USA 2003 · 98 min. · FSK: ab 18 Regie: Marcus Nispel Drehbuch: Scott Kosar Kamera: Daniel Pearl Darsteller: Jessica Biel, Jonathan Tucker, Erica Leerhsen u.a. |
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Jetzt sollte er das Haus verlassen... |
Tobe Hooper schuf 1974 für $140.000 das Blutgericht in Texas, als die USA in einer düsteren, pessimistischen politischen Stimmung waren: weder war der Vietnamkrieg verdaut, noch gab die Nixon-Affäre Grund zur Aufhellung der gesellschaftlichen Gemüter. Es fehlte an Vertrauen, eine Stimmung der öffentlichen Angst fühlte diese Lücke. In diesem sozialen Klima schlug Hoopers Film – der sich in Ansätzen an den Bluttaten des Frauenmörders Ed Gein orientierte – ein, wie ein Fleischerbeil in einen Kuhschädel. Eine völlige Polarisierung von Zuschauer und Kritiker war erreicht worden.
Da schien es geradezu blasphemisch, als bekannt wurde, dass ausgerechnet Michael Bay – das Mastermind von Independentproduktionen wie Armageddon oder Bad Boys – auf dem Regiestuhl für ein Remake des Hooper-Streifens Platz nehmen sollte. Tatsächlich trat er dann lediglich als Produzent auf, der Frankfurter Marcus Nispel, ehemaliger Regisseur von Videoclips, übernahm das gestalterische Zepter über die 9,2 Mio.$ teuere Neuauflage. Bemerkenswerterweise konnte Daniel Pearl, der Kameramann des Originals, erneut für eben jene Tätigkeit gewonnen werden.
Im Großen und Ganzen beließ es Scott Kosar, der für die Neugestaltung des Drehbuchs zuständig war, bei der altbekannten Geschichte: fünft junge Erwachsene, u.a. US-Serien Star Jessica Biel als Erin oder Ben Afflek-lookalike Jonathan Tucker als Morgan, welche 1973 auf dem Weg nach Mexiko zu einem Konzert der Gruppe Lynyrd Skynyrd (imdb.com merkt kritisch an, dass Sweet Home Alabama erst 1974 veröffentlich wurde) sind, lesen in Texas eine völlig aufgelöste und verstörte Frau auf. Als die Gruppe die Anhalterin zur nächsten Behausung bringen wollen, um dort Hilfe zu erhalten, gerät die junge Frau in Panik, zaubert zwischen ihren Beinen eine Handfeuerwaffe hervor und begeht mittels Kopfschusses Selbstmord. Die anschließende Kamerafahrt durch das Loch im Kopf, hinaus durch das zweite Loch der Heckscheibe beschreibt das US-Magazin Sights and Sounds treffend als Dario Argento-like. Da der Corpus der Frau nur bedingt einen willkommenen Mitfahrer darstellt, beschließt das Quintett, die örtliche Polizei zu informieren. Diese schwerwiegende Entscheidung bedeutet die endgültige Verwicklung in Wahnsinn und Tod – eine Odyssee des Grauens, welche die Jugendlichen direkt in die Hände einer Menschenfleisch verzehrenden Familie treibt, beginnt. Zahlreiche Folter- und Verfolgungsszenen später wird der Zuseher mit einem Mockumentary-artigen Ende in die Nacht entlassen: John Larroquette als Erzähler schlägt in seinem ernsten, wissenschaftlichen Ton fast diverse »Professoren« aus der »Mondo Cane«-Reihe der 70er-Jahre.
Texas non solum locum sed etiam condicionem est. Der amerikanischste aller amerikanischen Bundesstaaten (Großteile der Produktion fanden tatsächlich in Austin, Texas statt) bildet mit seinen American Gothic-Landschaften eine optimale Szenerie, um es endgültig lauthals heraus zu schreien: Wir, die Horrorfilme aus den 70er-Jahren wollen für ein neues Publikum aus den Gräbern steigen. Hauptmerkmal scheint eine bleierne Enthumorisierung des Genres. Kein Augenzwinkern mehr – no more Mr. Nice Guy. Der Trend ist klar: Texas Chain Saw Massacre, Exorcist: The Beginning, Dawn of the Dead, Suspiria kommen als Remakes zurück auf die große Leinwand. Andere Werke werden im Jetzt geschaffen: Wrong Turn oder Cabin Fever.
»Oh my God, I am way too stoned for this« (Eric Balfour als Kemper, der kiffende Nerd der Reisegruppe) Abgesehen von diversen Film Festivals ist es wohl ziemlich lange her, dass man einen solchen Blut- und Goregehalt im Kino zu sehen bekam. Es wird gesägt, gehackt, geschossen, geschnitten, genäht, gestopft, dass der »Eaten Alive« bzw. »Absurd«-Seher Respekt zollen muß. Grady Holder, der für das Special Make-Up zuständig war, sowie Art Director Scott Gallager leisteten sehr gute Arbeit. Man möchte sich wirklich keine Sekunde in der Gegenwart dieser Familie aufhalten, man möchte eigentlich erst gar nicht heraus aus der Großstadt fahren. Zu unsicher sind die ländlichen Abgründe. Tobe Hooper erkannte richtig, dass der gewählte Zeitpunkt für ein Remake gut gewählt ist – die amerikanische Gesellschaft scheint immer noch in dem Bewusstsein gefangen, es können jeden treffen, und das zu jeder Zeit. Ist das die Lehre des Al-Kaida Fluges in das Herz der Metropole N.Y.C.?
Der Film erntete größtenteils schlechte Kritiken; von »Lebenszeitverschwendung« (Roger Ebert) oder sozial unverantwortlicher Geldschneiderei war die Rede. Die Schauspielerleistung ist tatsächlich durchschnittlich – wir erleben größtenteils Schablonen (aber auch diese kann man wirkungsvoll zerstören!), Ausnahmen stellen die Uneitelkeiten der Jungschauspieler dar: sie lassen jedwede Demütigung über sich ergehen – man macht sich richtig, richtig dreckig. Hervorzuheben ist der genial spielende R. Lee Ermey als Landsheriff (da möchte man ihm sofort seinen lächerlichen Kurzauftritt in »Space: Above and Beyond« verzeihen), der mit seinem perfiden Menschenhass das eigentliche Monster des Filmes darstellt. Allerdings kann man auf der anderen Seite nicht abstreiten, dass gängige Horrorkonventionen erfüllt werden – schließlich überlebt der Charakter, der Drogen gegenüber ablehnend auftritt, kein Sexualleben vor der Ehe zu praktizieren scheint und letztlich voller Humanität anderen gegenüber, aber mutig und entschlossen zu Werke geht. Jessica Biel etwa wird überikonisiert, nicht nur, was ihre Fähigkeiten wie etwa Autos kurzschließen angeht, sondern auch die In-szenesetzung ihres durchtrainierten Körpers im knappen Unterhemd. Bisweilen verlässt Nispel damit den nötigen Pfad der Unausweichlichkeit und damit die Banalität, welche Morde erschreckend, statt faszinierend erscheinen lässt. So scheint z.B. Biels Racheakt gegen Ende des Films als pures Zugeständnis an den Zuseher. Unverdauliches wird weich gespült – schade. Auch der Jahrzehntentransport klappt nicht: das Gefühl beschleicht den Zusehen, dass der Schriftzug 1973 eine hohle Farce ist – alles wirkt wie 2003, sei es die Sprache oder die Mode.
Texas Chainsaw Massacre – der Name ist in diesem Fall Programm. Genrefreunde werden bedient, Kuschler meiden den Kinosaal wie Leatherface einen Blick in den Spiegel ohne Maske.