Türkei 2009 · 119 min. Regie: Sadullah Sentürk Drehbuch: Cüneyt Aysan, Raci Sasmaz Kamera: Selahattin Sancakli Darsteller: Köksal Engür, Musa Uzunlar, Sezai Aydin u.a. |
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Zwischen »neuem Osmanismus« und westlichen Intrigen: politisches Actionkino |
»There is a crack in everything, that’s were the light comes in.« – Leonard Cohen
Paranoia, genauer gesagt: Ein spezifisch türkisches Bedrohungsszenario stand bereits im Zentrum des türkischen Films Tal der Wölfe – Irak von Serdar Akar, der 2006 auch ins deutsche Kino kam, und unsere westlich-liberale Gesellschaft auf die Probe ihrer eigenen Toleranz stellte, eine Probe, die sie nur notdürftig bestand.
In der seinerzeitigen Debatte über die Frage, ob das fraglos wenig geschmackvolle Spiel mit manch billigen Reflexen noch zu tolerieren sei, ob ein jüdischer Bösewicht nicht bereits Antisemitismus bedeute, und ob man in der Bundesrepublik einen Film verbieten müsse, der statt Proamerikanismus und Anti-Islamismus einmal umgekehrt verfährt, gingen die unter der Oberfläche liegenden Bezüge des Films, sein Funktion als innenpolitischer Kommentar, weitgehend unter. Mit ein bisschen Glück könnte es im Fall von Sadullah Senturks Tal der Wölfe – Gladio (Im Original: Kurtlar vadisi: Gladio) jetzt anders gegen. Denn noch deutlicher als der erste Film ist auch Tal der Wölfe – Gladio – der keine Fortsetzung ist, sondern ein völlig eigenständiges Werk – für Westeuropäer politisch interessant, weil er sie auf verdrängte und ungeliebte Kapitel der eigenen politischen Vergangenheit zurückführt.
Zur Erinnerung: Kurtlar vadisi (Tal der Wölfe) ist eine erfolgreiche türkische Fernsehserie, die seit 2003 in verschiedenen TV-Kanälen ausgestrahlt wird, und auch in Deutschland auf DVD erhältlich ist. Der Film von 2006 ist wie auch der neue Film, ein Kinoableger, der Geschichten von Figuren aus der Serie weiterentwickelte, eigenständig zu verstehen. Im Schauplatz steht der fiktive türkische Geheimdienst KGT (»Kamu Güvenli?i Te?kilat?«), der vor allem die Verstrickung von Politik und Wirtschaft in Verschwörungen gegen den Staat behandelt – vergleichbar etwa der US-Antiterroreinheit CTU in der Serie »24«.
Im Zentrum steht auch hier ein cooler Held und Einzelkämpfer: Polat Alemdar, der eigentlich Ali Candan heißt, und zunächst als Spezial-Agent im Jugoslawien-Krieg arbeitete, dann aber zur Mafia-Bekämpfung angezogen und unter neuer Identität erfolgreich ins organisierte Verbrechen eingeschleust wird.
Von Anfang an besaß die Serie einige politische Brisanz. Hierzu gehört eine sozusagen doppelte politische Ausrichtung: Einerseits enthält Tal Der Wölfe offen regierungskritische Elemente, klagt Korruption und Verbrechen der Machthaber an. Andererseits ist die Serie im Blick auf einige Bereiche der türkischen Politik offen reaktionär: Dies wurde besonders im Jahr 2007 deutlich, als die Fortsetzung der Serie unter dem Titel Kurtlar vadisi – Terör nach der Pilotfolge von der türkischen Medienkontrollbehörde RTÜK abgesetzt wurde. Denn Thema der neuen Staffel sollte der Terrorismus im türkischen Südosten sein – sprich: Im Kurdengebiet. Das war dann offenbar zu provokativ.
Es folgte bald Kurtlar vadisi – Pusu. Hier kämpft Polat Alemdar nun gegen die Verstrickungen einflußreicher Wirtschaftskonzerne mit Terrorismus. Das ist nicht nur brandaktuell, sondern noch auf einer weiteren Ebene hochpolitisch: Denn im Konflikt mit Alemdars einflussreichsten Gegenspieler Iskender Büyük spielt die Serie auch den Konflikt zweier politischer Haltungen durch: Alemdar steht für die neue Türkei der AKP, Büyük repräsentiert dagegen die alte Elite des Kemalismus, seine rechte Ausformung im immer putschbereiten Bündnis von Beamten und Militär. In der Serie geht es auch um die Verstrickung dieser Gruppe mit der Geheimorganisation Ergenekon [http://en.wikipedia.org/wiki/Ergenekon_(organization)]. Im Nachhinein erkennbar wurde, dass das Ende der 63. Folge von Kurtlar Vadisi – Pusu nun ein perfekter Cliffhanger für Tal der Wölfe – Gladio bildete. Denn darin ging es um ein Attentat auf den türkischen Ministerpräsidenten, das knapp vereitelt wird. In der Wirklichkeit stellt den Ministerpräsidenten bekanntlich die moderat islamistische, konservativ-religiöse »Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung« AKP. Verantwortlich für das Attentat ist in der Serie das Bündnis von konservativen Kemalisten und Armee, aber auch der berüchtigte Geheimbund »Gladio«, eine nachweislich von der CIA lancierte und auch in der Türkei als verlängerter Arm der Nato fungierende geheime Organisation, die offenbar in zahlreiche, linken Extremisten in die Schuhe geschobene, Attentate gegen politisch wichtige Personen verstrickt war. »Durch Schweigen bewahre die Freiheit« – so lautete der Wappenspruch dieser Gladiatoren im Antiterrorkampf.
Und hier nun setzt der neue Kinofilm ein: Denn Iskender Büyük, bisher Bösewicht der Serie, wird im Film zu dessen heimlichen Helden. Denn als man dem pensionierten Geheimdienstagenten den Prozess machen will, packt er aus, weil er sich an denen rächen will, die es überhaupt zuließen, dass er nun vor Gericht steht, und legt die Verstrickungen von türkischer Politik, Justiz, offiziell inexistenten türkischen Geheimdiensten (wie dem der Gendarmerie JITEM), US-amerikanischen Einflüssen und Terrorismus offen. Den Hintergrund von all dem bildet jener »tiefe Staat« (»Derin devlet«) von dem in der Türkei seit den 70ern, besonders aber seit dem Militärputsch von 1980 immer wieder die Rede ist. Hierzu gehören auch die vom Staat gestützten Aktivitäten der rechtsextremen »Grauen Wölfe«. Aber noch am 27. Januar 2007 nach dem Mord am Journalisten Hrant Dink erklärte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdo?an im türkischen Fernsehen, dass der »tiefe Staat« eine nicht zu leugnende Realität sei.
Am Ende steht keineswegs überraschend ein neuer Dreh der Verschwörung, die diese keineswegs aufklärt, sondern in ihren Elementen nur kaleidoskopartig neu gruppiert. So entfaltet dieser Film eine Atmosphäre allgegenwärtigen Verrats und ein Netzwerk parallel laufender persönlicher Fehden. Filmisch ist Tal der Wölfe – Gladio ein rasant gestrickter, hektisch und wie zu erwarten nicht gerade subtil in Szene gesetzter Actionreißer.
Den aktuell politischen Hintergrund bildet dabei die türkische Außenpolitik, die zur Zeit mehr zwischen West und Ost, zwischen der EU-Kandidatur und der sich in Türkenangst aus eigener Schwäche zierenden Union und der Entwicklung potentieller Alternativen in türkischen Think-Tanks sich abspielt, die dann unter dem Begriff des »Neo-Osmanismus« daherkommt. Dieser Ausdruck, ein zwar aus der Türkei stammender Begriff, der aber vor allem von der Türkei eher wenig wohl gewogenen Ausländern gern benutzt wird, ist zumindest ungeschickt gewählt, da er sich von Gegnern allzu einfach instrumentalisieren lässt. Er trifft die Sache aber auch kaum: Denn seit der langjährige außenpolitische Chefstratege Ahmet Davutoglu seit diesem Jahr als Außenminister amtiert, geht es vor allem darum, die in Sonntagsreden immer gern beschworene Brückenfunktion der Türkei zwischen Orient und Okzident ein wenig systematischer in die Praxis umzusetzen. Davutoglu spricht von »multidimensionaler« Außenpolitik. Genau dies wird in Tal Der Wölfe – Gladio reflektiert. Immerhin gelang es der Türkei als einem der wenigen Länder der Region, sich dem »Krieg gegen den Terror« und Bushs Losung »Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns«, zu entziehen. Andererseits scheint Iskender Büyük, der zum sonderbaren Helden des Films wird, ein Neo-Osmane zu sein: Die Türken als »Schläfer« der Muslime – davon ist zumindest einmal die Rede.
Mit solchen Zweideutigkeiten bedient auch dieser Film alle Reflexe einer westlichen Gesellschaft, die in der Türkei gern einen autoritären, gewaltbereiten, und krypto-imperialen Staat sehen und sie entsprechend ausgrenzen wollen. Aber der Film ist auch selbst schuld: Denn Tal der Wölfe – Gladio bastelt allzu grob an türkischen Mythen und Rachegedanken. Politik erscheint als großes Abenteuer und Ränkespiel, letztlich sehr einfach und sehr persönlich, nie institutionell, nie ausdifferenziert: Weiß gegen Schwarz. Wie im Karl-May-Roman werden Abenteuerspannung und Heimatkitsch miteinander über männerbündisches Einverständnis vermittelt, in dem die heimatlosen Helden sich im Zweifel als Opfer in einer auseinanderfallenden Welt darstellen, und Trost im rückwärtsgewandten Klischee finden. Der Film ist Billigfutter für die jungen türkischen Männer und AKP-Wähler aus der ungebildeten Masse, direkt aus dem Mythenfleischwolf, angereichert mit Verschwörungstheorien. Strukturell wie die meisten Filme aus Hollywood, nur die Füllmasse ist eine andere, und sie wird manchem deutschen Zuschauer im Hals stecken bleiben.