Swinger – Die wunderbare Welt des Partnertauschs

Deutschland 2019 · 75 min.
Regie: Stefan Zimmermann
Drehbuch:
Kamera: Martin Geisler
Schnitt: David Fejzuli
Ernüchternde, liebevolle, aber auch gnadenlose Einblicke
(Foto: DOK.fest München 2020 @home.)

Funktionale Spiegel der Seele

»When the hippie era ended and the hangover began, as idealism gives way to disil­lu­si­onment, the hair of the marchers and street-dancers kept getting longer, and soon it began to tangle. Free love dete­rio­rated into loveless promis­cuity...« – Tommy Walker

As with most revo­lu­tions, the coun­ter­cul­ture’s call for total freedom quickly turned into a demand for total control. – Roger Kimball

You may say I’m a dreamer, but I’m not the only one. I hope someday you’ll join us. And the world will live as one. – John Lennon

Mögli­cher­weise wird die Corona-Krise den Höhepunkt unserer restau­ra­tiven Phase einläuten. Gerieten schon in den letzten zehn Jahren die Errun­gen­schaften der 68er zunehmend in die Kritik, dürfte es nun auch der »freien« Sexua­lität zunehmend an die Gurgel gehen. Im Kino haben wir das ja schon die letzten Jahre sehen können – wer kann sich im Main­stream-Kino an die letzte, offene, direkte Sexszene erinnern, um mal ganz auf der Ober­fläche der Gefühle zu bleiben? Gut, es gibt tolle Serien wie SEX EDUCATION oder einen fast schon klas­si­schen Aufklä­rungs­film wie Ziska Riemanns Get Lucky – Sex verändert Alles, die die gute 68er Reform­pä­d­agogik mit Spaß und Witz erneuern, es gibt Aufklä­rungs­bücher auch für alte Menschen wie Ann Marlene Henning »Make More Love«, aber das sind leider nur Tropfen auf den heißen Stein, im Kern. Und sehr wahr­schein­lich wird Corona auch die Szene nach­haltig verändern, die Stefan Zimmer­mann in seiner Doku­men­ta­tion Swinger – Die wunder­bare Welt des Part­ner­tauschs zeigt, der auf dem DOK.fest München 2020 @home seine Welt­pre­miere feiert.

Wer bei Swinger aller­dings an geile, große Clubs denkt (die es ja auch gibt), in denen schöne Menschen schön rammeln (gibt’s auch), wird von Zimmer­manns Doku­men­ta­tion mögli­cher­weise nicht den »Kick« erhalten, den er erwartet. Denn Zimmer­mann zeigt ernüch­ternd, liebevoll, aber auch gnadenlos, wie weit es mit der alten Hippie- und Sponti-Attitüde »Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Esta­b­lish­ment« gekommen ist.

Er zeigt Paare, die vor 50 Jahren Peter Fonda und Dennis Hopper viel­leicht gern noch selbst von ihrem Motorrad geschossen hätten, die aber nun die christ­li­chen Attribute wie Mari­en­bild­nisse oder Jesus-Statuen in ihrem Haushalt einfach kurz in den Schrank schließen, bevor sie sich zu einer kleinen, ganz im Privaten statt­fin­denden Swinger-Verab­re­dung aufmachen. Der Sex, den wir in nach­ge­stellten und nicht porno-taug­li­chen Bildern serviert bekommen, ist dann auch nicht »schön«, sondern besten­falls funk­tional, er ist ein Spiegel der Szene, die sich keine bösen Über­ra­schungen erlauben will. Der Partner sucht in akri­bi­schen Ausle­se­ver­fahren nach fick-taug­li­chen Männern für seine Frau, das heimische Schlaf­zimmer wird ausge­klam­mert, statt­dessen das ehemalige Kinder­zimmer der Tochter für die Treffen mit kusche­liger Bett­wä­sche aufbe­reitet.

Zimmer­mann lässt seine Prot­ago­nisten nur wenig von ihren Hinter­gründen erzählen, stellt sie vielmehr immer wieder in ihren heimi­schen Haus­halten wortlos in Szene. Das erinnert in der ästhe­ti­schen Darstel­lung und der Auswahl der Soziotope an Ulrich Seidls Doku­men­ta­tion Im Keller, aber auch die Darstel­lung und Moti­va­tion des Sexuellen weckt Erin­ne­rungen an Seidl. Denn wie in Seidls Paradies: Liebe sehen wir hier Menschen in ihrem (sexuellen) Leben zu, die mal mehr und mal weniger über­zeu­gend versuchen, die herr­schende Moral, mit der sie sozia­li­siert wurden, zu unter­wan­dern, und sich über immer wieder abstrus wirkende Kompro­misse zumindest in Ansätzen ihre tiefsten Sehn­süchte zu erfüllen, ohne dabei dann doch zuviel zu riskieren oder gar Schiff­bruch zu erleiden.