritten Tag, dem »Boxing Day«, geht es zur tradi­tio­nellen Fasanen-Jagd. Auch das reicht als Skizze.

Jenseits dieser fakti­schen Ebene ist die Grund­stim­mung im Palast reinste Paranoia. »They can hear you«, heißt es mahnend auf einem gut sicht­baren Schild in der könig­li­chen Küche. Dennoch hütet sich Larraín davor, die Gescheh­nisse im Palast in einen psycho­lo­gi­schen Realismus zu gießen, der uns Lady Di besser erklären könnte, etwa als Mensch. Sein Interesse gilt dem Eska­pismus und den imaginären Welten einer Einge­sperrten, die er in sinnliche Seelen­zu­stände zu über­setzen weiß.

Bebend folgt die Hand­ka­mera von Claire Mathon der Diana durch die endlosen Flure des Palastes. Mathon, Kame­ra­frau von Porträt einer jungen Frau in Flammen und soeben mit dem Marburger Kame­ra­preis ausge­zeichnet, hat auf 16- und 35mm-Film­ma­te­rial gedreht (en detail auf der Kodak-Seite doku­men­tiert), das Korn ist deutlich sichtbar, kurze Brenn­weiten erzeugen große Tiefen­schärfen, um den Tableaus der präch­tigen Räume ihre ganze Wucht zu geben.

Während sich die Sphäre der Queen mit ihren Corgis, Dorgis und anderen Dackel­rassen gemäl­de­gleich auf dem Sofa anordnen lässt (noch so eine lässig hinge­wor­fene Figu­ren­skizze) und mit streng geführter Kamera gefilmt wird, oder gleich von oben, aus Droh­nen­per­spek­tive, um die symme­tri­sche Anordnung des könig­li­chen Anwesens zu zeigen, ist die Welt der Diana reinstes Chaos. Das Weih­nachts­zimmer betritt sie erst in dessen zuge­mülltem Zustand, wenn die Geschenke schon ausge­packt sind und die Dienst­boten mit den Staub­saugern hantieren – ein Wech­sel­spiel zwischen Ordnung und Auflösung des hoheit­li­chen Diskurses durch die schiere Anwe­sen­heit von Diana. Übersetzt wird dies in einen ange­jazzten, sich von barocken Harmonien zu Atona­lität aufschwin­genden Score von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood.

Ist das aber auch post­mo­derne Dekon­struk­tion und mehr, oder einfach nur eine großartig kompo­nierte Ober­fläche? Zumindest wird man in diesem Film nicht weit kommen, wenn man ihn auf psycho­lo­gisch-histo­ri­scher Ebene lesen will oder eine Moder­ni­sie­rung des Diana-Stoffes aus heutiger Sicht erwartet. Spencer ist weder ironisch-orna­mental wie Sofia Coppolas Marie Antoi­nette, noch unver­blümt wie Yorgos Lanthimos The Favourite – auch wenn letzterer ziemlich explizit in der Anbahnung durch die Kammer­zofe Maggie zitiert wird. Spencer löst sich eher im Undeut­li­chen auf, in einer großen Gefühls­ver­ver­dich­tung seiner Haupt­figur, in der alles zugleich erlebt wie auch entsub­stan­tia­li­siert sein kann, reines Innen­leben, reine Emotion, reine Fantasy.

Larraín hat dafür hoch­gradig symbo­li­sche Bilder gefunden. Schweres Geschütz wird zu Beginn des Films vom Militär aufge­fahren – riesige Armee­koffer mit wert­voller Essens­mu­ni­tion für den War of Food gegen Diana. Ein viel­sa­gender Auftakt für den Kampf von Esszwang und Erbrechen, der sich zwischen könig­li­cher Tafel und Toilette abspielen wird. Verwei­ge­rung und Eska­pismus ist, wenn die Tradition einem keinen Spielraum mehr lässt.

Diana entwi­ckelt in ihren Ausbrüchen Lebens­hunger und Todes­sehn­sucht. Die hallu­zi­no­gene Märty­rerin Anne Boleyn aus dem 16. Jahr­hun­dert wird zu ihrem Role Model, gefunden hat sie sie in einem Buch – eine Konta­mi­na­tion des Begehrens durch die Lektüre, wie einst bei Madame Bovary. Sehn­suchtsort ist die Kindheit – die Flash­backs kommen, als Diana den Stachel­draht­zaun des verlas­senen elter­li­chen Anwesens durch­schneidet. Ein Dorn­rö­schen-Motiv, und wie im Märchen wird durch das Durch­schneiden der Hecke die Prin­zessin geweckt.

Wer nach der Enttäu­schung über das ausblei­bende Biopic zumindest einen sich in drei Tagen zuspit­zenden Konflikt zwischen den Royals und dem Wildfang Diana als Hand­lungs­kom­pensat erwartet, wird ebenfalls enttäuscht. Spencer ist sinn­li­ches Beben des Kinos, eine kraft­volle Tour de Force einer im Imaginären des Bildkorns aufge­gan­genen Figur, die höchstens am Ende, im Moment des größten Phan­tasmas, zur Realität findet, ihren Namen sagt – und kräftig in einen Hamburger beißt.

In Geisterhäusern

Why should we care? Kristin Stewart als Lady Di

Die ersten 30 Minuten in diesem Film sieht man die Royal Family einfach überhaupt nicht. Man sieht nur sie, Diana, und das Personal, und irgend­wann ihre Kinder. Die Royal Family sieht man nicht und nach diesen 30 Minuten – ich habe auf die Uhr geschaut – sieht man sie dann erstmal auch nur verschwommen aus dem Hinter­grund und von hinten.
Das ist schon der beste Einfall dieses Films.

Sandringham, drei Tage an Weih­nachten 1990/91. Fünf Hunde kommen im Rolls-Royce mit einem HGM Nummern­schild und die Queen selbst fährt im Taxi voraus.
Es folgen: Fami­li­en­terror, Spieß­ru­ten­lauf, Tortur.

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»I have abso­lutely no idea, where I am.« – als sich die Princess of Wales mit ihrem grün­me­tallic Porsche 911 auf einer engli­schen Land­straße verirrt, ist dies der erste Satz des Films. So kann es in diesem Film auch den Zuschauern gehen.
Sind wir in einer Puppen­stube? In einem Geis­ter­haus? In einer Netflix-Serie? Indizien gibt es für alle drei Varianten. Man wird das Gefühl nicht los, Pablo Larraín hätte wohl allzu gerne »The Crown« insze­niert. Weil man ihn nicht ließ, gibt es diesen Film. Genauso sehr hat Larraín wohl früher gern mit Barbie-Puppen gespielt: Andauernd neue Kostüme. Gelb von Chanel, rot von Dior, minzgrün von einem namen­losen Londoner Designer, der seit 1783 das Königs­haus beliefert. Im Gegensatz zu Barbie hat Diana Anklei­de­damen, die nebenbei dafür sorgen, dass die Vorhänge zugezogen bleiben und den täglichen Seelen­zu­stand von Her Royal Highness dem Sicher­heits­chef melden.

Der Darsteller dieses Sicher­heits­chef ist Timothy Spall, den man aus so ziemlich jedem Mike-Leigh-Film kennt, und den ich nicht nur über­schätzt finde, sondern den ich einfach nicht mehr sehen kann. Er taucht im Film immer dann auf, wenn Diana mal einen kurzen, ruhigen oder entspannten Moment hat, und redet ihr recht unsanft ins Gewissen: Und dann fallen noch so bescheu­erte Sätze, wie sie sich auch schon in den 50er Jahren in den »Sissi«-Filmen finden: »No one is above the tradition.«

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Spencer rot
(Foto: DCM Film Distri­bu­tion)

Ansonsten? Ein rotes Barbour-Jacket. Und Kristen Stewart. Nichts anderes. Aber Kristen Stewart lohnt sich immer. Stewart spielt die Rolle der Diana Spencer als Karikatur: Ob das Augen­klim­pern, der leicht schief geneigte Kopf, die hoch­ge­zo­genen Schultern. Alles Manie­rismen, Äußer­lich­keit. Das funk­tio­niert zwar spontan, verstärkt aber den Einduck des Über-Künst­li­chen, den der Film sowieso erzeugt.
Larraín macht aus der Prin­zessin eine egozen­tri­sche, eigen­sin­nige und schmol­lende Dauer-Nörglerin.

Man sieht dann irgend­wann, wie sie in Kostüm und Stöckel­schuhen über einen Acker geht. Ein verzo­genes Kind, das sich nicht anpassen will; das keines­wegs sie selbst ist, denn sie weiß gar nicht, was sie ist. Dazu Katzen­musik mit bedroh­li­chem Unterton.

Lange Gänge, lange Wege – vermut­lich soll man Mitleid mit dieser Upper-Class-Tussy haben, die könig­li­chen Verhält­nisse kurios finden, oder schlimm – keine Ahnung. Der Film macht viel zu viele Mätzchen. Das kann doch nicht der Regisseur von Ema sein! Ist er aber. Erst das und jetzt so ein gedie­gener Quatsch.

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Alles andere – Klischees! »Eine Frau im Bela­ge­rungs­zu­stand«, »in Tradition erstarrt«, »eine Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schichte«. Projek­tionen, Illu­sionen... Bemer­kens­wert und das Inter­es­san­teste an diesem Film, wie er von der deutschen Kritik über­schätzt wird. Während die inter­na­tio­nale Presse verhalten bleibt – »the movie Larraín has now delivered feels less a cry of the heart than a parody of a parody, and through no fault of Stewart’s. ... Is this campy fun or inad­ver­tent character assas­si­na­tion?« schreibt zum Beispiel Stephanie Zacharek im »Time Magazine« –, sind die Deutschen alle glücklich.

Alle außer Fritz Göttler, der in der SZ ein paar inter­es­sante Beob­ach­tungen notiert: »nach zwei quäle­ri­schen Stunden Klaus­tro­phobie ... Am Ende wird der Film fast unver­schämt frei und happy, stimmt ein fröh­li­ches Loblied an aufs Fastfood, den Hamburger. Aufbruch­stim­mung, eine Mutter ist mit ihren beiden Jungs auf dem Weg in ein neues Leben...« Tatsäch­lich ist das Ende eine der wenigen wirklich schönen, gelun­genen Szenen.

Und dann: »Pablo Larraín ist faszi­niert von Familien und Clans, von ihren Hier­ar­chien, die Zuflucht sind und Gefängnis und fast natürlich Neurosen gene­rieren und Perver­si­täten.« Das ist viel­leicht wirklich der Schlüssel zu den merk­wür­digen schwie­rigen Filmen dieses merk­wür­digen schwie­rigen Regis­seurs, der nämlich, das schreibt Göttler nicht, selbst aus einem der promi­nen­testen und reak­ti­onärsten, mit der Diktatur blutig verban­delten Fami­li­en­clans von Chile stammt.

Schließ­lich der Verweis auf Rebecca, auf Daphne du Maurier. Blutiger Horror.

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In den Vorder­grund drängt sich aber schon während des Films immer wieder die Frage, die sich auch schon im August 1997 gestellt hat: Why should we care?
Viel­leicht müssen uns diese Royals nicht wirklich bekümmern. Viel­leicht ist das übergroße Interesse für sie nur ein Indiz für eine sozio­kul­tu­relle oder sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Störung unserer Gesell­schaft, unserer Zeit.

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Das rote Barbour-Jacket im Spencer-Film hat mich noch an etwas anderes erinnert, zunächst unbewusst, dann langsam dämmerte es mir: Der mörde­ri­sche Zwerg in Nicholas Roegs großar­tiger Gothic-Horror-Phantasie Wenn die Gondeln Trauer tragen (Don’t Look Now nach Daphne du Maurier) trägt eine Jacke im gleichen Rot.