USA 2001 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: Peter Howitt Drehbuch: Howard Franklin Kamera: John Bailey Darsteller: Ryan Phillippe, Rachael Leigh Cook, Claire Forlani, Tim Robbins u.a. |
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Hinter den Kullissen der Hightech Industrie |
Der Teufel grinst jungenhaft. Dann schiebt er sich eine halbe Packung Pringels in den Mund und läßt die Finger über die Tastatur flitzen. Der Teufel: das ist High-Tech-Mogul Gary Winston (Tim Robbins), und sein Begehr ist nichts geringeres als der Heiligen Gral der Zukunftstechnologie: Mit seinem Satellitenprogramm SYNAPSE will er die totale, respektive intermedial vernetzte Kommunikation erschaffen. Für dieses visionäre Vorhaben rekrutiert er die Besten der Besten: junge, geniale Computerfreaks aus allen Teilen des Landes
Einer von ihnen ist Milo Hofmann (Ryan Phillippe), der mit seinem Freund Teddy gerade ein hoffnungsvolles Startup-Unternehmen gegründet hat. »Human knowledge belongs to the world« ist ihr Credo. Doch als der große Gary Winston ihm ein verlockendes Angebot macht, wirft Milo seine Ideale zunächst über Bord: »In dieser Welt bist Du entweder eine Eins oder eine Null«, sagt Gary – und der junge Computerfreak gedenkt, zur ersten Kategorie zu zählen. Milo läuft zum »Feind« über und ist fortan hofierter Spezialist in Garys luxuriöser Hightechwelt. Doch dann wird Teddy brutal ermordet. Milo beschleicht schon bald ein schrecklicher Verdacht: Hat sein bewunderter Mentor die Hand im Spiel gehabt? Milo beginnt heimlich zu recherchieren. Und schon bald muß er feststellen, daß er bei diesem gefährlichen Katz-und-Maus-Spiel niemand ist, was er scheint...
Die Story erfüllt alle Voraussetzungen für einen kassentauglichen Hightech-Thriller: eine beunruhigende technische Vision, die nah genug an der Wirklichkeit ist. Ein mysteriöser Mord. Ein Kampf David gegen Goliath. Sowie ein Schuß Orwellscher Zukunftsparanoia.
Daß das gängige Strickmuster nicht völlig ins Klischee abrutscht, ist den Charakteren zu verdanken, allen voran Tim Robbins in der Rolle des mephistophelischen Technikgurus: eine vielschichtige Figur
zwischen jungenhafter Begeisterungsfähigkeit und rücksichtslosem Machtmißbrauch. Ein hochintelligenter, charismatischer Mann, dem in seinem selbstgezimmerten Datenkosmos der Sinn für die Realität verlorengegangen ist. »In der Wirklichkeit sterben die Menschen, wenn man sie tötet«, wirft Milo ihm schließlich vor.
Milo steht für all jene, die noch nicht völlig der Magie des Machbaren erlegen sind. Auch wenn er zunächst von Garys bunter Zauberwelt korrumpiert wird: Der junge Datentüftler hat noch ein Leben jenseits des Computers. »Du meinst, Du hast eine Freundin in 3D?« fragt ihn ein neuer Kollege ungläubig – Ein Satz, der ein ganzes Universum an Einsamkeit aufdeckt.
Wenn Milo gegen Gary antritt, muß er dessen eigenen Waffen gegen ihn ausspielen. Doch sein größter Trumpf ist der
menschliche Faktor: Freunde und Fremde außerhalb von Garys schöner, neuer Technikwelt, die ihn unterstützen. Und so zeigt sich wieder einmal: Menschlichkeit siegt. Wenigstens im Film.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen business und belief, für die Amerikaner zumal. Man könnte sogar sagen sie haben ihn erfunden. Gary Winston ist einer von den großen weißen Haien im Geschäft, sein IT-Unternehmen NURV auf dem besten Wege zur Weltherrschaft im Sinne des Kapitalismus. Und der Mann ist ein Derwisch. Wie er so auftritt – vor den Mitarbeitern, den Shareholdern, der Öffentlichkeit, das vermittelt ein gerüttelt Maß an religiöser Ekstase. Ein Einpeitscher ganz in der Tradition der amerikanischen Wanderprediger, wie es sie gab zu Zeiten der frontier (und dass big business ein bisschen wilder Westen ist, das wissen wir eh). »Inspire me!« haut Winston seinen Angestellten immer wieder um die Ohren, ein Unternehmensleitsatz, der allerdings in zunehmendem Maße zur Drohung wird, zum Ultimatum – und zugleich Persilschein. Business ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, folglich ist alles erlaubt.
Tim Robbins ist, zwischen Shawshank Redemption und Arlington Road, bemerkenswert beweglich zwischen den Polen der amerikanischen Psyche: dem unschuldigen Opfer, dem Leidenden als Lichtgestalt und dem Schurken, dem Strippenzieher, dem skrupellosen social climber. Hier nun hat man ihn mit Brille und Toupet dergestalt zusammengerichtet, dass die Ähnlichkeit mit lebenden Personen durchaus beabsichtigt ist. Gary Winston ist Bill Gates, klar. Oder doch beinahe. Ein Monopolist zumindest, einer der in der Computerbranche den Ton angibt und dem dabei jedes, wirklich jedes Mittel recht ist. Die besten Nachwuchskräfte greift er sich direkt aus den Hörsälen ab und lässt sie basteln an einem System, dass sämtliche Kommunikationsmedien zusammenschalten soll, wenn es denn mal ausgereift ist. Das weltumspannende Satellitensystem, das zu diesem Zweck bereit steht, hat freilich etwas martialisches, erinnert an SDI, an Star Wars. Gerade wo der geschäftliche Erfolg Zivilreligion ist wie in den USA. muss auch das Unbehagen ins Unendliche wachsen. Die Geschichten zu diesem Thema sind daher in der Regel eingefärbt von einer kräftigen Paranoia, man denke zum Beispiel an den wunderbaren Spanish Prisoner von David Mamet: somebody is watching you.
Der Feind, gegen den Gary Winston zu kämpfen hat, das ist gar nicht in erster Linie die Konkurrenz. Es sind vielmehr die schlimmsten aller nerds: diejenigen nämlich, die ihre Erkenntnisse kostenlos dem User zur Verfügung stellen wollen. Das Konzept freeware ist praktisch so unanständig wie der Kommunismus.
Silicon Valley liegt – an amerikanischen Entfernungsverhältnissen gemessen – gleich bei Hollywood. Eine Traumfabrik. Und new frontier dazu. Der business-thriller ist so was wie der illegitime Nachfolger des Western. Es gilt nach wie vor die geographische Komponente. Immer wieder bewegen sich die jungen Männer westwärts, immer wieder gibt es diese langen Autofahrten, die die Kamera zwar distanziert aber beharrlich verfolgt, hier in Antitrust oder auch, das ist schon ein paar Jahre her, in The Firm.
Die Helden und die Schurken haben sich gewandelt, ihre Beziehung zueinander. Clint Eastwood ist nicht mehr von dieser Welt, hat sich als Space Cowboys jetzt verabschiedet ins All. Am trefflichsten definiert hat die schöne neue Westen-Welt vielleicht Sam Raimi in seinem The Quick and the Dead. Wenn man da den Blick einmal losreißt von der zweifellos atemberaubenden Sharon Stone stößt man auf das eigentliche Paar dieses Films, den fiesen Sheriff und den jugendlichen Revolverhelden, Vater und Sohn, Gene Hackman und Leo DiCaprio. Die Vater-Sohn-Beziehung ist – ob ganz praktisch oder rein metaphorisch – natürlich auch ein Lieblingsthema des Genres und bei Raimi geht es so aus, wie’s laut (nicht nur) amerikanischer Mythologie eigentlich nicht enden sollte: der Vater knallt den Sohn einfach ab. Rien ne va plus. Nichts geht mehr. Game over.
Hackman war ja bereits Vaterersatz für den jungen Tom Cruise in The Firm, wir alle erinnern uns an das Wall Street-Traumpaar Michael Douglas und Charlie Sheen, denken vielleicht auch mal an Giovanni Ribisi wie er in The Boiler Room Erfolg haben wollte, um die Anerkennung seines Vaters zu erringen. Und auch zwischen Gary Winston und seinem Protege Milo Hoffman gibt es Vergleichbares zu beobachten. Diese jungen Helden sind unschuldig und naiv, sie träumen den amerikanischen Traum vor sich hin und argwöhnen nichts Böses. Sind niedlich anzusehen dabei, ein bisschen babyfaced alle noch und man merkt: sie haben noch viel zu lernen. Es gibt, scheint es, nur mehr Illusion und Desillusionierung, keine Grauzone mehr. Im business-Western ist nichts mehr einzurenken. Gary Cooper hat die Stadt endgültig verlassen, hat sich Grace Kelly über die Schulter geschmissen und damit auch die letzte anständige Frau entführt. Nix ist mehr mit stand by your man.
Ryan Phillippe ist Robbins Gegenspieler Milo Hoffman, ein computer wizard, Frischfleisch direkt aus der Uni. Phillippe ist ja immer etwas farblos, etwas lethargisch, von dieser ecken- und kantenlosen Schönheit, die ziemlich bald zum Gähnen reizt, aber hier ist das durchaus nicht schlecht. Jetzt ist den Helden gar der Idealismus abhanden gekommen, der Ehrgeiz, der Biss, die Leidenschaft. Ideale sind Schnee von gestern, wenn es etwas zu verteidigen gilt, dann nur noch das nackte Leben. Allein die blanke Angst vermag Milo kurzzeitig aufzurütteln. Dann sitzt er am gedeckten Tisch, während seine zwielichtige Freundin noch auf sich warten lässt, und ritzt sich mit der Gabel den Unterarm auf, reibt sich hektisch die von ihr zubereitet Soße in die Wunden. Milo hat eine lebensgefährliche Sesamallergie, kleinste Mengen lassen ihn nach kurzer Zeit ins Koma fallen. Jetzt gibt es Anzeichen für eine große Verschwörung, den Verdacht, dass die Freundin ihn vergiften soll.
Die Angst vor dem bug, davor, dass etwas ins System eindringen, es vergiften, lahm legen könnte: dahinter steht freilich die Annahme, dass das System an sich, wenn schon nicht gut, dann doch zumindest neutral veranlagt ist. Dass der Schütze tötet, nicht das Schiesseisen. Einer der spannendsten Aspekte des viel geschmähten sogenannten Hollywood-Mainstreamkino ist von jeher seine Unbestechlichkeit. So ist das wirklich Aufregende an Antitrust eben diese Oberflächenspannung. Diese Reibung zwischen dem, was der Film sich und uns weiß machen will und dem Unbehagen, dass immer wieder diese beruhigende Oberfläche durchbricht.
Regisseur Peter Howitt hatte seinen größten Erfolg mit Sliding Doors, ein Publikumsrenner in England. Gwynneth Paltrow hat da eine Art »parallel universe«-Erlebnis, man könnte auch sagen einen unbewussten Anfall von Schizophrenie. Der Film wurde gerne als heitere Komödie genommen, ist aber eigentlich verdammt fatalistisch. Egal was du tust, es läuft aufs Gleiche raus und alles endet sowieso mit dem Tod...
Hollywood hat sich von Anfang an entschieden dazu, die Probleme der Welt, die Fehler im System zu personalisieren. Das ist freilich eine wunderbare troubleshooting-Stategie, und Howitt macht das in den ersten Minuten des Films auf so penetrante Weise deutlich, dass es wirklich keiner übersehen kann. »NURV is a living organism« sagt Gary Winston da über seine Firma, »it multiplies«. Doppelt und dreifach sehen wir aber nur Gary selbst. Der Mann ist das System, suggeriert uns das, der Mann ist die Firma und wenn was nicht koscher läuft, liegt’s an ihm. Wenn Winston verhaftet wird am Ende müsste eigentlich alles wieder im Lot sein, der Weg frei für die anständigen Bürger. Aber da traut sich Howitt, da traut sich der Film selbst nicht über den Weg und das ist gut so.
»I see myself in you« sagt Winston einmal zu Milo, auch eine Verdoppelung, und am Ende wird man das Gefühl nicht los, dass es mit Milo, der jetzt Ruhm geleckt hat und mit seinen Kumpels vor der Garage posiert, in der ihr start-up-Unternehmen sich installiert hat, noch ein böses Ende nehmen wird. Vielleicht liegt der Fehler ja doch im System. Oder vielleicht hatte Bill Gates eben doch recht und dann wäre am Ende alles noch viel, viel schlimmer: it’s not a failure, it’s a feature...