Italien/F 2015 · 135 min. · FSK: ab 16 Regie: Stefano Sollima Drehbuch: Sandro Petraglia, Stefano Rulli, Giancarlo De Cataldo, Carlo Bonini Kamera: Paolo Carnera Darsteller: Pierfrancesco Favino, Jean-Hugues Anglade, Greta Scarano, Elio Germano, Giulia Elettra Gorietti u.a. |
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Nihilistischer Realismus & opernhafte Opulenz |
Im Jahre 2008 erweckte der italienische Mafiafilm Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra großes internationales Aufsehen. Zum Einen lag dies sicherlich daran, dass der Film auf dem gleichnamigen Tatsachenroman von Roberto Saviano basiert. Und der lebt, seitdem er nach der Veröffentlichung des Buches mehrere Todesdrohungen von der Camorra erhalten hatte, unter Polizeischutz. Aber auch unabhängig von diesen bitteren Ereignissen, überzeugte der Film durch seinen harten, ungeschönten Realismus und seine dreckige Darstellung der von der Mafia durchsetzten italienischen Gesellschaft.
2014 wurde die erste Staffel der auf dem Roman aufbauenden italienischen Fernsehserie „Gomorrha“ ausgestrahlt. Letztes Jahr folgte bereits eine zweite Staffel. Regisseur der viel gelobten Serie ist Stefano Sollima. Er ist der Sohn des 2015 verstorbenen italienischen Regisseurs Sergio Sollima, welcher zu den Hochzeiten des italienischen Genrekinos Filme wie den nihilistischen Thriller BRUTALE STADT (1970) gedreht hatte.
Auch Stefano Sollimas neuer Film Suburra ist die Verfilmung einer gleichnamigen Literaturvorlage. In diesem Fall stammt das Buch von dem Journalisten Carlo Bonini und den Krimis schreibenden römischen Richter Giancarlo De Cataldo. Das Duo war ebenfalls am Drehbuch zu Sollimas Film beteiligt. Im Gegensatz zu Gomorrha ist die Handlung nur sehr lose von realen Ereignissen inspiriert. Trotzdem erweckt auch Suburra den starken Eindruck, dass der Film einen tiefen Einblick in reale italienische Verhältnisse gewährt. Und was dabei aufscheint, ist extrem bitter und erschreckend.
Suburra porträtiert die ewige Stadt Rom als einen durch und durch verkommenen Sündenpfuhl, in dem selbst der Papst genügend Dreck am Stecken hat, um seinen baldigen Rücktritt in die Wege zu leiten. Dabei ist der heilige Vater fast nur eine Nebenfigur in einem komplexen Geflecht aus Abhängigkeiten, in dem eine herrschende Klasse aus beinharten Egoisten in wechselseitigen Gefälligkeiten miteinander verbunden ist. Dieses schwer durchschaubare Machtgewebe ist extrem fragil und kann schon durch scheinbar unbedeutende Ereignisse ernsthaft gefährdet werden.
Der Schmetterlingsschlag, der schließlich einen wahrhaft infernalischen Orkan auslöst, ist der versehentliche Tod einer minderjährigen Prostituierten bei einer kleinen privaten Sex-und-Drogen-Orgie des Politikers Filippo Malgradi (Pierfranesco Favino). Bei dem Versuch, die Spuren des peinlichen Malheurs möglichst schnell und unauffällig zu beseitigen, kommt Eines zum Anderen. Und ehe Malgradi dies überhaupt realisiert hat, ist bereits eine Lawine losgetreten, die ganz Rom in seinen Fundamenten zu erschüttern droht.
Aber noch bevor es zu dem verhängnisvollen Vorfall kommen soll, weist die Einblendung: »5. November 2011. Noch sieben Tage bis zur Apokalypse.« darauf hin, dass Suburra eine siebentägige Abwärtsspirale zeigt, die in einen ganz großen Knall münden wird. Zu dem wenig sympathischen Figureninventar, das der Zuschauer auf dem Weg in die Katastrophe begleitet, gehören der von Minderwertigkeitskomplexen gebeutelte junge Mafioso Aureliano (Allessandro Borghi), der windige Party-Organisator Sebastiano (Elio Germano) der skrupellose Zigeunerclan-Boss Anacleti (Adamo Dionisi) und der scheinbar über allem stehende Pate, den alle nur den „Samurai“ (Claudio Amendola) nennen.
Die Idee der unheilvollen Einblendung deutet zudem auf ein inszenatorisches Grundprinzip von Suburra hin: Obwohl es einige Zeit dauern wird, bevor im Film Tod und Chaos sichtbar die Kontrolle über das Schicksal zahlreicher Protagonisten übernehmen werden, so ist doch das über ihnen alle schwebende Damoklesschwert von Anbeginn an in all seiner unheilvollen Präsenz nur zu deutlich spürbar. Es gibt in Suburra einige Szenen sehr harter und extrem unangenehmer Gewalt. Aber was diesen hervorragenden Film weitaus stärker charakterisiert, das ist die enorme Virtuosität, mit der Stefano Sollima gerade die zahlreichen ruhigen Szenen des Films mit einer extremen Spannung auflädt.
Dies beginnt bereits mit der allerersten Szene. Diese wirft im Prinzip nur einen flüchtigen Blick auf den Papst bei seinen täglichen Verrichtungen. Aber so, wie der Papst sich vom Zuschauer abwendet und wie diese Szene mit einem lauten und stark expressiven Elektroscore unterlegt ist, wittert der Zuschauer ein drohendes Unheil, das jederzeit zu Toten führen kann. Als es dann wenig später tatsächlich die erste Tote gibt, da wirkt dies fast, wie eine Randnotiz. Denn da wissen wir längst, dass so etwas zu erwarten war.
Die vielleicht stärkste dieser unglaublichen, ruhigen Szenen, die mit einer kaum erträglichen Spannung aufgeladen sind, zeigt einen Mann, der nachts in seinem Apartment am Fenster steht, während draußen im Dunkel verschiedene Lichter vorbeiziehen. Er ist dort mit seiner Freundin und in einem anderen Film könnte genau diese Szene einen Moment großer Intimität und Romantik darstellen. Nicht so jedoch in Suburra: Hier wartet der Zuschauer nägelkauend darauf, dass dem Mann am Fenster in jedem Augenblick durch das Glas hindurch der Kopf weggeschossen wird.
Wenig später folgt eine der wenigen echten Actionszenen des Films. Auch sie besticht durch ihre hohe inszenatorische Dichte. An einer Stelle, an der weniger begabte Filmemacher gewöhnlich auf maximale Rasanz und auf unkontrollierte Schnittgewitter setzten, zeigt Sollima auf extrem kontrollierte und präzise Weise, wie die Ereignisse mit gnadenloser Konsequenz und ohne jedwede Rücksicht auf mögliche Kollateralschäden, wie eine Dampfwalze über die Protagonisten hinweg rollen.
In Suburra verbindet Sollima den gnadenlosen nihilistischen Realismus von Matteo Garrones in Neapel spielendem Mafiaepos Gomorra mit der opernhaften Opulenz von Paolo Sorrentinos zynischen Blick auf die Römer High Society in La grande bellezza zu einem gefährlichen Amalgam, das gleichermaßen faszinierend, wie erschreckend ist. Muss da noch gesondert darauf hingewiesen werden, dass dieses Jahr eine von Stefano Sollima gedrehte 10-teilige Fernsehserie zum SUBURRA in Italien ausgestrahlt wird?