Großbritannien 2016 · 84 min. · FSK: ab 12 Regie: Louis Leterrier Drehbuch: Sacha Baron Cohen, Phil Johnston, Peter Baynham Kamera: Oliver Wood Darsteller: Sacha Baron Cohen, Mark Strong, Penélope Cruz, Isla Fisher, Rebel Wilson, Annabelle Wallis u.a. |
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Politisch bissiger – wenn auch nie ernster – Blick auf den »White Trash« Englands |
Road to Grimsby
This is the part of the lady between her arse and fanny. It smells of fish and its not far from a shit hole.
»I've clocked up a few miles on the road to Grimsby«
(»Top Definition«, Urban Dictionary)Teabaggin
1. Act of inserting your balls into a girls mouth for sucking.
2. Placing your balls on one’s forehead, usually while they are asleep, and taking a picture or video of it for later shaming.
»She was teabaggin me when I blew my juice.«
»I teabagged him at that party once.«
(»Top Definition«, Urban Dictionary)
Es ist im Grunde ganz einfach. Wem die einleitenden Zitate nicht einmal ein müdes Schmunzeln entlocken, wem die Three Stooges der Farelly-Brüder nicht mehr als kompletten Schwachsinn bedeuten oder wem Adam Sandler Produktionen wie That’s My Boy oder You Don’t Mess with the Zohan nur weitere Beispiele schlechten Geschmacks darstellen, sollte an dieser Stelle sowohl aufhören zu lesen als sich auch hüten, die neueste Provokation in Sachen Humor von Sacha Baron Cohen anzusehen.
Sacha Baron Cohen? Genau der! Der in Ali G Indahouse, der von Borat, Brüno und Der Diktator – allesamt unberechenbare Gratwanderungen zwischen Mockumentary, Guerilla-Film und pubertär-politischer Slapstick-Komödie – und allesamt bösartige Mutationen nackter Kanonen-Moral. Und als ob Cohen die langsame Hinwendung zum inszenierten Spielfilm und das immer schnellere Hinabtauchen in die Untiefen des Fäkalhumors in Der Diktator noch nicht gereicht hätte, begibt er sich in The Brothers Grimsby (dt. Der Spion und sein Bruder), noch einen weiteren – unberechenbaren – Schritt in Richtung vermeintlichen Massengeschmacks. Denn die Geheimagentenkomödie um den verlorenen Bruder Sebastian, der sich als MI6-Agent entpuppt (Mark Strong) und in fremdverschuldeter Not die prekären Unterschichtverhältnisse seines Bruders Nobby (Sacha Baron Cohen) kennenlernt, um dann mit ihm eine Tour de Force ohnegleichen zu durchleiden ist ein seltsamer Zwitter geworden.
Denn zum einen ist The Brothers Grimsby ein ohne große Blödelei überraschend perfekt und schnell inszenierter Action-Film, was der Regie von Louis Leterrier geschuldet sein dürfte, dessen Handschrift aus The Transporter und The Incredible Hulk unverkennbar ist. Zum anderen begibt sich Cohen nach seinen Ausflügen nach Kasachstan, die Schweiz, Wadiya und die USA in seine Heimat England zurück – auch wenn im englischen Originaltitel die Verballhornung der deutschen »Brüder Grimm« unverkennbar ist. Doch das ist – wie so vieles in Grimsby – nur eines der unzähligen Wortspiele, Kalauer und Witze, die selbst im englischen Original nur dann gewürdigt werden können, wenn man Zugang zum eingangs zitierten »Urban Dictionary« oder noch besser den legendären »Profanisaurus« des britischen Satiremagazins »VIZ« aufgeschlagen neben sich liegen hat.
Neben den für den deutschen Sprachraum schwer zu dechiffrierenden englischen Verbal-Humor à la »VIZ« wirft Cohen jedoch auch einen politisch immer wieder bissigen – wenn auch nie ernsten – Blick auf den »White Trash« Englands, für den er sich als Aquarium das düstere Fischerörtchen Grimsby ausgesucht hat, das nicht erst seit Cohens Film zumindest vulgärsprachlich Rang und Namen hat (siehe oben »Road to Grimsby«). Cohen trägt hier eine schier unglaubliche Sammlung an Hässlichkeit, Fettleibigkeit, Dummheit und allen nur erdenklichen Stereotypen über bildungsferne Schichten zusammen, um sie dann jedoch immer wieder auch überraschend zu dekonstruieren und dabei sogar so etwas wie Empathie bei dem verblüfften Zuschauer zu erzeugen. Gepaart werden diese ethnografischen Diskurse mit einem völlig überdrehten Feuerwerk an verschlampten Gags, die in ihrer unübertroffenen Abstrusität von »Teabaggin«-Momenten bis zu »Penis-Kackwurst«-Verwechslungen und Donald-Trump-Bashings reichen. Dass Cohen sich sogar hier noch einmal zu übertreffen versucht, in dem er aus dem Abstrusen ins Absurde und Surreale wechselt – man denke nur an das Versteckspiel der Helden in der Vagina einer Elefantin – mag nicht jeden überzeugen; dass es Cohen dabei dennoch gelingt, sogar hier ein Lachen zu erzeugen, ist dann aber schon wieder fast so etwas wie, nun ja – große Kunst.
Nach den vielen gelachten Tränen, grausamen Schamattacken über die – freiwillige – Grenzüberschreitung des eigenen Humors und einem zeitgleich immer wieder im Hals steckenbleibenden Ekel wünscht man sich eigentlich nur noch eins: das England sich bei der kommenden Volksabstimmung für den Brexit entscheiden möge. Denn eine derartig individuelle, ethnisch spezifische Perle des Humors dürfte auch in Zukunft nur in einem England möglich sein, das so bleibt wie es ist – nämlich möglichst weit von den einheits- und gleichheitsliebenden Idealen unserer Europäischen Union entfernt.