Deutschland 2012 · 101 min. · FSK: ab 12 Regie: Gregor Schnitzler Drehbuch: Kathrin Richter, Jürgen Schlagenhof Kamera: Andreas Berger Darsteller: Michelle Barthel, Jannik Schümann, Maximilian Brückner, Richy Müller, Ulrike Folkerts u.a. |
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Konfuses Teenie-Drama |
Der Film zur Buchmesse: Spieltrieb ist eine Literaturverfilmung – zurückgehend auf Juli Zehs gleichnamigen Bestseller von 2004 erzählt der Film von zwei Schülern aus gutem Hause. Sie sind Außenseiter an ihrem Gymnasium; sie lesen Musil und Nietzsche und schließen irgendwann einen teuflischen Pakt: Die Hauptfigur Ada, verführt ihren Deutsch-Lehrer, um ihn zu erpressen. Doch schnell gerät das böse Spiel außer Kontrolle, und die fatale Dreieckskonstellation eskaliert. Soweit, auf sein Gerippe reduziert der Plot von Spieltrieb.
Die Hauptfigur ist Ada, aus zerrütteter Familie, nicht hübsch, dafür klug. Daher ist sie eine Außenseiterin in ihrem Bonner Nobel-Gymnasium, das nach Ernst Bloch benannt ist, aber wenig Hoffnung oder gar Utopie birgt – bis Alev auftaucht: »Alev 18 Jahre. Hobbys: Nachdenken, Atheismus, leichte Drogen – in mir steckt so etwas wie die Sehnsucht nach einem Seelenverwandten..«
Alev ist ein so frecher wie verwöhnter Zyniker. Die Mädchen beeindruckt er damit, dass er in der Schule den Dandy gibt – auch Ada versteht sich. Dass ihm auch noch orientalische Wurzeln angedichtet werden, ist nicht nur unnötig, es gehört zu jenen Elementen, die einem an dieser Romanverfilmung, wie an der ihm zugrunde liegenden Vorlage, immer wieder plötzlich sehr typisch deutsch vorkommen: Von allem ist hier etwas zuviel, und am Ende sind es eben die Fremden – der Deutschlehrer stammt aus Polen –, die böse sind, und eine deutsche Jungfrau verführen.
Spieltrieb, das war zunächst einmal vor knapp zehn Jahren der zweite Roman von Juli Zeh. Was das Buch dieser hochinteressanten Schriftstellerin über den Durchschnitt weit hinaushob, das war genau das, was jenseits des dürren Handlungsgerüsts das Buch ausmachte: Zunächst einmal seine originelle Sprache, dann die dichte Beobachtung und Beschreibung jugendlicher Lebenswelten und nicht zuletzt die vielen philosophischen und weltanschaulichen Debatten der Figuren, die mal die Höhen tiefster philosophischer Fragen erreichten, sich dann aber wieder – ganz absichtlich – eher auf dem Niveau der Antworten eines Briefkastenonkels für Jugendliche bewegten.
Spieltrieb erzählt, wie schon Robert Musils Novelle über die »Verwirrungen des Zöglings Törleß« – einer von vielen literarischen Verweisen, mit denen das Buch gespickt ist –, in erster Linie von den Phantasien und Nöten der Pubertät. Das ist durchaus ein Thema, das uns alle angeht, auch die Älteren – verkörpern doch junge Menschen in ihrer ganzen von der Realität halbwegs ungetrübten Reinheit all die Hoffnungen und Wünsche, die im Laufe des Lebens allmählich abgestreift, vergessen oder gar verraten werden.
Was sie in diesem Film allerdings verkörpern, ist vor allem Bosheit. Weniger wie die müden Großstadtpflanzen bei Musil, als wie die »Dämonen« eines Dostojewski, nennen sie sich »Moderne Nihilisten« und tun das Böse um seiner selbst willen. So etwas, wenn man es denn überhaupt glauben kann, schockiert heute nicht mehr so wie vor über hundert Jahren. Nach dem Zivilisationsbruch von Auschwitz, aber auch nach Romanen und Filmen die mit dem Tabubruch nicht nur spielen, sondern ihn vollziehen – von Quentin Tarantino und Gaspar Noé bis zu Bret Easton Ellis und Jonathan Littell – kann uns Abgebrühte des 21. Jahrhunderts so etwas nicht mehr schockieren. Wir, das Publikum, sind selbst so kaltschnäuzig, wie es diese Kinder von Sloterdijk und Wodka-Cola gern wären – eine echte Provokation läge vielmehr darin, moderne Parzifals zu erfinden, reine Toren, die nur ans Gute glauben.
Juli Zeh ist fraglos eine großartige Autorin, womöglich die begabteste und jedenfalls die interessanteste unter den Deutschsprachigen ihrer Generation. Ihr zweiter Roman ist aber nicht nur ihr dickster, sondern auch der schwächste: Es ist alles an dieser Story eine Spur zu ausgedacht, zu unmotiviert, und am Ende auch zu moralisierend: Böse Kinder sind böse und müssen bestraft, zugleich aber wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden. Das sind Versöhnungsphantasien von Erwachsenen.
Das eigentliche Problem von Gregor Schnitzlers Verfilmung liegt aber noch woanders: Er übernimmt die Schwächen des Romans, aber nicht die Stärken. Der Film hat ständig Angst vor Ruhe, vor Pausen, die man womöglich zum Denken nutzen könnte, vor Philosophie sowieso, und vor existentiellen Fragen. Fast alle Gedanken und weltanschaulichen Gründe, die diese bösen Kinder motivieren – egal was man von diesen nun halten mag – sind dem Film ausgetrieben. Offenbar hatten da die Macher, ihre Förderer und Redakteure, wieder einmal Angst davor, ihre armen Zuschauer am Ende zu überfordern.
So begreifen diese aber überhaupt nichts mehr – man begleitet zwei Menschen, die einem fern und gleichgültig sind, weil man sie nicht versteht, auf einem Weg mit vorhersehbarem Ziel. Diese Verfilmung von »Spieltrieb« ist genauso pubertär wie ihre Hauptfiguren. Denn Schnitzler bricht die geistreiche Story herunter und banalisiert sie zu einem eher konfusen Teenie-Drama. Nicht auszudenken, wie viel besser man mit einem solchen klugen Stoff in Hollywood umgehen würde, oder in einem französischen Film – wo es charmant sein kann, wenn schöne Menschen sich auch noch über Philosophie unterhalten.
So verrät uns dieser Film mehr über die neuen Leiden des deutschen Kinos, als diesem lieb sein kann.