Deutschland/NL/PL 2019 · 94 min. Regie: Carolina Hellsgård Drehbuch: Carolina Hellsgård Kamera: Wojciech Staron Darsteller: Zita Gaier, Gedion Oduor Wekesa, Sabine Timoteo, Nicolais Borger, Malik Adan u.a. |
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Mit der Maske am Strand | ||
(Foto: Wojciech Staroń NiKo Film) |
Auf den ersten Blick eine Urlaubsidylle. Der Blick aus den Fenster zeigt gleißendes Sonnenlicht und sattes Meeresblau, aber auch die serielle Kastenarchitektur einer typischen Bettenburg an der spanischen Küste.
Eine Mutter macht mit ihren zwei Töchtern Urlaub ganz im Süden von Spanien – die Küste Marokkos kann man an klaren Tagen sehen. Während die Mutter und die ältere Tochter bald dem Charme der Strandcasanovas verfallen, driftet die Jüngere, Claire, zunächst verloren durch die Gegend.
Sie wird die Hauptfigur des Films werden: Ein verlorenes Mädchen, sich selbst überlassen im Moment zwischen Kindsein und Erwachsenwerden.
Sunburned ist der dritte Spielfilm von Carolina Hellsgård. Die seit 20 Jahren in Berlin lebende Schwedin – sie hat an der UdK Filmwissenschaft studiert – erzählt in ihren Filmen von Frauen, die Banken ausrauben, Zombies werden, sich in fremden Welten zurechtfinden müssen. So eine Welt kann auch ein Urlaubsresort sein: Aber Sunburned ist keine normale Urlaubsgeschichte. Hellsgård kombiniert eigene Kindheitserfahrungen mit einem frischen Blick auf scheinbar Bekanntes und erzählt von zwei Parallelwelten: Tourismus und Flucht.
Mit Neugier und großem Einfühlungsvermögen erkundet Hellsgård zum einen die Teenagerwelten zwischen Discos mit bunten Mixgetränken, Performance-Tänzen à la Spring Breakers, und Lügen, Träumen und Langeweile.
Dann lernt das »little girl lost« einen gleichaltigen Strandverkäufer kennen, der es aus Afrika nach Spanien geschafft hat und nun ähnlich verloren wie sie Träume träumt, die sich nicht erfüllen. Beide erkennen sich als seelenverwandte Außenseiter, sie freunden sich an, könnten ein Paar werden, doch am Ende überwiegt die Erfahrung, dass hier zwei Welten sich nicht berühren können und dass, wer der Sonne zu nahe kommt, sich verbrennt.
Tourismus und Flucht. Das sind beides archaische Reisemotive, und doch krasse Gegensätze.
Aber dies ist keine Flüchtlingsgeschichte. Sunburned erzählt von uns und unserem Verhältnis zu den Flüchtigen.
Die Regisseurin vermeidet dabei bequeme politische Schlichtheiten und gefällige moralische Thesen. Amram, der ums Überleben kämpfende Flüchtling, ist weder einer der unser Mitleid herausfordert, noch ist er durchweg sympathisch. Viel mehr wirkt er vor allem rätselhaft.
Hellsgård verzichtet auch sonst auf Klischees, wie Erinnerungsrückblenden an Flucht oder schreckliche Kriegsgräuel, oder auf die inzwischen zu viel gesehenen immergleichen Bilder von im Meer treibenden Flüchtlingsbooten. Sie zeigt diesen Knaben vielmehr als normalen Heranwachsenden.
Statt um Flucht, Leiden und das schlechte Gewissen Europas geht es vielmehr um Macht und Abhängigkeit, um die Grenzen hinter dem plakativen Pathos aller »One World«-Ideen, die in der Realität schnell zur Ideologie werden.
Hellsgård hat eine subtile, unaufdringliche feministische Perspektive: Schon in ihrem Horrorfilm Endzeit sorgte die Regisseurin für Furore, weil sie hier eine Zombie-Apokalypse aus weiblicher Perspektive schildert.
Hier nun geht es auch um das Frau-sein in unserer Welt, es geht darum, wie die Gesellschaft versucht, aus einem jungen selbstbewussten Mädchen ein abgerichtetes Geschöpf zu machen, einen angepassten Menschen, der die Erwartungen erfüllt.
Claire steht für ihre ganze Generation: Gerade durch die ganzen Verlockungen und durch die medialen Welten um sie herum fühlt sie sich überfordert und einsam. Hinzu kommt, dass die Mutter sich nicht erkennbar für sie interessiert, sondern eher selbst unreif, vergnügungssüchtig und egoistisch wirkt.
Sunburned erzählt lakonisch, mit oft beiläufigen Verweisen und ebensolchem beiläufigen Witz, und stellt große Fragen.
Das ist schon mehr, als den meisten gelingt.