USA 2016 · 97 min. · FSK: ab 12 Regie: Dan Kwan, Daniel Scheinert Drehbuch: Dan Kwan, Daniel Scheinert Kamera: Larkin Seiple Darsteller: Paul Dano, Daniel Radcliffe, Mary Elizabeth Winstead, Antonia Ribero u.a. |
||
Voll absurder Poesie |
Swiss Army Man ist derart skurril, dass es ein kleines Wunder ist, dass es diesen Film überhaupt gibt – und dass er tatsächlich funktioniert. Die surreale Tragikomödie beginnt mit dem auf einer einsamen Insel gestrandeten Hank (Paul Dano). Dieser will sich gerade aufhängen, als am Strand eine Leiche (Daniel Radcliffe) angespült wird. Der Tote erweist sich schnell als unverhofft praktisch, als Hank feststellt, dass dessen unablässig ausströmende Verwesungsgase einen duften Jetski-Antrieb ergeben. Also düst Hank auf der furzenden Leiche übers Meer auf zu neuen Ufern. Dort angekommen zeigt sich, dass der von Hank mittlerweile liebevoll Manny getaufte Tote ähnlich vielseitig einsetzbar, wie ein Schweizer Taschenmesser (engl.: „Swiss Army Knife“) ist. Spätestens, als Manny auch noch zu sprechen anfängt, freut sich Hank, in der neuerlichen Einsamkeit eines unergründlichen Waldes wenigstens einen wahren Freund an seiner Seite zu wissen.
Dass Swiss Army Man mit einem Toten als furzenden Jetski beginnt, setzt gleich im mehrfachen Sinn den Ton bzw. die Töne, für das, was den Zuschauer bei diesem Film die restlichen eineinhalb Stunden erwartet. Swiss Army Man ist sehr körperlich und konzentriert sich dabei insbesondere auf all die Körperfunktionen und Ausscheidungen, von denen man ansonsten normalerweise nicht spricht. Was Hank und Manny dabei vom Stapel lassen, ist derart tabubrechend, dass beide sich immer wieder gegenseitig bescheiden, dass der jeweils andere eklig sei. Zugleich stoßen die beiden seltsamen Freunde auf diese Weise immer wieder den Zuschauer – nicht nur vor den Kopf, sondern auch auf Tabus, die einem so selbstverständlich sind, dass man sich gewöhnlich noch nicht einmal Gedanken über deren Existenz macht.
So wundert sich der von unablässigen Blähungen geplagte Manny zunächst, dass Hank anscheinend niemals pupsen muss. Als jener ihm erklärt, dass er dies nur in Hanks Abwesenheit mache, ruft Hank ganz entgeistert: »Wie weit ist es denn gekommen, wenn jemand schon seinem Freund gegenüber seine Furze versteckt? Was mag er dann noch alles vor ihm verstecken?« – Doch was in der Nacherzählung nach übelstem Klamauk und Fäkalhumor klingen mag, entfaltet in Swiss Army Man eine ganz eigene absurde Poesie. Mit dieser steht das Spielfilmdebüt von Dan Kwan und Daniel Scheinert im heutigen Gegenwartskino ziemlich einsam auf weiter Fläche dar.
Sollte man nach näheren geistigen Verwandten suchen, so muss man schon über 30 Jahre zurückgehen in das Jahr 1974, als Luis Buñuels surreale Groteske Das Gespenst der Freiheit in die Kinos kam. Dort verstörte der verquere Spanier das Publikum mit Szenen, wie der einer feinen Tischgesellschaft, die nicht auf Stühlen, sondern auf Kloschüsseln sitzt – und dort ungeniert vor sich hin furzt. Nur einer schleicht sich verstohlen auf ein stilles Örtchen, an dem er in aller Heimlichkeit eine Mahlzeit zu sich nimmt. Erst in dieser absurden Umdrehung der Verhältnisse wird man sich als Zuschauer der eigentlich nicht wesentlich minder absurden Tabuisierung eines Teils der mit der täglichen Nahrungsaufnahme verbundenen Prozesse bewusst. Die Folge ist ein Lachen, aber kein befreiendes, sondern eines, das einem fast im Halse steckenbleibt.
Swiss Army Man erschöpft sich jedoch nicht in einem grotesken Buddy-Movie mit einem furzenden Zombie-Freund, sondern entfaltet darüber hinausgehend einen ganz eigenen märchenhaften Charme. Spätestens als Hank und Manny aus im Wald gefundenen Abfall eine Bus-Kulisse zwecks Reinszenierung einer romantischen Episode zusammenbasteln und Hank dort Mannys vermeintliche Freundin spielt, betritt der Zuschauer gemeinsam mit den Protagonisten ein zauberhaftes Zwischenreich, in dem Wirklichkeit und Wahn zu einer ununterscheidbaren Einheit verschmelzen. In Szenen, wie dieser, erscheint zudem unter der Oberfläche der bis zum Kinn in Exkremente getauchten zombiesken Groteske das wahre Herz des Films: Denn in seinem Kern ist Swiss Army Man eine Studie über Einsamkeit und Freundschaft, über menschliche Beziehungen und die Abgründe, die sich auftun, wo diese nicht im befriedigenden Maße vorhanden sind.
Dass dies so gut gelingt, obwohl der Film den Großteil seiner Spielzeit auf einem haarfeinen Grat balanciert, ist in erster Linie der Verdienst der Schauspielkünste der beiden Protagonisten. Der Hank spielende Paul Dano ist schon länger als ein herausragender Charakterdarsteller mit einem unübersehbaren Hang zu schrägen Rollen (There Will Be Blood, Love & Mercy) bekannt. Dahingegen verbindet man Daniel Radcliffe nach wie vor in erster Linie mit seiner Rolle als Harry Potter. Doch es mindert seine grandiose Leistung als Zombie-Freund Manny keineswegs, dass Radcliffe mit dieser Rolle nach HORNS unübersehbar einen weiteren rabiaten Befreiungsschlag weg von seinem bisherigen harmlosen Kinderdarsteller-Image im Auge hat.
Der einstige „Frodo“ Elijah Wood hatte erst kürzlich vorgemacht, wie gut dies gelingen kann. – Tatsächlich war der einstige Darsteller aus Der Herr der Ringe mit seinem Imagewechsel derart erfolgreich, dass ich den hierfür bezeichnendsten Film gar nicht mehr ohne Weiteres nennen darf. Denn der steht hierzulande in seiner ungekürzten Fassung längst auf dem Index.