USA 2016 · 110 min. · FSK: ab 12 Regie: David Yates Drehbuch: Adam Cozad, Craig Brewer Kamera: Henry Braham Darsteller: Alexander Skarsgård, Margot Robbie, Samuel L. Jackson, Christoph Waltz, Djimon Hounsou u.a. |
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Dschungelfieber in den Zeiten der Kolonialisierung |
Wie nähert man sich heutzutage einer Figur, die das Licht der Welt erblickte, als der Kolonialismus noch in voller Blüte stand, und deren Abenteuer von rassistischen Untertönen begleitet werden? Der Animationsfilm Tarzan 3D beantwortete diese Frage 2013 auf denkbar naive Weise mit einer kitschigen, uninspiriert zusammengebastelten Neuinterpretation der Ursprungserzählung vom legendären Dschungelherrscher, den US-Schriftsteller Edgar Rice Burroughs erstmals 1912 der Öffentlichkeit präsentierte. Harry Potter-Veteran David Yates versucht sich nach weit über hundert filmischen Bearbeitungen des Stoffes nun an einer Auffrischung mit kritisch-modernem Blick, verliert seine guten Ansätze aber immer wieder aus den Augen. Das Ergebnis ist ein inhaltlich problematischer Action-Blockbuster, der nicht selten in erschreckend undifferenzierte Muster verfällt.
Eine einfache Nachzeichnung der originären Tarzan-Geschichte sollte man nicht erwarten, selbst wenn einige Standardsituationen in sonnendurchfluteten Rückblenden zu sehen sind. Vielmehr tritt uns zu Beginn ein grüblerischer Protagonist (Alexander Skarsgård) entgegen, der den zentralafrikanischen Dschungel vor vielen Jahren verlassen hat und seither mit seiner Ehefrau Jane (Margot Robbie) im Herrenhaus seiner Familie bei London lebt. Seinen legendenumwobenen Tarzan-Status weist der junge Mann entschieden von sich und pocht vehement auf seinen Geburtsnamen John Clayton. Als ihm der belgische König Leopold II. das Angebot unterbreitet, seine Kongo-Kolonie zu besuchen, lehnt der frühere Urwaldbewohner zunächst unbeeindruckt ab. Da ihn jedoch der US-Diplomat George Washington Williams (Samuel L. Jackson), der Beweise für die systematische Versklavung der kongolesischen Bevölkerung sammeln will, und die noch immer an Afrika hängende Jane bitten, seine Haltung zu überdenken, lenkt John schließlich ein und macht sich mit ihnen auf den Weg in seine alte Heimat. Nichtsahnend, dass die Einladung eine perfide Falle ist, die Leopolds Scherge Léon Rom (Christoph Waltz) inszeniert hat, um Tarzan im Tausch gegen wertvolle Diamanten an den rachsüchtigen Stammesführer Mbonga (Djimon Hounsou) auszuliefern.
Den Identitätskonflikt, den der Film gleich am Anfang etabliert, leuchtet das Drehbuch leider nur schemenhaft aus, drängt ihn mit der Ankunft in Afrika spürbar in den Hintergrund und lässt ihn spätestens dann links liegen, als John alias Tarzan mit Janes Entführung konfrontiert wird. Von diesem Moment an setzt sich ein bestens vertrautes dramaturgisches Räderwerk in Gang, das unter dem Namen »Rettung der weißen Frau« firmiert. Obwohl die Macher bemüht sind, Johns Partnerin als selbstbewusste, zupackende Action-Heldin zu zeichnen, und die im Mainstream-Kino nach wie vor präsente weibliche Diskriminierung ironisch aufbrechen, ist das Gezeigte von echter Gleichberechtigung ein gutes Stück entfernt. Mehrfach preist Jane gegenüber ihrem Entführer die übermenschlichen Fähigkeiten ihres Mannes. Und eine kurzzeitige Flucht endet recht schnell wieder in den Händen des königlichen Handlangers, den Christoph Waltz in bewährter, inzwischen etwas ermüdender Manier als distinguierten Bösewicht verkörpert. Erinnerungen an Werner Herzogs Dschungel-Eroberer Fitzcarraldo drängen sich dabei nicht nur wegen Roms blütenweißer Kleidung auf. Auch die Tatsache, dass er sich auf einem Dampfschiff durch das afrikanische Dickicht bewegt, lässt an den größenwahnsinnigen Opernliebhaber aus Herzogs Urwald-Odyssee denken.
Wirken die Versuche, Jane als Protagonistin auf Augenhöhe aufzubauen, bereits etwas halbherzig, leisten sich die Macher in einem anderen Punkt noch gravierendere Fehlgriffe. Gekoppelt an die Rettungsmission von Tarzans Frau ist auch die Frage nach der Versklavung der kongolesischen Bevölkerung, mit der historisch verbürgte Ereignisse in das fiktionale Geschehen Einzug halten. Die systematische Ausbeutungspolitik des belgischen Königs Ende des 19. Jahrhunderts dient dem Drehbuch als bedrohlicher Hintergrund, ohne dass der Film detailliert auf die drastischen Ausmaße der als Kongo-Gräuel bekannt gewordenen Kolonialverbrechen eingehen würde. Vielmehr benutzt Legend of Tarzan das geschichtliche Material recht frei und unterstreicht wiederholt die überaus löbliche Einstellung des glühenden Sklaverei-Gegners George Washington Williams, bei dem es sich ebenso wie bei Léon Rom um eine real existierende Persönlichkeit handelt. Schaut man genauer hin, fällt allerdings auf, dass der afroamerikanische Gesandte in erster Linie als lustiger Sidekick für Tarzan und als Sprachrohr der schwer gebeutelten Kongolesen fungiert. Eine Beobachtung, die die betont antikolonialistische Haltung des Films ins Wanken bringt, da die Einheimischen – wie so oft im Hollywood-Kino – in die zweite Reihe gedrängt werden. Auftreten dürfen sie als Statisten, Stichwortgeber oder jubelnde Masse: Für mehr reicht es auch in diesem Fall nicht. Führt man sich außerdem vor Augen, dass Yates und Co. die ikonische Titelfigur als Superhelden in Szene setzen, der von seinen afrikanischen Freunden mit Tanz und Gesängen gefeiert wird, kommt der Abenteuerfilm endgültig im klischiert-imperialistischen Morast früherer »Tarzan«-Adaptionen an. Ohne die Hilfe des weißen Mannes können sich die Afrikaner nicht von ihrer Last befreien, ist die zweifelhafte, alles andere als moderne Botschaft, die man am Ende mit nach Hause nehmen darf. Starker Tobak im Jahr 2016!
Fast schon niedlich wirkt dagegen das stellenweise beschworene Pathos, das direkt aus den Vorlagen von Edgar Rice Burroughs stammen könnte. Die Entscheidung, nach Afrika zurückzukehren, überbringt John seiner geliebten Jane symbolträchtig im Garten ihres Anwesens auf einem mächtigen Baum, den das Ehepaar gemeinsam besteigt. Große Gefühle soll auch das Wiedersehen mit den Tieren im Kongo hervorrufen. Der emotionale Gehalt dieser Passagen hält sich jedoch in Grenzen. Vielleicht auch deshalb, weil die wilden Dschungelbewohner zwar mit viel Aufwand am Rechner entworfen wurden, verglichen mit ihren Pendants in Jon Favreaus The Jungle Book allerdings um einiges künstlicher erscheinen. Majestätische Landschaftsaufnahmen und rasant-spektakuläre Actionszenen samt Lianen-Akrobatik sollen das Tarzan-affine Publikum in Staunen versetzen. Den bitteren Beigeschmack, den die Erzählung vom weißen Heilsbringer erzeugt, können sie jedoch nicht neutralisieren. Gerade weil die Macher offenkundig darauf bedacht sind, politisch korrekt zu sein, mit ihren Ansprüchen aber krachend scheitern, stellt sich die Frage, ob die Tarzan-Figur nicht endgültig ausgedient hat. Weitere Abenteuer, die ethnische Klischees bemühen und billigen Exotismus zelebrieren, braucht es jedenfalls nicht.