USA 2016 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: Clint Eastwood Drehbuch: Todd Komarnicki Kamera: Tom Stern Darsteller: Tom Hanks, Aaron Eckhart, Laura Linney, Anna Gunn, Autumn Reeser u.a. |
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Mit wehender Fahne am Heldenplatz |
Es ist eines jener Bilder, die einmal gesehen, für immer im Gedächtnis bleiben: Ein Airbus, der mitten im Hudson-River vor Manhattan schwimmt, nachdem der Pilot wegen Totalausfalls der Triebwerke notwassern musste. Innerhalb von wenigen Stunden wurde der Kapitän, Chesley »Sully« Sullenberger, einer der berühmtesten Piloten der Welt nach Charles Lindbergh. Doch was geschah danach? Clint Eastwood erzählt jetzt diese Geschichte, erzählt von Zweifeln und Rechtfertigungen, und den Untersuchungen des Unglücks, denen sich der mutige Pilot ausgesetzt sah. Eine Beleidigung des Helden? Sully ist ein sehr menschlicher, aber auch ein sehr klassischer Hollywood-Film geworden.
»Mayday Mayday!!« – ein Flugzeug fliegt zwischen den Wolkenkratzern von Manhattan, stürzt ab zwischen den Häuserschluchten New Yorks, kracht in einem Feuerball in eines der Hochhäuser. Ein Albtraum nur, aber im Kino ans kollektive 9/11-Gedächtnis rührend, ein Albtraum der Hauptfigur, dem das, was er kurz davor durchlebt hat, erst jetzt ins Bewusstsein fährt.
Dann sieht man den älteren Mann mit dem silbrigen Haar und dem schmucken Schnurrbart joggen. Am Hudson-River, den die Kamera in prächtige warme Abendrotfarben taucht. Sully ist zuerst einmal ein schöner Film, ein Film mit klassischen Tugenden des musikalisch-beiläufigen Erzählens.
»Mayday Mayday!!« So ging es los, mit einem Notruf. An einem eiskalten Morgen im Januar 2009 landete ein vollbesetzter Airbus im New Yorker Hudson River. Nur Sekunden nach dem Start war das Flugzeug frontal in einen Vogelschwarm gerast, und auf einen Schlag fielen beide Triebwerke aus, nur wenige hundert Meter über dem Boden. Binnen Sekunden musste der Pilot entscheiden, ob er die riskante Rückkehr zum Airport versuchen wollte, oder welche anderen Möglichkeiten es gab, die Maschine und vor allem ihre Insassen wieder sicher zur Erde zurück zu bringen.
Dies ist die wahre Geschichte von Captain Chesley Sullenberger. Er war der Held vom Hudson River, derjenige, der die Maschine trotz niedriger Höhe und geringem Schub so sanft auf dem Flussbett landete, dass sie sich nicht überschlug, nicht zerbrach, nicht unterging, und dass alle 155 Insassen quasi unverletzt überlebten. Eine fliegerische Meisterleistung. Aber auch unheimlich viel Glück. »No one warned us. No one said you are going to lose both engines at an lower altitude, than any jet in history. This was duel engine loss, at 280 feet followed by immediate water-landing with 155 souls on board. No one has ever trained for an incident like that.«
Clint Eastwood, der amerikanische Schauspiel-Regisseur, der als Italo-Western-Held und blutiger »Dirty Harry« seine Karriere begonnen hatte und jetzt mitunter in die Pose eines weisen Nestor der Hollywood-Filmindustrie verfällt, der mit 86 Jahren – 86! noch immer im Geschäft ist: Dieser Regisseur ist, neben allem anderen, und trotz vielem, was gegen ihn und seine Filme zu sagen ist, ein Beispiel, das Hoffnung macht. Dass einer in diesem Alter noch zu so einer Leistung in der Lage ist, nötigt Respekt ab – mit 86 also, nahezu alles erlauben kann, dieser Eastwood hat jetzt diese wahre Geschichte verfilmt. So wahr, also so nahe an der Wirklichkeit, wie es das Hollywoodkino und Eastwood selbst, der sich dem klassischen, idealisierenden Stil Hollywoods verpflichtet fühlt, eben zulassen.
Eastwood und sein Hauptdarsteller Tom Hanks zeigen gemeinsam in Sully, wie schwer es ist, ein Held zu sein. Wie man – ob Held oder nicht – mit der Erfahrung einer Katastrophe umgeht.
Das eigentliche Thema des Films ist aber noch etwas anderes: Es geht in Sully vor allem darum, wie die Gesellschaft mit einem Helden umgeht. Genauer: Wie sie ihn kleinmachen will. Wie sie – angeblich – nicht akzeptieren kann, dass einer größer ist als das Mittelmaß.
Clint Eastwood ist ein versierter Handwerker, der wie jeder gute Filmhandwerker vor manipulativen Elementen nicht zurückschreckt. Er ist zugleich auch ein populistischer Filmemacher, einer der sich zum Sprecher von dem macht, was er für vermeintlich »Volkes Stimme« hält.
Denn natürlich sympathisieren so ziemlich alle Zuschauer im Kino von der ersten Einstellung an mit dem Piloten, zumal der von Tom Hanks hochsympathisch verkörpert wird, mit weißem Haar und schönen
weißen Schnurrbart. Der in den entscheidenden Sekunden nur das gemacht hat, was er für richtig hielt. So gut er konnte. Und dessen eigenes Leben nicht weniger auf dem Spiel stand als das der übrigen Passagiere.
Er kann das auch gut erklären, als die Experten ihn befragen. »There was no time für calculating...« Er beruft sich auf »experience, skills... I eyeballed it«. Die Szenen dieser Untersuchung nehmen breiten Raum in Sully ein, und man beginnt die Anspannung nachzuempfinden, obwohl das Ergebnis doch bekannt ist, obwohl wir wissen, dass am Ende der Pilot als der Held aus der Sache herauskommen wird, der er für die Leute schon immer war. Eastwood nimmt sich viel Zeit, um einen Unterschied zu machen zwischen den »normalen« Leuten und ihrem Empfinden, und den Nachfragen der Experten, die er offenkundig als Helden-Majestätsbeleidigung empfindet. Er zeigt einen Taxifahrer, eine Hotelangestellte, einen Barkeeper. Alle weiß, alle sehr »all American«, alle sprechen davon, dass es eine »Ehre« sei, dass Sully in ihrem Taxi fährt, in ihrem Hotelbett schläft, in ihrer Bar trinkt. Kein Zweifel, er ist ein Held – für das gesunde Volksempfinden. Und dann die Erbsenzähler, dem Volk offenbar entfremdet.
Und dazwischen dann, damit wir auch wirklich alle verstehen, ein kurzer Dialogsatz, der im Kino ein Lacher ist, ein Moment des Einverständnisses, sympathisch, und zugleich sehr sehr billig: »Can you believe, they charge 5 Dollars for a Snickers.«
So ein Film ist das. Ein Komplex, ein Ressentiment von Seiten der Regie ist hier spürbar, und man fragt sich, woher das wohl kommt? Es scheint Clint Eastwood darum zu gehen, dass etwas in dieser Welt grundsätzlich nicht mehr in Ordnung
ist. Angeblich.
So erscheint dieser Film, bei dem es sich auf den ersten Blick um eine Art Reenactment einer »true story« handelt, doch eher eine phantastische Identifikation zu sein, ein Beispiel imaginärer Autobiographie.
Aber andererseits: Warum ist es eigentlich so schlimm, wenn man noch einmal nachfragt, ob ein Pilot wirklich alles richtig gemacht hat, wenn Experten noch einmal ein paar Kontrollen durchführen und eine immerhin Beinahe-Katastrophe noch einmal untersucht wird. Eigentlich ist das gar nicht schlimm. Bei Clint Eastwood aber schon. Experten? Schwätzen nur so daher. Genau! Ingenieure? »They are wrong«, liegen falsch und müssen ja nie selber fliegen. Ach so! Computersimulationen? Dummes Zeug, wo ist da der »menschliche Faktor«? Intuition statt Regeln, Gefühl statt Vernunft, Erfahrung statt Vorschriften – dazu sieht man den jungen Sully in der besten Zeit des weißen amerikanischen Jahrhunderts, den 50er Jahren von Eisenhower und McCarthy, in der Fluglehrer ihren Schülern Sätze sagen wie »Never forget the most important: Fly the airplane.« Und man hört ein paar Bauernregeln à la Eastwood wie: »You make mistakes. Everyone does. Just learn from them.«
Es wird noch ärger: »Wenn er den Regeln gefolgt wäre, wären wir tot«, sagt der Co-Pilot. Is that so? Was lernen wir daraus? Nie den Regeln folgen? Wer entscheidet? Es ist die alte Spannung zwischen Aristotelismus und Platonismus, zwischen dem Handeln nach Prinzipien und nach Augenmass – ersteres kann totalitär werden, letzteres beliebig, letzteres kann darunter leiden, wenn einer nicht mehr richtig sehen kann, ersteres, wenn er die Theorie gegenüber der Praxis für
überlegen hält. Verstand gegen Vernunft. Aber beide Haltungen leiden darunter, dass sie die den Einzelnen verabsolutieren, dass sie sie Wahrheit nicht plural und kommunikativ denken. Nun kann man im Flugzeug, wenn man in Sekundenbruchteilen entscheiden muss, nicht kommunizieren. Man muss eben entscheiden und die Folgen tragen. Aber man sollte vielleicht aus diesem Ausnahmezustand nicht wiederum eine Theorie machen.
Dass er das doch tut, ist das Problem dieses Films. Denn
Eastwoods flammendes Plädoyer gegen das allzu große Vertrauen in Algorithmen und Computersimulationen ist so sympathisch wie schlüssig.
Nur: Den verachteten Computersimulationen setzt Eastwood eine andere Art von Simulation entgegen. Was dieser älteste unter den alten Männern Hollywoods also in seinem perfekten, sehr gelassenen, sehr klassisch-gediegenen Stil vermittelt, ist eine konservative, mitunter sogar reaktionäre Botschaft, getränkt in Feindschaft und Skepsis gegenüber Wissenschaft und Institutionen. Eastwoods sympathische Verteidigung der Urteilskraft, sein Plädoyer für den gesunden Menschenverstand wird in ihrer Konsequenz zur Theorie der Regelmissachtung und gerät plötzlich selbst sehr dogmatisch – eine Verteidigung der Rechthaberei. Das Plädoyer eines alten Mannes, dem die Welt zu kompliziert ist für Komplexitätsreduktion. Verständlich. Aber vielleicht selber unterkomplex.
Tom Hanks allerdings ist toll. Wegen diesem Schauspieler allein kann man diesen Film trotzdem empfehlen.