USA/GB 2012 · 103 min. · FSK: ab 16 Regie: Sean Baker Drehbuch: Sean Baker, Chris Bergoch Kamera: Radium Cheung Darsteller: Dree Hemingway, Besedka Johnson, Stella Maeve, James Ransone, Karren Karagulian u.a. |
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Egal, kommt Draht rum |
Die 21 jährige Jane (Dree Hemingway) zieht nach Kalifornien und wohnt bei Freunden, die im Porno- und Model-Geschäft tätig sind. Wenn sie nicht mit ihnen Drogen konsumiert, Ego-Shooter spielt oder über deren Kontakte versucht selbst im „Geschäft“ Fuß zu fassen, lässt sie sich durch die Tristesse des San Fernando Valleys treiben und kauft sich auf Nachbarschaftsflohmärkten das Inventar für ihr Zimmer zusammen – ohne rechte Euphorie, ohne echtes Ziel, der einzige „Verantwortungs“-Anker in einer ansonsten völlig amoralischen Welt ist ihr kleiner Chihuahua-Hund „Starlet“. Als sie jedoch in einer Thermoskanne, die sie bei der alten Sadie (Besedka Johnson) kauft, klein gerollte Dollarnoten im Wert eines kleinen Vermögens entdeckt, weitet sich ihr moralisches Spektrum unerwartet aus; sie will wissen, ob Sadie von dem Geld weiß, sie einer alten Frau möglicherweise ihre schwer verdiente Rente genommen hat und entwickelt ebenso unerwartete freundschaftliche Gefühle zu der alten Frau. Diese Gefühle kontrastieren immer deutlicher zu denen, die sie für ihre Freunde empfindet – und ihrem Aufstieg im legendären Umfeld der Porno-Industrie des San Fernando Valleys.
Sean S. Baker nimmt sich bei seiner niemals an Tempo aufnehmenden, sehr stillen, ausschnittartigen Coming-of-Age-Geschichte Starlet viel Zeit, ohne dabei allerdings die Zärtlichkeit für die Charaktere zu entwickeln, wie sie etwas in einer ebenfalls generationsübergreifenden Beziehungsgeschichte wie Hal Ashbys Harold & Maude dominiert, für die Liebe & Lebensfreude tatsächlich noch eine Option ist. Im Kalifornien Bakers ist diese Möglichkeit lange verspielt – die Alten haben die Liebe verloren, für die junge Generation ist sie nicht mehr als ein – wenn richtig eingesetzt – kapitalakkumulierendes Werkzeug. Was bleibt, ist eine sinnentleerte, kommunikative Wüstenlandschaft, die sich nicht nur in einem architektonischen Albtraum, sondern auch in der von Radium Cheung wundervoll fotografierten flirrenden, alle Farben aufsaugenden ewigen Sommerhitze spiegeln. „California Dreamin‘“ ist aus und vorbei.
Diese düstere Bestandsaufnahme funktioniert am überzeugendsten auf der schauspielerischer Ebene und hier vor allem über die alle Schönheit und Jugend überragende Besedka Johnson in ihrer ersten und einzigen Rolle (sie starb am 4. April im Alter von 87 Jahren). Die endlose Leere der übrigen Protagonisten (einschließlich Ernest Hemingways Urenkelin Dree Hemingway) überzeugt hingegen nur in dem grundsätzlichen vermittelten Gefühl absoluter Verlorenheit, die keine Entwicklung mehr erlaubt und damit auch schauspielerisch enge Grenzen zieht.
Diese Grenzen mit allen Einschränkungen gelten auch für den Plot, der – in seinem beschränkten Ansatz nur einen sehr kleinen Teil eines großen Ganzen zeigen zu wollen – am Ende kaum mehr „Geschichte“ übrig hat als einen tiefmoralischen Subtext über die Unmoral einer ganzen Generation. Doch auch das berührt kaum, ist fast beiläufig und egal.
Aber nicht alles geht, ist in Starlet egal. Denn was bleibt, ist die bemerkenswerte Kombination großer Bilder oppressiver Gefühlswelten und einer fast furchteinflößenden Ahnung, was gewesen wäre, wenn Baker so wie der holländische Autor Peter Buwalda in seinem großartig wilden & wuchtigen Romandebüt Bonita Avenue das San Fernando Valley nicht singulär, sondern in einen dichteren Kontext aus Entwicklung, Handlung und Personal eingebettet hätte.
Eine junge Frau wacht auf. Sie ist blond, blass und hübsch. Vielleicht wacht sie auch gar nicht auf, vielleicht träumt sie diesen ganzen Film, der mit diesen Bildern beginnt, und der einem manchmal vorkommen kann wie der Tagtraum eines verträumten Mädchens. Sie heißt Jane und lebt in einem pastellfarbenen Einzelzimmer, und bald versteht man, dass es Teil eines kleinen, typisch amerikanischen Vorort-Bungalows ist. Sie öffnet die Tür und der Lärm kommt hinein, und mit ihm das Leben.
Das Haus liegt irgendwo in den Suburbs von Los Angeles. Und schnell hat man verstanden, dass es den beiden Freundinnen hier nicht sehr gut geht. Sie sind einsam, melancholisch, nehmen Drogen, leben in den Tag hinein. Vor allem haben sie fast kein Geld. Immerhin hat Jane ein Auto, und einen Hund – den Chihuahua Starlet, der dem Film den Titel gibt. Veränderung liegt von Beginn an in der Luft, »Can I change my room?« fragt Jane ihre Freundin, die im Nebenraum auf dem Boden schläft, und als Jane bei einem Flohmarkt ein paar billige Dinge für ihr Zimmer besorgt, ändert sich ihr Leben. Denn in einer alten Thermoskanne, die sie für drei Dollar gekauft hat, findet sie zuhause zehn Bündel mit Hundert-Dollar-Noten – über 10.000 Dollar insgesamt.
Es ist dies, wenn man so will der alte Amerikanische Traum, die optimistische Phantasie, dass sich von einem Tag auf den anderen das Leben ändern kann, dass Amerika nach wie vor das Land der Glücksversprechen und unbegrenzten Möglichkeiten ist.
Es ist dies aber auch ein Wet-Dream des Materialismus: Es ist eben der pure Mammon, das Geld, das das Leben verändert, nichts anderes.
Trotzdem beginnt jetzt erst die eigentliche, sehr anrührende, aber auch sehr konstruierte Geschichte dieses Films: Denn ob ihres plötzlichen Reichtums ist Jane von schlechtem Gewissen geplagt. Sie sucht und findet Sadie, die alte Frau, die ihr die Thermoskanne verkaufte. Offensichtlich weiß sie nichts von dem Geld. Sie lebt allein, ist in Bingo vernarrt, schrullig und einzelgängerisch. Nach anfänglichen Schwierigkeiten freunden sich die beiden an, und es ist früh klar, dass
hier Lebenslügen und Verdrängtes aufgearbeitet werden, Geheimnisse nach und nach gelüftet, und dass beide irgendwann nach Paris fahren werden, wohin sich die verwitwete Sadie so sehr sehnt. Ein Hauch von Harold and Maude jener fröhlichen, naiven, todessehnsüchtigen Komödie von Hal Ashby durchzieht den Film.
Eine zusätzliche Komponente bekommt er vor allem dadurch, dass wir mehr von Jane
erfahren. Sie arbeitet nämlich in der Pornoindustrie, die in Kalifornien boomt, zugleich aber längst allen Glamour und Hauch von Befreiung verloren hat, und zu einem reinen schmutzigen Ausbeutungsgeschäft geworden ist.
So bleibt ein sympathischer stiller US-Independent-Film, dessen poetisch-mehrdeutigen Bildern man die asiatische Herkunft ansieht – Kameramann und Co-Produzent von Starlet stammen nämlich aus China. So ist dies ein driftender Film, von fern auch an Sofia Coppola erinnernd, offen nach allen Seiten, empathisch im Melancholie-Sound und mit Bildern, die in helles Sonnenlicht getränkt sind – ein sachte schwebender Tagtraum über Sehnsüchte, Einsamkeit und Familienersatz, der doch vor allem von der Macht des Geldes handelt.