USA 2024 · 110 min. · FSK: ab 16 Regie: James Watkins Drehbuch: James Watkins Kamera: Tim Maurice-Jones Darsteller: James McAvoy, Mackenzie Davis, Scoot McNairy, Alix West Lefler, Aisling Franciosi u.a. |
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Scream-Momente gibt es trotzdem | ||
(Foto: Universal Pictures) |
Dies ist der neueste Sprössling der Hollywood-Remake-Familie: Speak No Evil basiert auf dem gleichnamigen dänischen Horrorfilm des Regisseurs Christian Tafdrup, der aufgrund seiner dichten Inszenierung und schonungslosen Darstellung menschlicher Abgründe eine kleine Genre-Perle der vergangenen Jahre ist. Wie in der Vorlage beginnt der Film in der Urlaubsidylle von Italien. Zwischen der Familie Dalton und dem ebenfalls verheirateten Paar Paddy und Ciara aus Großbritannien, die einen kleinen Sohn haben, entwickelt sich zunächst Freundschaft. Doch der Schein trügt. Bei einem zweiten Treffen auf dem abgelegenen Hof von Paddy und Ciara in den Wäldern von England beginnt zwischen den Erwachsenen ein Psychospiel. Paddy und Ciara bringen die Daltons immer häufiger in unangenehme Alltagssituationen: Sie zwingen die Vegetarierin Louise Dalton, Fleisch zu essen, und eines Nachts legt Ciara das Kind von den Daltons in ihres und Paddys Bett.
Während sich die Prämisse der beiden Familien in einem abgelegenen Haus auf dem Land zunächst liest wie ein Thriller mit Potential für jede Menge Psycho-Machtspiele, scheitert der Film jedoch an sich selbst. Über die 110 Minuten Laufzeit plätschert er ziemlich vor sich hin. Die bedrohliche Szenerie hält häufig der nicht nachvollziehbaren Handlungen der Figuren kaum stand: So kehren die Daltons, die bereits die Flucht angetreten haben, wegen eines vergessenen Kuscheltiers der Tochter zum Horror-Ort zurück. Dennoch hat der Film gewisse Momente, die in den Bann ziehen. Hier sieht man dem »Bösen« direkt bei der Arbeit zu, was aufgrund der kühlen Inszenierung eine gewisse Faszination an sich hat. Vor allem, wenn James McAvoy in der Figur von Paddy immer bedrohlicher wird und man ihm die Boshaftigkeit nahezu von den Augen ablesen kann. Auch wenn es um die beiden Kinder der Paare geht, gibt es einige fassungslos machende Momente. So sollen die Daltons ihre Tochter bei einem völlig Unbekannten lassen, um einen Abend zu viert mit Paddy und Ciara zu verbringen. Paddy verhält sich gegenüber seinem eigenen Sohn häufig übergriffig, er macht ihn fertig, als er eine Tanz-Choreografie nicht sauber ausführt, die er und die Dalton-Tochter vorbereitet haben.
Der Film bietet kaum Raum für eine höhere Ebene. Auf die sämtlich banalen Fragen des Films findet er auch noch sehr simple Antworten. Warum verhalten sich Paddy und Ciara so? Warum erduldet der Sohn die Schikanen des Vaters? Die lapidare Antwort von Paddy: Das Geschehene ist passiert, weil die Daltons es halt zugelassen haben.
Eine tiefere Auseinandersetzung mit ästhetischer Gewalt oder ein Ausspielen gewisser Machtpositionen, wie es zum Beispiel Michael Haneke in seinem Werk Funny Games 1997 durchexerzierte, finden hier nicht statt. Letztlich sehen wir also einen Film, der sich leicht konsumieren lässt, ohne den Zuschauer vor allzuviel Drastik und Unbequemlichkeit zu stellen, um kontrovers oder besonders zu sein, jedoch mit genügend kleinen Schauwerten, dass sich der Horrorfilm-Fan gerade noch abgeholt fühlt. Hin und wieder möchte man den Figuren am liebsten zurufen, sie sollten doch besser ihren gesunden Menschenverstand in Gang bringen, um die Situation nicht komplett eskalieren zu lassen. Was natürlich ausbleibt.
Über die Unentschiedenheit des Films, wirklich guten Horror mit ansprechendem Plot zu liefern, kann die technische Seite hinwegtrösten. Die mitreißende Kamera (Tim Maurice-Jones) und das bedrohlich laute Sounddesign (Ben Barker) schaffen eine Scream-artige Atmosphäre, welche vom Schnitt (Jon Harris) gut eingerahmt wird – zumindest momentweise. Unterstützt wird das Ganze vom Cast, der gut aufspielt. Allen voran James McAvoy, dem es sichtlich Spaß zu machen scheint, den zwielichtig Unbekannten zu verkörpern. Der Rest: ist leider etwas flach geraten. Vom rauen Nihilismus und der brutalen Konsequenz des Originals bleibt kaum etwas übrig, womit sich Speak No Evil als weiteres US-Remake entpuppt, welches eher die zahme, gebügelte Variante eines besseren und schon existierenden Films ist.
Warum aber wurde dieser Film eigentlich gemacht? Klar, er weiß zu unterhalten. Klar, er wird sein Publikum allein schon wegen seiner Vorlage finden, die hat aber gerade erst zwei Jahre auf dem Buckel. Könnte das US-Horrorkino wohlmöglich eine Kernsanierung brauchen?