Tastenarbeiter – Alexander von Schlippenbach

Deutschland 2023 · 106 min. · FSK: ab 6
Regie: Tilman Urbach
Drehbuch:
Musik: Alexander von Schlippenbach
Kamera: Marcus Schwemin, Justin Urbach
Schnitt: Gaspard Gillery
Filmszene »Tastenarbeiter - Alexander von Schlippenbach«
Ein ansteckendes Bekenntnis für den Free-Jazz...
(Foto: Salzgeber)

Ruf der Freiheit

Tilman Urbachs Dokumentation über die Free-Jazz-Legende Alexander von Schlippenbach ist eine lebendige Mischung aus Porträt-, Interview- und Musik-Film und alles andere als »sperrig«

Wenn ein Doku­men­tar­film Tasten­ar­beiter heißt, weckt das bestimmte Asso­zia­tionen: Arbeiter üben unter den Augen strenger Vorar­beiter und den Anwei­sungen knau­se­riger Chefs einfache bis schwerste körper­liche Tätig­keiten aus. Sie bauen Mauern, schleppen Möbel oder montieren im Schicht­dienst Autos am Fließband. In den aller­meisten Fällen machen sie das weniger aus Spaß, sondern weil sie Geld verdienen müssen.

Für seinen Lebens­un­ter­halt gear­beitet hat der Pianist Alexander von Schlip­pen­bach sicher­lich auch. Anwei­sungen befolgt oder fremde Wünsche erfüllt hat er eher nicht. Im Gegenteil. Als Musiker, der sich dem Free-Jazz verschrieben hat, war ihm das Wich­tigste die Freiheit. Egal, ob er Klavier gespielt, mit seiner Band gejammt oder kompo­niert hat.

Zum Glück fragt man sich im Verlauf dieses Porträts nicht allzu lange, warum der Regisseur, Tilman Urbach, diesen Titel gewählt hat. Was Alexander von Schlip­pen­bach lakonisch von sich und seinen musi­ka­li­schen Anfängen erzählt, ist so inter­es­sant, dass man gerne zuhört. Auch beim Kochen schaut man wohl­wol­lend zu. Sogar, wenn er in seinem Fotoalbum blättert.
Noch viel besser wird es natürlich, wenn von Schlip­pen­bach auf dem Flügel seiner Berliner Wohnung spielt. Bei kurzen Ausschnitten aus legen­dären Konzerten bekommt man sogar im Kino­sessel eine Ahnung von den Funken, die damals von den Musikern aufs Publikum über­ge­sprungen sind und Begeis­te­rung ausgelöst haben.

Fans, die in Erin­ne­rungen schwelgen wollen, sollten sich diese Doku also keines­falls entgehen lassen. Wer Alexander von Schlip­pen­bach noch nicht kennt, wird auch auf seine Kosten kommen. Seine Erin­ne­rungen sind nicht nur eine faszi­nie­rende Zeitreise in die wilden sechziger Jahre der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land. Sondern auch ein anste­ckendes Bekenntnis für den Free-Jazz. Also eine Musik, die ein Nischen­da­sein führt, da sie auf viele Menschen so »eigen­willig« und »sperrig« wirkt, dass sie sich »ausge­sperrt« fühlen.

Doch diese lebendige Mischung aus Porträt-, Interview- und Musik-Film ist nicht sperrig, sondern einladend. Wenn Alexander von Schlip­pen­bach mit seiner Frau, der Pianistin Aki Takase, spielt oder mit dem inzwi­schen verstor­benen Saxo­pho­nisten und Berserker Peter Brötzmann, hat die Doku mitreißende, magische Momente.

Spannend und erhellend wird es auch, wenn von Schlip­pen­bachs Sohn, Vincent, inzwi­schen selbst DJ, Hip-Hop- und Expe­ri­mental-Musiker, sich an seine Kindheit erinnert. Wie geht ein anti-auto­ri­tärer Vater, der zu den bedeu­tenden Free-Jazzern Europas gehört, damit um, wenn sein Söhnchen »kind­ge­rechte« Musik auf dem Kasset­ten­re­korder hört? Von Schlip­pen­bachs Reaktion wird nicht nur Free-Jazzer zum Schmun­zeln bringen. Sondern alle Mütter und Väter trösten, denen der Musik­ge­schmack ihrer Kinder manchmal auf die Nerven geht.

Nach dem Abspann steht wieder die Frage im Raum, warum die Doku Tasten­ar­beiter – Alexander von Schlip­pen­bach heißt, obwohl Tasten-Zauberer, Tasten-Magier, Tasten-Künstler oder zumindest Tasten-Spieler besser passen würde. Sollte der sperrige Titel dem Vorurteil entspre­chen, dass Free-Jazz sperrig sein soll? Empfindet sich Alexander von Schlip­pen­bach eventuell selbst weniger als Künstler, sondern als Arbeiter? – Egal! Die Doku ist sehr sehens­wert, weil Alexander von Schlip­pen­bach eine faszi­nie­rende Persön­lich­keit ist und ein groß­ar­tiger Musiker.