D/P/FR/Guinea-Bissau 2017 · 96 min. · FSK: - Regie: Filipa César Drehbuch: Sana na N'Hada Kamera: Jenny Lou Ziegel Schnitt: Filipa César |
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Utopie des Kinos |
Der Filmemacher Sana na N'Hada aus Guinea-Bissau ist essenziell für die Filmgeschichte seines Landes. Er inszenierte dort mit Flora Gomes den ersten Spielfilm: Mortu Nega. Und doch geht sein Einfluss weit über den eines Filmemachers hinaus. Die Kamera ist ganz nah neben seinem Gesicht. Er sitzt mit Leuten zusammen und erzählt vom Befreiungskampf gegen die Kolonialmacht Portugal, von den Auseinandersetzungen der Sechziger und Siebziger Jahre, die er als Guerillakämpfer an der Seite des Revolutionärs Amílcar Cabral erlebte. Damals rannte er gemeinsam mit den Bewaffneten, doch er filmte anstatt zu schießen. Der Feind schießt zuerst auf die Kamera, meint er. Währenddessen sind die Aufnahmen aus der Zeit zu sehen. Stark mitgenommene Bilder, die dennoch eine klare Sprache sprechen. Sie flackern auf der Leinwand neben ihm, nur angeschnitten. Und sie erscheinen als Einblendung innerhalb des Bilds: Ein digital hereinmontiertes Bildfenster schwebt neben seinem Kopf, wie eine Gedankenblase. Es ist ganz genau zu sehen, wovon er spricht.
Filipa Césars Filmessay Spell Reel schreckt nicht vor starken Eingriffen in das Bild zurück. Denn die Bilder, um die es ihr geht, sind vor Angriffen nicht verschont geblieben. Die Basis ihrer Arbeit stellen Archivaufnahmen dar, Aufnahmen von Sana na N'Hada und seinen WeggefährtInnen, die im Bürgerkrieg Ende der Neunziger zum Großteil vernichtet und dann vor einigen Jahren geborgen und aufgearbeitet wurden – das Arsenal in Berlin arbeitete mit dem Filminstitut in Guinea zusammen, um Bilder verfügbar zu machen, denn selbst die Bevölkerung Guinea-Bissaus konnte diese über 20 Jahre hinweg kaum sehen. Auch international sollen die Bilder reisen. Folgerichtig ermöglicht also der Arsenal Filmverleih Césars Film einen Kinostart.
Vermutlich ein notwendiger Schritt: Ihr Filmessay stellt Sehgewohnheiten durchaus hart auf die Probe und würde ohne das Zutun der Hersteller außerhalb von Festivals schwerlich auf die Leinwände wandern. César ist schlau und thematisiert schon im Film, dass diese einst erkämpften Bilder auch heute zumindest erarbeitet werden müssen. Die Szene mit Sana na N'Hada ist eine von vielen, in denen die Macher der Bilder ihre Entstehungsbedingungen thematisieren. César begleitete Aufführungen des Materials in Guinea-Bissau von 2013 bis 2014, filmt die Leinwände ab, erforscht Projektionen und Diskussionen. Und immer wieder dringen die Archivaufnahmen in das Bild ein, werden als kleine Leinwände eingeblendet und kommentieren die Aufführungspraxis ebenso wie die gegenwärtigen Gespräche.
Teile der Bevölkerung entdecken hier Fetzen ihrer Vergangenheit, Fetzen ihrer kulturellen und politischen Identität. Und wer den Film außerhalb Guineas sieht, wohnt diesen Entdeckungen bei, ohne sie im eigentlichen Sinne nachvollziehen zu können. Dass es verquer ist und dennoch notwendig, sich die Kämpfe der anderen ebenso wie die eigenen immer wieder vor Augen zu führen, daran lässt der Film keinen Zweifel. Er umarmt die Kompliziertheit global und historisch verschachtelter Gefühle, die der Blick auf Kolonialverbrechen nun einmal auslöst. Auch Deutschland wird von César hineingesponnen in die Denkwege, wird als Kolonialmacht über Bismarcks politische Abwägungen aufgeschlüsselt.
Und trotz der extremen Informationsdichte ihres Filmessays macht Césars Film klar, dass es hier nie um rein Faktisches geht, sondern um sinnliche und fleischliche Geschichte. Eine Einstellung in der Nacht, der Projektionsstrahl ist zu sehen, Archivaufnahmen spielen sich ab und werden begleitet von Texteinblendungen. Blätter werden zur Leinwand, irgendwo in Guinea-Bissau: »celluloid grain, converted into pixels, pixels into fireflies.«