Spanien/F 2023 · 33 min. · FSK: ab 12 Regie: Pedro Almodóvar Drehbuch: Pedro Almodóvar Kamera: José Luis Alcaine Darsteller: Ethan Hawke, Pedro Pascal, Pedro Casablanc, Manu Ríos, George Steane u.a. |
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Perfekt durchkomponiert | ||
(Foto: Studiocanal) |
Ein Mann auf einem Pferd reitet durch eine felsig-karge Westernlandschaft, mit New Mexico-Anmutung, dann Pferdehufe in Großaufnahme, dann der Reiter in grüner Jacke halbnah von vorne, und er reitet in die Westernstadt ein, wo ein Cowboy singend auf der Veranda sitzt. Klassische Genre-Einstellungen. Das Lied, das zur Gitarrenbegleitung erklingt, ist aber nicht das vom Tod, sondern ein berühmter portugiesischer Fado, »Estranha forma de vida«, in der Interpretation durch Caetano Veloso. Und der handelt von der Einsamkeit der nicht gelebten Liebe, handelt von »unabhängigen Herzen«. Die sehr hohe Tonlage, in der Veloso singt, lässt an eine Frauenstimme denken, was erst mal nicht zu dem Cowboy im schwarzen Hut passt, zu dessen Lippenbewegungen der Gesang montiert wird. Der Schein trügt, oder doch nicht? Sind die Gesichtszüge des Cowboys nicht zarter, femininer? Almodóvar wahrt die äußere Form des Westerns auf geradezu obsessive Weise, aber er verschiebt die inhaltlichen Akzente sehr entschieden.
Der Reiter in der auffällig grünen Jacke ist Silva (Pedro Pascal), der gekommen ist, um Jake (Ethan Hawks), den Sheriff des Städtchens aufzusuchen. Die beiden kennen sich von früher, 25 Jahre ist es her, dass sie sich begegnet sind und als »hired guns«, als Killer also, unterwegs waren. Silva ist dann zum Essen bei Jake, staunt darüber, dass der kochen kann. Sie trinken, sprechen von den zwei Monaten, die sie zusammen verbracht haben, den zwei Monaten des Wahnsinns, wie Jake sagt.
Dann gehen sie zusammen ins Bett. Almodóvar setzt hier einen diskreten Schnitt mit Abblende, der Blick des Begehrens von Jake auf Silva sagt schon alles. Viel interessanter ist auch der Morgen danach. Eine großartige Abschiedsszene entspinnt sich, mit dem klassischen Konflikt aus den hohen Liebestragödien. Jake muss seines Amtes als Sheriff walten, Joe, der Sohn von Silva, soll die Frau des Bruders von Jake getötet haben…
Fragen der Familienloyalität, Fragen der männlichen Ehre und der gegebenen Versprechen: Sind sie nur vorgeschoben, weil Jake es nicht wagt, zu seiner Liebe zu stehen?
Almodóvar lässt die schicksalhafte Konstellation dann auch in einen Showdown und einen Shootout münden, mit einem »clear shot straight through the waist«, den man auch als sexuellen Akt lesen kann. Ob der Traum von den zwei Männern auf der Ranch, den Silva seit ihrer leidenschaftlichen Affäre hegte und den Jake damals von sich wies, auf einem schmerzvollen Umweg doch noch in Erfüllung gehen wird?
Almodóvar bedient sich mit großem Genuss aller verfügbaren und wohlvertrauten Motive aus dem Repertoire des Western-Genres. Es ist ein geradezu klassischer Stilgestus, den er hier auskostet, keine Ironie, keine Parodie, alles wird mit einem hohen und tiefen Ernst aufgegriffen. Männer, die durch die Landschaft reiten, allein, einander verfolgend, einander suchend, die Spuren der Pferde im Sand, das Lagerfeuer, an dem sie nachts sitzen, jeder für sich an seinem Feuer, und doch die Erinnerung teilend an die gemeinsame Zeit der Leidenschaft, die als Rückblende gezeigt wird.
Jede Geste in der melodramatischen Konstellation eines Männerpaares zwischen Sex und Liebe ist enorm aufgeladen. Ethan Hawke und Pedro Pascal spielen mit den auf den Punkt gesetzten Dialogen ihren Konflikt in einer souveränen Performance aus, als wären sie Helden aus den großen Tragödien der französischen Klassik eines Racine oder Corneille.
Gedreht wurde nördlich von Almería in Spanien, in der Wüste von Tabernas, wo es so aussieht wie in Nevada, Arizona oder New Mexico und wo Sergio Leone einige seiner Italowestern drehte.
Die ikonischen Bilder des Westerns sind Produkte eines Imaginären. Das zeigt Almodóvar, indem er in den Innenräumen von Jake und Silva Reproduktionen von bekannten Gemälden platziert. Die surrealistischen Fieberträume von Landschaften aus New Mexico, die Georgia O’Keeffe (1887-1986) gemalt hat, hängen auf der Ranch Silvas an den Wänden, in Jakes Schlafzimmer finden wir die cartoonhaft reduzierten Westernlandschaften und Genreszenen des großartigen Maynard Dixon (1875-1946), der mit klaren Linien und bunten Farbflächen neue Sachlichkeit und magischen Realismus vereint. Die eigenartig grüne Jacke Silvas könnte diesen Bildern entsprungen sein.
Die ganze Zeit spürt man einen Unterton aus Johnny Guitar mitschwingen, dem großen melodramatischen Western von Nicholas Ray, dem Almodóvar schon in seinem Film Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs auf unnachahmliche Weise die Reverenz erwies.
Strange Way of Life ist mehr als eine meisterhafte Stilübung: Liebe zum Genre, viel Bewusstsein für die Filmgeschichte, aber auch eine echte Herzensangelegenheit. Almodóvar konnte immer schon geliehenes Zitat und aufrichtiges Gefühl zur Deckung bringen.
Strange Way of Life bildet zusammen mit The Human Voice aus dem Jahr 2020 das Programm der »Almodóvar Shorts«: zwei jeweils halbstündige Miniaturen, die wohl eine neue Phase im Werk des großen spanischen Autorenfilmers einleiten, die Phase seiner englischsprachigen Filme. In dem ebenfalls englisch gedrehten The Human Voice kommt Tilda Swinton zum Einsatz. Das Skript basiert auf dem Einakter gleichen Titels von Jean Cocteau, den Almodóvar in seinem Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs schon als Inspirationsquelle nutzte. Tilda Swinton wird zusammen mit Julianne Moore in Almodóvars neuem Langfilmprojekt spielen, dem ersten in englischer Sprache, The Room Next Door. Die Dreharbeiten in New York sollen schon begonnen haben.