Synonymes

Frankreich/Israel/D 2018 · 124 min. · FSK: ab 12
Regie: Nadav Lapid
Drehbuch: ,
Kamera: Shai Goldman
Darsteller: Tom Mercier, Quentin Dolmaire, Louise Chevillotte, Jonathan Boudina, Gaël Raes u.a.
Die Vergangenheit bekämpfen

Trauma und Träumer in Paris

Er ist ein Wort­be­ses­sener und ein Getrie­bener. »Die Herzöge, die Herzo­ginnen, die Prinzen, die Prin­zes­sinnen«, memoriert Yoav auf Fran­zö­sisch, während er wie ein Flaneur auf Speed durch die Straßen durchs regen­nasse Paris hetzt. Er ist aus Israel nach Frank­reich gekommen, jetzt will er hier ein neues Leben beginnen. Dazu gehört für ihn unbedingt dazu, Fran­zö­sisch zu sprechen. Gelernt hat er es aus den Dramen und Romanen, wenn er spricht, wirkt das altmo­disch, gestelzt, thea­tra­lisch und unsäglich pathe­tisch. Yoav ist einer, der die Tragik des Lebens in sich trägt. Jetzt, mit dem Wörter­buch in der Hand, macht sich weniger Roman­ti­sches in seinem Wort­schatz breit: »verhasst, widerlich, obszön, vulgär, jämmer­lich, schmutzig, derb«, Adjektive, mit denen er Israel beschreibt. Hebräisch will er aus verschie­denen Gründen, einer ist der Militär­dienst, der gerade hinter ihm liegt, auf keinen Fall mehr sprechen.

Ganz auf der Idee, eins durch das Andere zu vertau­schen – die Wörter, die Nationen, die Kulturen – basiert Synonymes, der auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausge­zeichnet wurde. Sein Regisseur ist der 1975 in Tel Aviv geborene Nadav Lapid, der ähnlich wie sein Prot­ago­nist die Nach­wir­kungen seines Militär­diensts in Paris verar­beitet hat. Er scheint in seinem Film immer wieder direkt in den Körper seines Haupt­dar­stel­lers Tom Mercier zu kriechen, der selbst wiederum das Schicksal seiner Figur teilt und sich Fran­zö­sisch tatsäch­lich in Paris selbst beige­bracht hat. Viele authen­ti­sche Böden also, die sich in dem Film auftun und dessen ener­ge­ti­sche Verve begründen.

Oft ist die Kamera entfes­selt, dicht an der Figur von Yoav und seinem inneren Monolog dran, und zeigt die Tour de Force von einem, der nicht in die Dimen­sionen der vorge­ge­benen Welt passen will. Zu Beginn des Films sieht man Yoav schutzlos und nackt in seiner Wohnung – ein Unbe­kannter hat ihn ausge­raubt. Ein Sinnbild für den embryo­nalen Zustand des Migranten, der am Nullpunkt seiner Existenz ange­kommen ist. Jetzt, wo sowieso alles auf Anfang gesetzt ist, macht sich Yoav auf die Suche nach einer neuen Identität.

Ein junges Paar hilft ihm bei seinem Neustart, gibt ihm abgelegte Hemden und einen sonnen­gelben Winter­mantel. Die Nächs­ten­liebe ist aber nicht unei­gen­nützig. Yoav bekommt es hier mit lasziven Müßig­gän­gern zu tun, die ihn in ein libi­dinöses Dreieck hinein­ziehen wollen. Wie die Figuren aus Bernardo Berto­luccis 68er-Nostalgie-Film The Dreamers hängen sie in einer riesigen Altbau­woh­nung ihren Bohème-Träumen nach, rezi­tieren Gedichte und möchten Romane schreiben. Was ihnen aber aufgrund mangelnder Lebens­er­fah­rung nicht gelingt. Und so gilt ihr größtes Begehren den Geschichten, die vom aufwüh­lenden Leben, der Existenz und der Identität erzählen. Und hier erhält Yoav seinen wichtigen Part. Seine Geschichten wird er als harte Währung einsetzen, um zu überleben.

Nadav Lapid beginnt hier auch auf poli­ti­scher Ebene das Spiel von Vertau­schungen und Erset­zungen, die sein zwie­späl­tiges Verhältnis zu Israel miter­zählen. In Rück­blenden werden immer wieder Yoavs Erin­ne­rungen an den Militär­dienst gezeigt. Für den Hass auf alles, was mit Israel zu tun hat, zieht dieser wiederum den Großvater heran, der, als er nach Israel kam, schnells­tens das Jiddische vergessen wollte. Migration nach und aus Israel wird hier zur histo­risch-poli­ti­schen Kapriole, nicht die einzige, die Lapid in seinem schil­lernden Film schlägt. Denn in Paris gerät Yoav wiederum an einen akti­vis­ti­schen Juden, der durch Provo­ka­tionen der ganz und gar alltäg­li­chen Art – dazu gehört das pene­trante Ansummen der Metro-Fahrgäste – den Anti­se­mi­tismus der Pariser heraus­for­dern will. So wird auch auf poli­ti­scher Ebene eins durch das andere ersetzt, und in einen nicht aufhalt­baren Kreislauf der Vertau­schungen gebracht, bis nichts mehr an seinem Platz ist.

Lapid vermeidet so die vorder­grün­dige, und auch eindeu­tige Aussage. Sein Film zieht viele Bedeu­tungs­ebenen auf, und bis zum Schluss wissen wir nicht wirklich, was Yoav im Inneren antreibt. Sein Zögern, sein Strau­cheln, seine Romantik und auch seine Wut jedoch machen Synonymes zu einem furiosen und ener­gie­ge­la­denen Trip.