Starbuck

Kanada 2011 · 109 min. · FSK: ab 12
Regie: Ken Scott
Drehbuch: ,
Kamera: Pierre Gill
Darsteller: Patrick Huard, Julie LeBreton, Antoine Bertrand, Dominic Philie, Marc Bélanger u.a.
Die bizarren Spiegel der eigenen Seele

Die fast verlorene Heimat

Schon allein der Titel Starbuck weckt die irrsten Asso­zia­tionen: reine Poesie, Ahabs Steu­er­mann auf der Jagd nach Moby Dick und so etwas wie Erfüllung im Leben bis zum ganz anderen Starbuck, der idea­lis­ti­schen Kampf­pi­lotin Kara Thrace auf Kampf­stern Galactica, die bei dem Versuch im Leben immer für die richtige Sache zu kämpfen, etwas wichtiges verliert. Dass Regisseur Ken Scott in der kana­di­schen Komödie Starbuck aller­dings auf einen legen­dären Zucht­bullen anspielt, der in den 1980ern und 1990ern durch künst­liche Besamung Hundert­tau­sende Nach­kommen zeugte, tut dabei kaum etwas zur Sache, auch wenn es fast genau die Sache ist, die der Film erzählt.

Nur ist es kein Bulle, sondern der Mensch David Wozniak, der in den frühen 1990ern unter dem Pseudonym Starbuck seinen Samen spendete und ohne sein Wissen 533 Kinder zeugte. Und wie der Bulle hätte wohl auch David nie von seinen Kindern erfahren, wenn nicht 142 seiner 533 Nach­kommen einen Gerichts­pro­zess agestrengt hätten, um die Identität ihres leib­li­chen Vaters einzu­klagen. Davids Leben ist bis dahin in alles andere als ruhige und erfolg­reiche Bahnen verlaufen, er versuchte vor allem, seinen Idealen zu folgen, ohne sie aller­dings tatsäch­lich einzu­lösen. Seine Freundin Valerie ist gerade von ihm schwanger geworden, traut ihm aber alles andere zu als eine Vater­schaft. Die maximale Über­for­de­rung gerät zur thera­peu­ti­schen Selbst­fin­dung. David nimmt Urlaub von seinen proble­ma­ti­schen fami­liären und freund­schaft­li­chen Verhält­nissen und finan­zi­ellen Desastern. Anonym besucht er »seine« Kinder, auf der Suche seiner selbst, den eigenen Möglich­keiten und (gene­ti­schen) Perspek­tiven seines Lebens und findet dabei eine höchst zerris­sene kana­di­sche Gesell­schaft vor, den bizarren Spiegel seiner eigenen Seele.

Scott erzielt gerade in diesem, gesell­schafts­über­grei­fenden und Genre wech­selnden zweiten Teil von Starbuck eine rare, rührende Tiefe, die auch der großar­tigen schau­spie­le­ri­schen Leistung von Patrick Huard als David zu verdanken ist. Immer wieder wagt Scott hier radikale Brüche zwischen Komödie und Tragödie, ohne dabei eine wohltuend spie­le­ri­sche gesell­schafts­ana­ly­ti­sche Perspek­tive zu vernach­läs­sigen. Davids Grenzgang zwischen dem Kind im Mann, Träumen, Karriere, Verein­ze­lung, Sehnsucht nach fami­liärer Bindung und der gleich­zei­tigen Abscheu vor ihr ist auch der Grenzgang der west­li­chen Gesell­schaften.

Starbuck hält eine Lösung für einen erfolg­rei­chen Grenzgang ohne Absturz­ge­fahr bereit. Dies mag auf den ersten Blick naives Flower­power-/Späthippi-/Back-to-the-Roots-Sammel­su­rium sein, ist aber doch mehr: Denn zärtliche Hinwen­dung zu den eigenen Wurzeln heißt noch lange nicht, die eigene Zukunft aus den Augen zu verlieren oder von der Vergan­gen­heit verein­nahmt zu werden. Im Gegenteil, hier wird ein fast verlo­renes Gut erhandelt, mit dem fast alles möglich ist, ob man nun Steu­er­mann auf einem Walfänger oder Kampf­pilot auf einem verlo­renen Kampf­stern ist: die eigene – in einem selbst wurzelnde – Heimat.