Tatami

USA/GB/Georgien 2024 · 104 min. · FSK: ab 12
Regie: Zar Amir Ebrahimi, Guy Nattiv
Drehbuch: ,
Kamera: Todd Martin
Darsteller: Arienne Mandi, Zar Amir Ebrahimi, Jaime Ray Newman, Nadine Marshall, Lir Katz u.a.
Tatami
Intensive Momente der Konfrontation
(Foto: Wild Bunch)

Fallen ohne zu verlieren

Das israelisch-iranische Regie-Duo Guy Nattiv und Zar Amir Ebrahimi zeigt in seinem spannenden und klugen Sport-Thriller, wie fragil die Freiheit zwischen nationaler Ehre und nationalem Abgrund sein kann

Schon bei seinem letzten Film Golda – Israels eiserne Lady, der erst vor wenigen Monaten in die Kinos kam, operierte Regisseur Guy Nattiv fast schon unheim­lich am Puls der Zeit, denn Golda war nicht einfach nur eine Rück­be­sin­nung und Biopic über Golda Meir und den Jom Kipurr-Krieg, sondern war vielmehr ein histo­ri­scher Spiegel unserer Gegenwart.

Nicht viel anders ist es um Nattivs neuen Film bestellt, den er mit der im fran­zö­si­schen Exil lebenden Iranerin Zar Amir Ebrahimi insze­niert hat, eine Konstel­la­tion, die in der gegen­wär­tigen poli­ti­schen Lage wie ein schlechter Witz klingt, aber in der Kunst dann doch möglich ist. Das ist umso inter­es­santer, als in Tatami auf der Sport-Ebene die freund­schaft­liche Beziehung einer irani­schen Judoka mit einer israe­li­schen Judoka zu einem thriller-artigen Konflikt führt, den es in der Vergan­gen­heit tatsäch­lich so gab, als bei der Judo-Welt­meis­ter­schaft 2018 in Tokio der iranische Judoka Saeid Mollaei von seinen Betreuern ange­wiesen wurde, eine Verlet­zung vorzu­täu­schen, um sich damit keinem israe­li­schen Judoka stellen zu müssen. Obwohl Mollaei bis dahin ähnlichen Anwei­sungen Folge geleistet hatte, weigerte er sich dieses Mal, kämpfte und lief über.

Guy Nattiv und Zar Amir Ebrahimi formen aus dieser Geschichte einen über­ra­schend tages­ak­tu­ellen Plot, gibt es doch bei der gegen­wärtig statt­fin­denden Olympiade um den israe­li­schen Judoka Tohar Butbul und seinen alge­ri­schen Gegner Messaoud Redouane Dris einen ähnlichen Konflikt. Tatami geht aller­dings weit über die Nach­richten-Ober­fläche hinaus und erstellt ein komplexes Psycho­gramm einer irani­schen Sport­lerin (Arienne Mandi) und ihrer Trainerin (Zar Amir Ebrahimi) und ihrem mora­li­schen Schlin­gern zwischen den poli­ti­schen Forde­rungen der Funk­ti­onäre, ihren eigenen sport­li­chen Ambi­tionen und der Angst um die eigene Familie, die in Gefahr zu geraten drohte, sollten die Beiden nicht der poli­ti­schen Leitlinie ihres Landes folgen.

Tatami gibt über seinen Titel, der nichts anderes als die Bezeich­nung der Matte ist, auf der gekämpft wird, zwar an, ein Sportfilm zu sein, doch wie jeder gute Sportfilm – man denke nur an Air: Der große Wurf aus dem letzten Jahr – zeigt auch Tatami über das Kleine das Große, über den sport­li­chen Wettkampf und sein Umfeld die große Politik. Jeder Kampf ist hier nichts anderes als die welt­po­li­ti­schen Lager zwischen der vom Iran ange­führten Achse des Wider­stands und die west­li­chen Gegner in der Tages­po­litik.

Das Groß­ar­tige an Guy Nattiv und Zar Amir Ebrahimis Film ist, dass sie diesem Konflikt ein Bild und Gesichter geben, zeigen, welche Konse­quenzen es hat, für die eigene Freiheit einzu­stehen, wie schwer, ja fast unmöglich es ist, unter dem Druck eines tota­li­tären Regimes die richtige Entschei­dung zu fällen. Gerade für diesen Entschei­dungs­pro­zess lässt sich Tatami genau die Zeit, die es braucht, um mit einem hervor­ra­genden Ensemble akribisch genau zu erklären, dass jeder Wider­stand immer auch ein allum­fas­sendes Scheitern bedeuten kann.

Die Spannung, die diesem Entschei­dungs­pro­zess zu Grunde liegt, wird von dem Regie-Duo nicht nur durch die über­ra­gend foto­gra­fierten Judo-Szenen noch einmal forciert, sondern auch über einen im Iran ange­legten Nebenplot. Die Schwarz-Weiss-Film-Ästhetik, für die sich Nattiv und Ebrahimi entschieden haben, erinnert dabei an klas­si­sche poli­ti­sche Repor­tagen und gibt dem Film eine beein­dru­ckende histo­ri­sche Erdung, die durch die brisante Aktua­lität immer auch in die Gegenwart stößt, so wie es Nattiv ähnlich beein­dru­ckend bereits mit Golda – Israels eiserne Lady gelungen ist.