USA 2011 · 125 min. · FSK: ab 12 Regie: Jeff Nichols Drehbuch: Jeff Nichols Kamera: Adam Stone Darsteller: Michael Shannon, Jessica Chastain, Tova Stewart, Shea Whigham, Katy Mixon u.a. |
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Die Welt als Wille und Wahnvorstellung |
Dunkle Wolken aus schwarzen Vögeln winden sich am Himmel. Im nächsten Moment regnen ihre leblosen Leiber auf die Erde. Blitze ziehen sich wie Adern durch die grauen Wolkentürme, die bedrohlich am Firmament stehen. Tiefe Donnerschläge schallen durch die Lüfte. Es sind Vorzeichen auf ein kommendes Übel, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Doch die wunderbar apokalyptische Weltuntergangsatmosphäre hat einen Haken: Der aufziehende Sturm, wie ihn der Titel andeutet, ist nicht wirklich. Er wütet im Kopf von Curtis LaForche.
Curtis ist ein liebender Ehemann und Vater einer taubstummen Tochter. Seine Frau Samantha und er kümmern sich rührend um die sechsjährige Hannah, sie ist der Mittelpunkt ihres Lebens. Dabei hat es die kleinbürgerliche Familie aus Ohio alles andere als leicht. Curtis muss jeden Dollar, den er als einfacher Arbeiter in einer Sandgewinnungs-Firma im Schweiße seines Angesichts verdient, zweimal umdrehen. Samantha verkauft nebenher selbstgenähte Decken und Kissen, kümmert sie sich doch die meiste Zeit um ihre Tochter. Die LaForches schaffen es trotz aller Schicksalsschläge und Geldprobleme, den Alltag so gut wie möglich zu bewältigen. Doch dunkle Gewitterwolken stehen am Horizont. Diesen Gewitterwolken, den Vorboten einer gewaltigen Katastrophe, sieht sich Curtis hilflos gegenüberstehen. Doch er ist der Einzige, der die warnenden Zeichen wahrnimmt. Um ihn herum geht das Leben weiter, während der von Dreck und Unheil braun gefärbte Regen, der als Warnung vom Himmel stürzt, durch seine Hände rinnt. Anfangs sind es Träume, die ihn quälen. Träume, in denen seine geliebte Welt sich gegen ihn zu wenden beginnt. Fremde gesichtslose Gestalten, sein bester Freund, ja sogar seine Frau erscheinen ihm im Wahn als Feinde. Bald suchen ihn die Weltuntergangsvisionen nicht mehr nur im Schlaf auf, sie rauben ihm immer mehr seinen für gewöhnlich so wachen Verstand.
Anfangs versucht Curtis noch gegen die drohende Übernahme seines Bewusstseins durch die wahnhaften Halluzinationen zu wehren. Weder Ärzte, noch Psychotherapeuten, noch Medikamente helfen ihm weiter. Der Kampf ist sinnlos, Curtis kapituliert. An dieser Stelle kommt der Titel des Films ins Spiel: Take Shelter. Genau das tut Curtis nun: er sucht Schutz vor dem Übel, das ihn beherrscht. Ein unterirdischer Bunker soll seine Familie vor dem Sturm, der am Horizont seiner Einbildung steht, schützen. Völlig vernunftlos und panisch gibt er sich seiner Angst hin, riskiert alles, um die Kosten für den Bunker aufzubringen. Curtis sucht Schutz, irdischen Schutz. Dass sein Problem aber nicht die empirisch wahrnehmbare Wirklichkeit betrifft, sondern sein Inneres, gerät dabei aus seinem Blickfeld. Seine Psyche ist es, die es zu schützen gälte. Während er Bunker in der realen Welt baut, ist sein Bewusstsein den Angriffen des Wahns schutzlos ausgeliefert.
Der neue Film von Autor und Regisseur Jeff Nichols strotzt nur so vor Intensität. Die emotionale Betroffenheit, die der Zuschauer empfindet, wenn er Curtis LaForches verzweifelten Kampf um sein Leben sieht und miterlebt, könnte kaum größer sein. Die existenzielle Verzweiflung und Angst, die Curtis dazu bringt, die Existenz seiner kleinen Familie nah an den Abgrund zu bringen, spiegelt sich in jedem Gesichtszug des Schauspielers wieder. Die apokalyptischen Bilder, die den drohenden Sturm anzukündigen, sind anders als die, die wir aus den 08/15-Katastrophenfilmen kennen. Es stürzen keine Häuser in sich plötzlich auftuende Risse im Erdmantel, keine nuklearen Katastrophen verwüsten den Planeten innerhalb weniger Augenblicke. Nichols entwirft eine ruhigere, gleichzeitig subtilere und umso intensivere Atmosphäre für seine Endzeitvisionen. Die Welt geht nicht in einer plötzlichen riesigen Katastrophe unter. The Day After Tomorrow oder 2012 sind die besten Beispiele für diese Alles-fliegt-in-die-Luft-Filme, die vor Oberflächlichkeit und Seichtheit nur so strotzen. Das katastrophale Ende in Take Shelter kündigt sich in den Vorstellungen von Curtis LaForche durch Boten von beinahe biblischem Ausmaß an. Und diese mystische Gespanntheit hebt diese Apokalypse von den vielen anderen, die um das angebliche Schicksalsjahr der Menschheit 2012 kreisen, ab.
Take Shelter ist ein Werk, das stark psychologisiert. Es nimmt die Wahnvorstellungen eines jungen Familienvaters zum Anlass, tief in die Abgründe des menschlichen Bewusstseins zu hinabzutauchen. Psychologisierende Filme gibt es wie Sand am Meer. Das Geheimnis, das Take Shelter von all diesen anderen Filmen unterscheidet, ist eines, das alles in einem anderen Licht erscheinen lässt. Es stellt neue Fragen, die noch tiefer gehen als die offensichtlichen. Es verändert alles. Es liegt in den letzten Sekunden.
Eine amerikanische Durchschnittsfamilie. Irgendwo im Middle-West leben sie so, wie man das aus hunderten von Hollywoodfilmen kennt: Ein Mann, Curtis, zupackend und tatkräftig, seine Frau, ein bisschen hübscher, als der Durchschnitt. Sie haben niedliche Kinder, ein kleines Haus mit Garten, in der Gemeinde sind sie beliebt, Sonntags geht man in die Kirche, und danach gibt es Apple-Pie. Man lebt bescheiden, aber glücklich – der Amerikanische Traum eben.
Doch allmählich wird diese Idylle erschüttert, ihr brüchiges Fundament gezeugt. Immer öfter wird Curtis von schlimmen Alpträumen geplagt. Und dann nehmen auch die Bedrohungen in seiner Umwelt zu: Blitzschläge, Gewitter, Vögel fallen tot vom Himmel. Die anderen allerdings scheinen diese deutlichen Vorzeichen nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sie tun sie ab, oder behaupten, sie nicht wahrzunehmen. Und irgendwann rast die Windhose eines Hurrikan direkt auf Curtis' Haus zu...
Curtis aber ist ein guter Familienvater und will seine Familie schützen. Denn er ist überzeugt, dass ein schwerer Sturm kommen wird. Also investiert er alles, was er hat, in einen Schutzbunker – darauf bezieht sich der Titel Take Shelter.
Jeff Nichols Film ist ein fintenreiches, geschickt inszeniertes und intelligentes Porträt einer krisenerschütterten Gesellschaft. Natürlich wird man hier zu allererst an den Sicherheitswahn denken, der die amerikanische Gesellschaft ergriff, als vor gut zehn Jahren die Anschläge von 9/11 das Land trafen: Bürgerrechte wurden abgebaut, die Behörden der Homeland-Security wurden zum Staat im Staat, und manche Kritiker erinnern geheime Folterbunker und Konzentrationslager wie Guantanamo an schlimmste Zeiten – statt neuer Sicherheit erlebt Amerika nur noch mehr Verunsicherung.
Insofern darf man den Film auch weniger direkt politisch, als universeller, nämlich wirtschaftlich und soziologisch interpretieren: In der Weltfinanzkrise löst sich gerade der amerikanische Traum in Luft auf: Hauskredite platzen, der finanzielle Sturm hat noch schlimmere Folgen, als der schlimmste Tornado.
Take Shelter ist sehr glaubhaft in seiner Milieuzeichnung des kleinbürgerlichen Amerika, das alles richtig machen will, ans Gute glaubt, und doch auf keinen grünen Zweig kommt.
Und das neuerdings mit einer ungreifbaren, unausweichlichen Angst konfrontiert ist. Michael Shannon, der mit seinen ausdrucksstarken, alles andere als einnehmenden, immer gequält wirkenden Gesicht schon öfters paranoide, innerlich getriebene Charaktere spielte, und Jessica
Chastain, die letztjährige Entdeckung in Terrence Malicks The Tree of Life, als bodenständige, innerlich gesunde Gattin, die spürt, dass ihr Mann etwas weiter sieht, als ihre Mitmenschen, spielen dieses Paar.
Vor allem aber ist dies ein Film über die innere Befindlichkeit des Westens, den untergründigen apokalyptischen Grundton, der unsere demokratischen Gesellschaften durchzieht. Wo gibt es noch Schutz? Was muss man fürchten? Was darf man hoffen?
Nichts ist katastrophaler als Selbstzweifel, als der Verlust des Glaubens, dass man »es schaffen« kann, dass das Leben es letztendlich gut mit einem meint. Jeff Nichols' Take Shelter ist ein Katastrophenfilm, der sich in der Psyche seiner Figuren abspielt. Also ein Paranoiathriller. Die größte Angst der Figuren ist die Angst vor der Angst.
Wie Nichols das erzählt, ist bewundernswert. Denn dem Regisseur gelingt es, uns Zuschauer konsequent in einen
Strudel der Verunsicherung zu ziehen, in einen Taumel der Sinne, in der auch wir im Kinosaal nicht mehr sicher sein können, was von dem, was wir auf der Leinwand sehen, tatsächlich zutrifft, und was nicht. Gewiß: Curtis geht selbst zum Arzt, er weiß, dass er sich manches nur einbildet, und der Hinweis auf eine Krankheit, auf die paranoide Schizophrenie, wird klar gelegt.
Aber es gibt diesen Witz, der wie alle guten Witze, viel Weisheit birgt: Er geht so: Bloß weil einer paranoid ist, ist das noch lange kein Beweis dafür, dass er nicht doch verfolgt wird. In diesem Sinne ist die Tatsache, dass Curtis spinnt, hier noch kein Beweis dafür, dass die Welt nicht wirklich untergeht. Es braut sich was zusammen.