Deutschland 2020 · 110 min. · FSK: ab 16 Regie: Lena Knauss Drehbuch: Lena Knauss Kamera: Eva Katharina Bühler Darsteller: Thomas Niehaus, Sarah Hostettler, Aenne Schwarz, Godehard Giese, Ines Marie Westernströer u.a. |
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Langsame Erdung | ||
(Foto: Farbfilm) |
»Tagundnachtgleiche« ist der Name eines Varietés, in dem die Künstlerin Paula (Aenne Schwarz) auftritt. Von ihr ist der 30-jährige Alexander (Thomas Niehaus) fasziniert. Nach dem Auftritt begleitet er Paula zunächst zu einer Party und landet anschließend mit ihr im Bett. Am nächsten Morgen schickt Paula Alexander weg. Sie werden sich nie wieder sehen. Denn kurz darauf stirbt Paula bei einem Autounfall. An ihrem Grab lernt Alexander Paulas ältere Schwester Marlene (Sarah Hostettler) kennen. In ihrer gemeinsamen Trauer um die Verstorbene tun sie sich zusammen und kommen sich langsam näher. Doch Alexander ist weiterhin von Fantasien von Paula gefangen.
Alexander ist auf den ersten Blick ein bodenständiger Typ, der in seiner Werkstatt Fahrräder zusammenschraubt. Doch in seiner Wohnung hat er ein umfangreiches Bücherregal, eine Sammlung mit klassischer Musik und einen Ledersessel, in dem er gerne sitzt, um zu träumen. Von diesem Sessel aus beobachtet Alexander auch seine Nachbarin, die er später als Paula kennenlernen wird. In ihr meint Alexander seine große Liebe gefunden zu haben. Doch in Wirklichkeit weiß er fast nichts von der plötzlich Verstorbenen. Die Leerstellen füllt er mit Träumereien davon aus, wie ein gemeinsames Leben hätte aussehen können. Er stellt sich vor, wie sie den Tag zusammen hätten verbringen können, wenn Paula Alexander nicht nach ihrer einzigen gemeinsamen Nacht weggeschickt hätte. Alexander träumt davon, wie er zusammen mit Paula in einem Waldsee schwimmen geht. Und als er Aufnahmen von der 16-jährigen Paula in Lissabon sieht, stellt er sich vor, er habe die Zeit dort zusammen mit ihr verbracht.
Diese Sehnsucht nach der Toten wird für Alexander zu einer Obsession. Dabei verliert er sich zunehmend in einem Gewirr aus Projektionen und Wunschvorstellungen. Seine Träume verleihen Tagundnachtgleiche einen äußerst romantischen Grundton. In stimmungsvollen Bildern fangen die Inszenierung von Lena Knauss und die Kamera von Eva Katharina Bühler diese Fantasiewelt ein. Doch nicht nur während der Träume von Alexander bewegt sich ein großer Teil der Handlung in unterbewussten, nächtlichen Gefilden. Viele Szenen spielen im Dunkeln und im Halbdunklen. Somit ist das geheimnisvolle Element der Nacht in einem hohen Maße präsent und stimmungsprägend.
Hierbei steht das Nächtliche auch für das Leidenschaftliche und Freie, das Paula für Alexander verkörpert. Demgegenüber ist die besonnene Marlene eher dem Tag zugeordnet. Doch Tagundnachtgleiche geht keineswegs so schemenhaft vor, dass seine Begegnung mit den zwei Schwestern zu einem Konflikt zwischen Gefühl und Verstand verkürzt wird. Denn wie Alexander mit der Zeit erkennt, birgt auch Marlene nächtliche Elemente in sich. Ihre Stimme ist es, die er in seinem Lieblingsklassiksender hört. Später besucht er sie in ihrem dunklen Sendestudio. Somit erweist sich Marlene mit der Zeit als eine weitere Variante des Nächtlichen, die jedoch zugleich mit Elementen des Tags verwoben ist. Und um den möglichen Einklang dieser beiden Elemente dreht sich die gesamte Handlung von Tagundnachtgleiche.
Tagundnachtgleiche erschafft einen großen Teil der besonderen Stimmung über die atmosphärischen Bilder. Doch darüber hinaus trägt insbesondere das Spiel von Thomas Niehaus und Sarah Hostettler zum Gelingen des Films bei. Ihre Figuren Alexander und Marlene sind beide zugleich sehr präsent und äußerst verletzlich. Letzteres versucht Alexander nach außen über eine vermeintlich harte Schale zu verbergen, während Marlene wiederum ihre tieferen Gefühle hinter einer Fassade aus Vernunft versteckt. Somit sind die zwei sich ähnlicher, als es zunächst den Anschein hat. Wenn sie sich dem jeweils anderen gegenüber langsam zu öffnen beginnen, so ist dies auch ein Teil ihrer eigenen Selbstfindung. Diesen Prozess mitzuerleben ist ebenso spannend wie emotional.