USA 2015 · 129 min. · FSK: ab 0 Regie: Tom McCarthy Drehbuch: Tom McCarthy, Josh Singer Kamera: Masanobu Takayanagi Darsteller: Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams, Liev Schreiber, John Slattery u.a. |
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Seltener Hochgenuss: Star-Ensemble als Team-Ensemble |
Erst letzte Woche wartete die Financial Times mit einer ernüchternden Reportage auf: Demnach schrumpften während der letzten sechs Jahre die Printmedien in England um 30%, in den USA um mehr als 50%. Was aber noch hinzukam, ist wohl weit wichtiger – nämlich das sich das Mantra – die Zukunft liege im Digitalen – nicht bewahrheitet hat und sich wohl auch nie erfüllen wird. Schlimmer noch: eine alternative Vision für den Journalismus der Zukunft gibt es bislang nicht.
Dazu passt die Anfang dieser Woche veröffentlichte Studie des DCI-Institituts und der Hochschule Fresenius, nach der nur knapp 13 % der Internet-Nutzer in Deutschland schon einmal Geld für Web-Inhalte ausgegeben haben. Die meisten Nutzer sind bereit für Musik (54,6 %), Spiele (47,7 %) oder Filme und Serien (39,1 %) zu bezahlen; klassische Verlagsinhalte finden sich am unteren Ende – für Fachinformationen haben schon 12,3 % Geld ausgegeben, für Nachrichten nur 9,6 %. Zudem erreichen die Verlage mit ihren Bezahlinhalten vor allem das ältere Publikum.
Es hört sich fast schon wie ein Märchen an, wenn man sagt: vor noch gar nicht so langer Zeit war das alles mal anders. Und es war eine gute Zeit, auch wenn schon damals die schlechten Nachrichten die guten Nachrichten waren, weil sie sich einfach besser verkauft haben.
Über diese gute Zeit mit ihren schlechten Nachrichten erzählt Tom McCarthys Spotlight. Er ist damit nicht der Erste, wenn auch vielleicht der Letzte seiner Art: man denke nur an die großartige Zeitungsserie Lou Grant, die zwischen 1977 und 1982 ausgestrahlt wurde und in der Hauptdarsteller Ed Asner in seiner Rolle als Redakteur das einmalige Kunststück fertigbrachte, sowohl einen Emmy für die Hauptrolle in einem Drama als auch für die beste Nebenrolle in einer Komödie ausgezeichnet worden zu sein. Und dann sind da natürlich Die Unbestechlichen (1978) von Alan J. Pakula mit Dustin Hofman und Robert Redford, die sich ebenso wie Lou Grant als unsersetzliche »Vierte Gewalt des Staates« verstanden.
Um diese Unbestechlichkeit der »Vierten Gewalt« geht es auch in Spotlight, einer der so vielen Filmgeschichten der letzten Zeit, die auf »einer wahren Geschichte« beruht. Die investigative Abteilung des Boston Globe, deren Recherchezeit auch mal ein Jahr für ein Thema betragen kann, bekommt 2001 durch ihren neuen Chefredakteur Marty Baron (Liev Schreiber) den Auftrag, den sexuellen Missbrauch von Kindern durch katholische Priester zu untersuchen. Das Spotlight- Team um ihren Chef Walter »Robby« Robinson (Michael Keaton) nimmt die Spur auf und entdeckt mehr, als es ursprünglich im Sinn hatte, mehr noch erkennt es, wie schwer es ist, auch dann »unbestechlich« zu bleiben, wenn Seilschaften, alte Freunde und die katholische Kirche mit ihm Spiel sind.
Anders als Pakula All the President’s Men inszeniert Tom McCarthy seinen Film nicht vordergründig als Thriller. Im Gegenteil vertraut er ganz auf die faszinierende Aura journalistisch-investigativer Recherche. Und das heißt auch: sich Zeit lassen. McCarthy beobachtet Redaktionskonferenzen, Interviews mit Informanten, die selbstverständlich noch analog mit Schreibblock und Stift geführt werden, und lässt sich auch Zeit für Blicke auf das Privatleben des Spotlight-Teams – Michael Rezendes (Marc Ruffalo) verwaiste Wohnung, Sacha Pfeiffers (Rachel McAdams) katholische Familie und Walter Robinsons Verstrickung in alte Verbindlichkeiten. Dabei ist es ein Hochgenuss, dieses Star-Ensemble vor allem als Team-Ensemble zu erleben, in dem niemand im Schatten des anderen steht. Fast spiegelbildlich für die Teamarbeit journalistischer Recherche operiert auch das »Team« der Schauspieler in einer lange nicht mehr gesehenen paritätischen Ausgeglichenheit und arbeitet sich langsam auf »ihr« Thema zu, das im Laufe des Films folgerichtig mehr und mehr in den Vordergrund tritt und zum eigentlichen Politikum wird.
Diese dramaturgische Entwicklung über ein hervorragendes Drehbuch und mit exzellent recherchierten Hintergründen ist delikatestes, bestes amerikanisches Kino und ein Paradebeispiel für eine von vielen Spielarten, »politisch« Filme zu machen. Umso schöner ist es, dass diese Qualität auch »offiziell« anerkannt wird, dass Spotlight bereits mehr als 100 Nominierungen und Preise erhalten hat und als einer der Top Ten-Filme des vergangenen Jahres und damit auch für die Oscars hoch gehandelt wird. Den bitteren Beigeschmack, damit gleichzeitig auch so etwas wie dem würdigen Begräbnis eines aussterbenden Berufsstandes und der bislang als unerlässlich geltenden »Vierten Gewalt« im Staat beigewohnt zu haben; diesen bitteren, traurigen und verzweifelten Beigeschmack nimmt das allerdings nicht.