USA 2014 · 101 min. · FSK: ab 0 Regie: Richard Glatzer, Wash Westmoreland Drehbuch: Richard Glatzer, Wash Westmoreland Kamera: Denis Lenoir Darsteller: Julianne Moore, Kate Bosworth, Shane McRae, Hunter Parrish, Alec Baldwin u.a. |
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Alzheimer: Verblassende Erinnerungen |
Mehr als sechs Millionen Zuschauer hat Til Schweiger inzwischen mit seiner auf Hochglanz polierten Alzheimer-Tragikomödie Honig im Kopf in die deutschen Kinos locken können. Eine Zahl, die das morgen startende Drama Still Alice – Mein Leben ohne Gestern hierzulande nie erreichen wird – obwohl Hauptdarstellerin Julianne Moore für ihre schauspielerische Leistung, berechtigterweise, zahlreiche Preise, unter anderem den Oscar, entgegennehmen durfte und der Independent-Produktion daher einige Aufmerksamkeit zuteil wurde. Wünschenswert wäre es dennoch, dass der behutsam erzählte, berührende, aber nie sentimentalisierende Film ein größeres Publikum findet. Immerhin nähert er sich dem Thema »Alzheimer« mit gebührendem Ernst, ohne dabei positiv stimmende Momente vollkommen auszublenden.
Anders als Honig im Kopf, der von der weithin bekannten Altersdemenz handelt, greift Still Alice, mit dem Richard Glatzer und Wash Westmoreland das Romandebüt der amerikanischen Neurowissenschaftlerin Lisa Genova für die Leinwand adaptierten, eine eher seltene, vererbbare Frühform der Alzheimer-Erkrankung auf. Betroffen ist die fünfzigjährige Sprachwissenschaftlerin Alice Howland (Julianne Moore), die eines Tages seltsame Veränderungen an sich bemerkt und aus Angst vor einem Gehirntumor einen Facharzt konsultiert. Die wirkliche Diagnose trifft ihren Ehemann John (Alec Baldwin) und ihre erwachsenen Kinder Lydia (Kristen Stewart), Anna (Kate Bosworth) und Tom (Hunter Parrish) wie ein Schlag und stellt die Familie auf eine harte Bewährungsprobe. Denn Alices Zustand verschlechtert sich verhältnismäßig schnell.
Bedeutsam ist schon der Umstand, dass es hier ausgerechnet eine angesehene Linguistin trifft. Eine Frau also, die sich immer für Sprache begeistern konnte, Kommunikation mit großer Leidenschaft erforscht und plötzlich erkennen muss, wie ihr Ausdrucksvermögen zunehmend verkümmert. Erfreulicherweise stellt der Film diese etwas formelhaft erscheinende Figurenzeichnung nicht übermäßig aus, sondern lässt sie eher unaufdringlich mitschwingen. Etwa indem sich Alice nach der Diagnose bewusst entscheidet, ihren Beruf so lange wie möglich auszuüben. Sie klammert sich an die Normalität ihres vorherigen Lebens, auch wenn sie weiß, dass ihr schon bald gravierende Veränderungen bevorstehen.
Die Anzeichen für Alices Krankheit nehmen Glatzer und Westmoreland aus nächster Nähe in den Blick, verweigern sich aber einer rührseligen Inszenierung. Von großer Wichtigkeit ist dabei zweifelsohne, dass Julianne Moore die wachsende Unsicherheit und Panik der Protagonistin nie überzogen ausspielt. Ob es die Wortfindungsstörungen bei einem Vortrag vor Kollegen sind oder der plötzliche Orientierungsverlust beim Joggen – stets gelingt es der Hauptdarstellerin, zurückgenommen zu agieren und das Leiden ihrer Figur trotzdem spürbar zu machen. Manchmal fängt der Film typische Krankheitserscheinungen – einen Shampoo-Behälter im Kühlschrank – geradezu beiläufig ein und entwirft so eine rundum alltägliche Darstellung des unaufhaltsamen Verfalls. Transportiert wird all dies in wohltuend unspektakulären Bildern, die der Katalog-Ästhetik von Honig im Kopf diametral entgegenstehen.
Dass der Umgang mit Alzheimer-Patienten keineswegs einfach ist, unterstreichen die unterschiedlichen Haltungen der einzelnen Familienmitglieder. Während das Drehbuch Alices Sohn leider nur wenig Beachtung schenkt, zeichnet es ihren Ehemann als ambivalenten Charakter, der von Alec Baldwin erstaunlich differenziert verkörpert wird. Nach dem ersten Schock kümmert sich John durchaus rührend um seine Frau, steht aber rasch vor der Frage, ob er sein eigenes, vor allem berufliches Leben gänzlich aufgeben will. Anna, die ältere der beiden Töchter, vermeidet es in vielen Situationen, die Krankheit vor ihrer Mutter offen zu thematisieren. Wohl auch deshalb, weil sie selbst positiv getestet wurde und den Gedanken daran noch verdrängen will. Lydia wiederum setzt auf einen ganz direkten Umgang mit den neuen Gegebenheiten. Was nicht verwunderlich ist, da sie auch zuvor ein konfrontatives Verhältnis zu ihrer Mutter pflegte. Schon zu Anfang sehen wir die beiden in einer Diskussion über Lydias bislang wenig erfolgreiche Schauspielkarriere. Ein Aspekt, der Alice keine Ruhe lässt.
Gerade die jüngere Tochter ist es allerdings, die im weiteren Verlauf ihrer Mutter am nächsten kommt und die eigenen Träume und Ziele rückhaltlos aufgibt. Ihre gemeinsamen Gespräche sind nicht nur aufwühlend und ergreifend, sondern vermitteln auch das, was der Roman- bzw. Filmtitel deutlich einfordert: Nämlich, dass man in dem Erkrankten trotz aller Schwierigkeiten noch immer den Menschen zu erkennen versuchen sollte, der er einmal war. So schwer dies auch sein mag, wenn der Betroffene nach und nach seine Sprache, sein Erinnerungsvermögen und damit den Schlüssel zur eigenen Identität verliert.
Betonen muss man sicherlich, dass der Film von einer gut situierten Familie erzählt, die beispielsweise mühelos eine Pflegerin einstellen kann und damit einige Probleme anderer Angehöriger überhaupt nicht kennt. Die schauspielerische Qualität und die sensible Herangehensweise des Regieduos mindert das jedoch in keiner Weise. Weshalb Still Alice uneingeschränkt empfehlenswert ist.
Es war einmal eine perfekte Familie, die lebte ein beschauliches, glückliches Leben in einem großen, schönen Haus mit einem noch größeren Garten und einem prächtigen Blick. Ihre Kinder waren von sonnigem Wesen und wohlgeraten. Der Vater gleichmütig und störte sich nicht daran, dass seine Frau energischer, vernünftiger und selbstbewusster war als er – eine Karrierefrau.
Doch eines Tages, hat sie bei einem Vortrag eine Wortfindungsstörung: Ausgerechnet ihre Sprache
verlässt die Sprachforscherin Alice. Ausgerechnet das Wort »Lexicon« vergisst die Linguistin – ha ha. Und das nächste Wort das sie vergisst, heißt »pariah« – hi hi.
Zunächst fürchtet sie einen Hirntumor, doch nach ein paar Arztbesuchen ist die Diagnose klar: »Ich habe Alzheimer, früh einsetzend. ...Ich sehe die Wörter in der Luft vor mir hängen aber kann sie nicht erreichen und weiß nicht mehr, wer ich bin und was ich als nächstes verliere.«
Nach und nach verliert Alice ihr Gedächtnis, und die sehr großbürgerliche, idealtypische, amerikanische Familienidylle droht Schaden zu nehmen. Eigentlich ist diese perfekte Kinofamilie schrecklich, sie besteht nur aus lauter Perfektionstieren, die perfekt leben wie aus dem Werbekatalog – in der New Yorker Upper West Side, in hellen Räumen; und in einem »Beach House« am Meer, noch sonnendurchfluteter –, perfekt essen – jede Mahlzeit mit frischem Biogemüse, gutem Wein, und zwischen durch dauernd teurer Biojoghurt von einer Marke, die offenbar Sponsor des Films war; und sie haben offenbar Heinzelmännchen oder im Schrank versteckte illegale mexikanische Putzfrauen im Haus, die dafür sorgen, dass nirgends ungewaschenes Geschirr oder benutze Unterhosen herumliegen.
Mit anderen Worten: Diese Leute wären zum Kotzen, wenn sie einem irgendwo über den Weg liefen. Außer Lydia, die jüngste Tochter, die von Kristin Stewart gespielt wird, und die Versagerin der tollen Familie ist – bis Mami krank wird.
Man sollte bitte im Zusammenhang mit Still Alice zwei Worte meiden: Relevanz und Realismus. Natürlich haben inzwischen viele Menschen Alzheimer. Und je älter die Leute werden, um so mehr. Aber Still Alice erzählt einen extremen, völlig unrealistischen Sonderfall. Dass Menschen um die fünfzig an Alzheimer erkranken, ist äußerst selten. Dass die Krankheit auch noch vererbbar ist, ist noch seltener – das peppt nur das Melodram auf, denn damit ist ja die halbe Familie mitbetroffen. Als ob ein Alzheimer nicht ausreicht. Natürlich kommt das vor, ja. Es kommt auch vor, das Menschen vom Blitz erschlagen werden.
Klar: Je jünger, um so schrecklicher ist die Erfahrung, keineswegs am Ende, sondern mitten im Leben das Leben aus den Händen fließen zu sehen.
Keine Frage. Doch Still Alice ist ja kein Dokumentarfilm, sondern ein Melodram, erzählt nach den strengen Regeln des amerikanischen Emotionskinos. Also unbedingt gefühlvoll, mitunter sehr sentimental, und jede Gemütsregung wird noch mit viel Musik unterlegt, damit nur ja kein Zweifel an ihm aufkommen kann.
Auch Großschauspieler sind mit von der Partie: Julianne Moore, die gerade für ihren ohne Frage beeindruckenden und nuancenreichen Auftritt den Schauspiel-Oscar bekam. Kristin Stewart für die Teenies. Und Alec Baldwin. Sie alle haben auf große Gagen verzichtet, denn dies ist keineswegs Hollywood, keine Großproduktion, sondern ökonomisch ein Independent-Film. Aber ästhetisch purer Mainstream.
Und einen Schuss Berechnung muss man ehrlicherweise auch den Schauspielern unterstellen. Denn seit Jahrzehnten wissen wir: Nur mit Leidensstoffen, als Alkoholiker, Magersüchtiger, Krebs- oder anderweitig erkrankter und dann noch bitte ungeschminkt, aber unbedingt sentimental – nur so gewinnt man im Amerika der Gegenwart einen Darsteller-Oscar.
Und genau genommen ist es ein Grund zur Wut, dass eine Darstellerin vom Niveau Julianne Moores erst eine Alzheimer-Kranke in
einem Mainstream-Kitsch spielen muss, um einen Oscar zu gewinnen. Das verrät wenig über die Qualität dieses Auftritts, aber viel über die Abgefucktheit der Filmindustrie und ihre Kriterien.
Trotz all solcher Einwände sind diese Darsteller, sind Baldwin, Stewart und vor allem Moore, die großen Stärken dieses Films. Man möchte gar nicht wissen, wie Still Alice ohne sie wäre.
Was man sieht, sind hier immer wieder Menschen, die irgendwo sitzen und reden, reden, sehr viel reden. Mit anderen Worten: Ein guter Film ist Still Alice nicht. Er ist ziemlich langweilig, tritt bald auf der Stelle. Das verzeiht man ihm nur, weil der Film, ein bisschen ähnlich funktioniert wie ein Gottesdienst am Sonntagmorgen: Vielleicht langweilt man sich, aber die Predigt handelt von Wichtigem und man geht heraus mit dem guten Gefühl, sich wenigstens für höhere Werte, für das Gute gelangweilt zu haben, und ein paar Bonus-Punkte gesammelt zu haben für die spätere Einfahrt ins Paradies.
Dies ist ein Film jener Art, den die Amerikaner »awards-begging« nennen: Um Preise bettelnd, buhlend. Er riskiert nichts. Er macht »nichts falsch«. Darum macht er auch nichts richtig. Er ist freundlich, nett, sauber, beflissen, so wie das Milieu, von dem er erzählt. Er ist butterweich. Wie die Musik von Ilan Eshkeri mit ihren tröpfelndem Pianoklängen und Streichern, die irgendetwas mit Traurigkeit zu tun haben.
Der Film konfektioniert die Krankheit, von der er handelt. Damit ist gar nicht gemeint, dass Still Alice die finalen Phasen der Krankheit und den endgültigen Verfall der Hauptfigur publikumsschonend ausblendet. Dass das Eigentliche und Allerschlimmste, das Herumirren, die Aggression, das Dunkel erst noch kommt, wenn der Film vorbei ist, das kann man sich ganz gut vorstellen. Und umgekehrt möchte man sich nicht vorstellen, wie Großschauspielerin Moore – die, das muss schon gesagt werden, immer ein bisschen zu bedeutend ist in ihren Gesten, und hier, je länger der Film dauert, um so bedeutender leidend herumschlurft – das dann wohl spielen würde: Sabbernd, weinend, mit desorientierten Blicken. Oder Kristin Stewart ihre Tochter, wenn sie der Mutter den Mund wischt. Stewart ist hier, auch das sei gesagt, wieder zwei Klassen schlechter, als in Assayas Die Wolken von Sils Maria, aber immer noch eine Frau, die man kennt aus seinem eigenen Leben, also irgendwie ein realer Mensch, nicht so eine Kunstpuppe wie Moore. Auch Baldwin übrigens: Sein Ehemann ist eigentlich unerträglich, aber ein Mensch. Man kennt solche Typen, ich jedenfalls.
Gemeint ist aber, dass Still Alice so berechnet ist in seiner Rührseligkeit, so autoritär alternativlos in seiner Tränendrüsigkeit. Es gibt hier gar keine Chance anderes zu denken und zu fühlen, als wie vorgegeben. Der Zuschauer ist nicht mehr frei. Das ist das Totalitäre dieses Films und viel zu vieler Hollywoodfilme.
»Stecken Sie Taschentücher ein« stand letzten Sonntag in der FAS. Hm. Johanna Adorjan hat das ja bestimmt gut gemeint, und es gibt Leute, die meinen so einen Satz richtig als Werbung. Für mich ist er eine Drohung. Aber davon abgesehen: Ist es nicht furchtbar, wenn das Gefühl zu einem Film quasi befohlen wird?
Adorjan hat übrigens in ihrer sowieso hochinteressanten, sehr klugen Besprechung, der mit Abstand besten zu diesem Film, die ich gelesen habe, alles gesagt, was Positives zu sagen ist über diesen Film und über Julianne Moore. Dass sie eine Alzheimer-Kranke anders spielt, als ihre Kollegen zuvor, weil sie »nicht die Verwirrung« spielt, »sondern den enormen Kraftaufwand, die physische Energie, die dazu aufgebracht wird, diese Verwirrung zu bekämpfen«, und die die Betroffenen einfach unendlich erschöpft. Und der Blick Moores, das Fragende in den Augen, obwohl sie gerade gar nichts falsch gemacht hat, das aber der Orientierungslosigkeit eines Kindes gleicht, das noch nicht richtig weiß, wie man sich in der Welt der Erwachsenen verhält. Ja, ja, jaaaa – stimmt alles.
Ich finde nur, da fehlt die andere Seite: Das Großschauspielerinnenhafte, Bedeutungsheischende. Ich könnte auch sagen: das Amerikanische, Unsensible. Aber da haben wir vielleicht einfach einen verschiedenen Geschmack, und ich bin unmusikalisch für diese Art von großäugigem 120-prozentigem »Acting«.
Und dann heißt es in dem Text: Die Tochter Lydia (Kristin Stewart) »verliert zwar die Mutter, die sie ihr ganzes Leben lang kannte, dafür ist zwischen ihnen nun eine andere Beziehung möglich. Die Konfliktebene fällt fort – jemandem, der sich nicht mehr erinnert, worüber man am Vortag gestritten hat, kann man ja nicht ernstlich böse sein – und die beiden stehen sich zuletzt näher als je zuvor. Das ist die schönste Aussage dieses Films – dass eine Alzheimerdiagnose nicht
unweigerlich nur Tragisches und Trauriges mit sich bringen muss, sondern dass es auch glückliche Erfahrungen geben kann, die anders womöglich niemals möglich gewesen wären. Zumindest im frühen Stadium.«
Sorry Kollegin, finde ich Schönfärberei, Wunschdenken. So etwas kann man doch nicht schreiben, nicht in dem Zusammenhang jedenfalls. Dabei finde ich Kitsch noch nicht mal schlimm, Selma zum
Beispiel finde ich richtig gut. Aber da gab es keine Onkel-Tom-Idylle, keine Ideologie. Hier schon.
Inhaltlich stellt Still Alice vor allem die Frage: Wie geht man mit so einem Schicksalsschlag wie Alzheimer um? Der Film visualisiert unser aller Angst vor dieser Krankheit.
Er bannt sie auch ein wenig, gerade, indem er sie ausstellt.
Trotzdem muss man fragen: Warum macht man jetzt so einen Film? An welche Regung in uns appelliert dieser Stoff? Denn es gibt ja gerade eine richtige Mode des Alzheimer-Genres, om Dokumentarfilm Vergiss mein nicht bis zu Honig im Kopf.
Da ist natürlich die Tatsache, dass diese Krankheit mehr als andere das bedroht, was wir für das Ur-Menschliche halten, für den Kern unserer Persönlichkeit: Intellekt, Erinnerung, Sprache, personale Identität.
Ich teile da übrigens einfach die Haltung des Films nicht: Es ist eben nicht mehr Alice, wenn die Krankheit irgendwann so weit fortgeschritten ist, dass sie ihre Familie nicht erkennt und nicht einmal merkt, dass sie die Toilette nicht mehr findet. Der Verlust des Hirn- und Gedächtnisfunktionen bringt nicht den eigentlichen Wesenskern zutage – man wird ein lebender Leichnam, ein Zombie – außer in den Augen derer, die einen zuvor kannten.
Alzheimer das ist die Metapher für den sozialen Tod in der Zeit der sozialen Netzwerke, die Metapher für Selbstverlust gegenüber dem nur die Facebook-Chronik noch Kontinuität bietet.
In einer alternden Gesellschaft, mit – übrigens – alterndem Kino-Publikum, werden derartige Stoffe immer wichtiger. Menschen leben länger, und entsprechend häufiger taucht die schreckliche Alterskrankheit auf. Auch wenn da medizinisch klare Unterschiede bestehen, verschwimmen in der Darstellung wie in der Kinopublikumswahrnehmung auch Alzheimer und Demenz.
Das Bildermedium Kino hält viele Mittel bereit, um den Vorgang der Auflösung ebenso wie Momente der
Erkenntnis assoziativ darzustellen. Verblichene Fotos, eine vorgelesene Erzählung oder das kurze Nennen eines vergessenen Namens, verschwommene Kamerabilder und persönliche Erinnerung als grobkörniger Super8-Film-im-Film.
Je länger man über diesen Film nachdenkt, desto schlechter wird er.
Im Kino – wie in der Gesellschaft als Ganzer – dient der Diskurs über Krankheiten immer auch dazu, den Gesunden zu sagen, was sie an ihrem Leben ändern sollen, was sie anders machen müssen. Wie sie mit den Kranken umgehen und sich selber vor der Krankheit schützen können.
So kommt auch in Still Alice dann gegen Ende die »Moral von der Geschicht'«, märchenhaft, aber mit großer Geste, viel Pathos, in einer Rede der Hauptfigur (natürlich vor der Alzheimer Society), die das Publikum, freundlich aber streng, immer für das Gute, aber mahnend, auf Linie bringt.
Es ist die Linie des Hollywood-Mainstream, des glattpolierten Mittelmaßes. Und die Rede zum Publikum einer der schlimmsten Topoi dieses Genres.
Ausgerechnet hier fehlen ihr natürlich nicht die Worte, im Gegenteil. »Ich muss nicht leiden. Ich muss kämpfen. Um an den Dingen teilhaben zu können, und um den Menschen nicht zu verlieren, der ich einst war. So sage ich mir: Lebe den Augenblick. Das ist alles, was ich tun kann – den Augenblick leben.« Carpe diem – prinzipiell eine schöne Einstellung, aber in diesem Zusammenhang auch pure Ideologie. Der klassische Sermon des amerikanischen Individualismus: Kampf und Selbstoptimierung.
Und wenn sie nicht gestorben ist, dann redet sie noch heute.